Ein Gespräch mit Milli Dance von Waving the Guns über Gefühle, Gewalt und Battle-Rap
SaZ: In Euren Texten spielt die Gewaltfrage eine große Rolle. Nach den G20-Protesten in Hamburg ist das Thema auch wieder präsent. Was macht es mit Leuten, wenn sie dauernd mit Gewalt konfrontiert sind?
Milli Dance: Man wird entweder ängstlich, stumpft ab oder wird auch selber gewalttätig. Ich bin kein Freund von Gewalt und suche sie in der Regel auch nicht. Aber sie ist einfach da, überall in der Gesellschaft. Daher sollte auch der Umgang mit Gewalt präsent sein.
SaZ: Aber wie kann man das zum Beispiel seinen Freund_innen oder Eltern vermitteln?
Milli Dance: Indem man ordentlich hinsieht. Bleiben wir bei Hamburg: Die Polizei konnte dort machen, was sie wollte und das überträgt sich dann natürlich auch. Und dass geleugnet wird, dass es in Hamburg Polizeigewalt gegeben hat, ist doch Blödsinn. Darüber muss gesprochen werden. Lass uns einfach ehrlich sagen: Ja, es gab Gewalt auch von linken Demonstranten, auch in solcher Form, dass ich die Sinnhaftigkeit nicht sehen kann. ABER: So etwas entsteht nie aus dem Nichts und zu behaupten, dass die Polizei in der Opferrolle war, ist pure Heuchelei. Die offensichtliche Realitätsverweigerung der Öffentlichkeit ist erschreckend. So würde ich das versuchen zu vermitteln.
SaZ: Unsere aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit Gefühlen im Kapitalismus. Gibt es da für dich einen Zusammenhang?
Milli Dance: Das ist natürlich eine sehr große Frage. Es geht aktuell immer mehr darum, sich dauernd selbst zu vermarkten, zu inszenieren und optimieren. Der Nutzen für sich selbst wird immer zentraler. Das führt dann schon zu einer gewissen Entsolidarisierung und einem Rückgang von Empathie. Wenn ich immer sehen muss, wo ich bleibe, kann ich immer weniger sehen, wo die anderen bleiben.
SaZ: Ihr bezeichnet euch auch selbst als linksradikal. Gibt es einen genuin linksradikalen Umgang mit Gefühlen?
Milli Dance: Für mich ist wichtig, dass die radikale Linke eine stark menschliche Seite hat. Da gehören Empathie, Solidarität und Gemeinwohlorientierung einfach dazu. Dabei muss man aber auch immer die materiellen Grundlagen bedenken, wo Leute herkommen, was sie mitbekommen und gelernt haben: Wenn ich nie erfahren habe, dass sich Leute um mich kümmern, werde ich das bei anderen natürlich auch nicht unbedingt machen. Man muss sich immer die Frage stellen, wie Gefühle entstehen und was die gesellschaftlichen Grundlagen sind.
SaZ: Das ist ja auch innerhalb der Linken eine Debatte. Sowohl zwischen Linken aus Stadt und Land als auch in gewisser Weise zwischen eher sogenannten prolligen und eher intellektuellen Linken.
Milli Dance: Ja, das ist ein großes Problem. Auch innerhalb der radikalen Linken gibt es Klassismus und Sozialchauvinismus. Die Arroganz eines Teils der Linken nervt mich wirklich. Ich verurteile prollige oder nicht so gebildete Leute nicht von vornherein, auch wenn sie nicht immer einen politisch richtigen Sprachgebrauch haben. Die können trotzdem korrekt sein. Das Herabschauen auf Andere mit anderen Voraussetzungen ist problematisch. So eine elitäre Art schafft wiederum Ausschlüsse.
SaZ: Aber wie klappt denn diese Verbindung? Nur weil man nicht immer gleich geschlechtsneutral spricht, muss das ja im Umkehrschluss nicht heißen, gleich zum Beispiel von Bastarden zu sprechen, wie Ihr das macht. Gibt es da nicht etwas dazwischen?
Milli Dance: Grundsätzlich braucht es natürlich die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Die Frage muss doch sein, wie man konstruktiv zusammen kommt. Da muss man dann vielleicht auch mal Widersprüche aushalten und damit klar kommen, dass die Welt nicht einfach nur schwarz und weiß ist. Die Leute hätten gerne die Komplexität vereinfacht. Aber nur weil man in einer Antifa-Proll-Gang ist, heißt das ja noch nicht notwendigerweise, dass man Sexist ist. Und nicht alle, denen Sprache wichtig ist, sind verklemmt und spießig. Ich will Leute nicht ausschließen. Aber ehrlich: das schaffe ich natürlich nicht immer.
SaZ: Du sprachst vorhin von Gemeinwohl. In euren Texten gibt es aber auch viel Wut. Leuten das „Jochbein brechen“, wie ihr schreibt, und Solidarität gehen ja schwer zusammen. Woher kommt der Hass?
Milli Dance: Ist natürlich die Überspitzung. Ich hör einfach viel Battle-Rap und liebe diese Form des Ausdrucks. Dann übertreibe ich meine Ablehnung von Liebesliedern in überzogener Form, indem ich mich als gewalttätig darstelle, um eine Abgrenzung von Liebeslieder-schreibenden Musikern herzustellen. Dass es aber im Text ausgedrückt wird, heißt noch lange nicht, dass das der Realität entspricht. Ich selbst habe noch keinem Menschen das Jochbein gebrochen. Das ist Quatsch erzählen.
SaZ: Aber ist es wirklich nur das? Das macht ja auch etwas mit Leuten, die das dann hören. Vielleicht verstehen die das dann auch ernsthafter, als ihr das meint und machen dann was damit.
Milli Dance: Grundsätzlich hoffe ich aber, dass die Hörerschaft im Gesamtkontext eines oder mehrerer Texte die tatsächliche Grundhaltung begreift. Das ist ja auch das Grundproblem bei KIZ, die viel mit Übertreibung und Sarkasmus arbeiten: Wie ironisch kann ich sein und welche Verantwortung habe ich. Ab einem gewissen Punkt hat man keine Kontrolle mehr, was mit den Texten passiert. Die Frage ist dann, wie sehr man sich einschränkt oder aber weiterhin so schreibt, wie man es witzig und cool findet. Ich kann aber immer nur Texte schreiben, so wie ich sie schreiben kann. Häufig ist es dann für mich spannender, wenn in der Kunst auch etwas Unerwartetes oder Grenzwertiges passiert.
SaZ: Wie meinst du das?
Milli Dance: Nimm zum Beispiel den sogenannten Zeckenrap. Die meisten Leute, die ihre Musik selber so bezeichnen, sind alle super nett und an den Aussagen hab ich oft auch wenig auszusetzen. Aber die Musik gibt mir wenig. Ein total korrektes Parolen-Aneinanderreihen finde ich nicht so interessant.
Texte ohne Übertreibung, an denen man sich nicht mal reiben kann, finde ich stinklangweilig. Dem kann ich künstlerisch nicht so viel abgewinnen, fordert mich nicht heraus, das berührt mich nicht.