„Wir können doch eh nichts ändern…“

Warum das nicht zufällig die Ansicht vieler ist und was sich dagegen tun ließe

„Ob ich zur Demo gehe oder nicht, das macht doch eh keinen Unterschied!“ – Wer hat das nicht schon mal zu hören bekommen? Oder ist selber genau daran verzweifelt? Mit diesem Gefühl der Ohnmacht haben wir uns auseinandergesetzt.

Die Frage, wie viel Einfluss wir eigentlich auf gesellschaftliche Prozesse haben und inwieweit wir über unser Leben selber bestimmen können, stellt sich auch anhand anderer Probleme: Wer fühlt sich nicht erschlagen, wenn der Newsfeed tickert, dass im Südsudan sechs Millionen Menschen an Hunger leiden, in Syrien bereits 500.000 Menschen im Bürgerkrieg getötet wurden und in Folge dessen über fünf Millionen auf der Flucht sind?
Ohnmacht kann uns gerade dann erwischen, wenn wir uns über den größeren Zusammenhang von Problemen bewusst werden. Zum Beispiel, dass es kein zufälliger Schicksalsschlag ist, dass ich es als Kind von Arbeiter_innen von Grund auf schwieriger mit der Karriere habe als meine Freund_innen mit Akademiker_innen-Eltern. Da kann es schon mal verlockend wirken, sich dem vorgekauten Gelaber der „Alternativlosigkeit des kapitalistischen Systems“ zu fügen und perspektivlos auf der Couch zu versinken.

Dein „Schicksal“ ist kein Schicksal

Wir sind für eine Welt, in der sich die Produktion und der Umgang miteinander nach den Bedürfnissen der Menschen richten. In einer Welt, in der das nicht der Fall ist, ist Ohnmacht eine typische Erfahrung. Angefangen damit, dass Deine Bedürfnisse in Deiner Firma im Zweifelsfall nur insoweit zählen, als sie dem Ziel der Profitmaximierung dienen oder wenigstens nicht schaden, bis hin zu der Tatsache, dass selbst Hunger nur dann gestillt wird, wenn die hungrige Person das nötige Cash mitbringt. Dass es auf Dein Bedürfnis nicht ankommt, dass Du Dich ständig messen und die Ellbogen ausfahren musst, hat jede_r von uns verinnerlicht. Und auch, dass das oftmals nicht einmal zum Erfolg führt, weil der Otto, der den Job bekommen hat, die Ellbogen noch besser ausgefahren hat als Du.
Viele erklären sich die ständige Jagd nach dem Vorteil auch dadurch, dass sie sagen: Die Menschen sind halt von Natur aus egoistisch und Konkurrenz ist ein natürlicher Zustand. Und dann werden aber genau diese Marktmechanismen oder Standortlogiken verteidigt, die erst dafür sorgen, dass jede Person untergeht, die sich mit der Ellenbogentaktik nicht durchsetzen kann. Scheißverhalten jeder*s Einzelnen ist nicht natürlich, sondern notwendig, wenn man in dieser Gesellschaft überleben will.
Dieses Prinzip mündet in der Erfahrung, dass Du wenig Einfluss auf den Lauf der Dinge und die Anhäufung von Elend und Unterdrückung hast. Und gleichzeitig heißt es, das hier sei die beste aller möglichen Welten. Du kannst alles erreichen, wenn Du nur willst! – Kannst Du aber den gefragten Normen und Verhaltensweisen nicht genügen, bist Du nicht verwertbar und als Individuum gescheitert. Genauso wenn der Staat, in dem Du lebst, in der Krise steckt. Dann ist es direkt wieder vorbei mit Deinen Träumen von Doppelhaushälfte und Malle-Urlaub.
Der Widerspruch zwischen persönlichem Wollen und gesellschaftlichem Können, vor allem die Erkenntnis, dass dafür keine Königin oder kein Banker persönlich verantwortlich ist, führt zu: Ohnmacht.

„Aber ich spende doch schon jeden Monat …“

Der Umgang mit diesem widersprüchlichem Verhältnis kann auf individueller und gesellschaftlicher Ebene sehr unterschiedlich aussehen: Neben der insbesondere (aber nicht nur) bei rechten Hatern beliebten Suche nach Schuldigen, seien es Geflüchtete oder die EU, oder der typischen Sehnsucht nach charismatischen Führungspersonen, gibt es auch viele Menschen, die sich bei Problemen wie Armut oder Ausbeutung mitverantwortlich fühlen. Die probieren’s dann vielleicht mit bewusstem Konsum, Mitleid und Spendenaktionen und versuchen ihr Ohnmachtsgefühl eher auf individueller Ebene zu besänftigen. Hier klingt die Hoffnung mit an, dass sich das gute Leben für alle schon irgendwann melden wird, wenn viele kleine Menschen an vielen Orten eine gute Tat am Tag tun. Oder sie versuchen es mit der vermeintlichen Nische, im Regenbogencamp im Amazonas oder in der einsamen Hütte in Alaska.

Im Gegensatz dazu kann Hoffnungslosigkeit aufgrund der eigenen Ohnmacht sogar soweit gehen, dass sie in gewalttätigen Allmachtsphantasien wie Amokläufen mündet oder zu innerer Resignation, Depression und schließlich auch zu Selbstmord führt. Anstatt die Ursache gesellschaftlicher Probleme darin zu suchen, wie das Leben und die Gesellschaft organisiert sind, werden Schuld und Verantwortung häufig auf Individuen geschoben, seien es die „Anderen“ oder schließlich man selbst. Griechenland erlebte infolge der Krise seit 2008 den größten Anstieg der Selbstmordrate seiner jüngeren Geschichte – hier haben wir es wieder mit der harten ökonomischen Realität von Ohnmacht zu tun. Da hilft es möglicherweise auch nicht, wenn man weiß, dass es „dem System“ zu verdanken ist, wenn ich ab dem nächsten Monat hungern werde, weil dann mein Jahr Arbeitslosengeld I abgelaufen ist.

Wege hinaus

Das Erkennen von größeren Zusammenhängen hinter unseren Problemen kann also erstmal zu mehr Ohnmachtsgefühlen führen. Gleichzeitig ist das aber auch der Schlüssel zur Bekämpfung von Ohnmacht: Durch die Erkenntnis kann mir als Einzelne*r bewusst werden, dass meine privaten Probleme vielleicht gar nicht so individuell sind, wie sie sich anfühlen. Wenn ich meinen Erfahrungen Namen wie „Diskriminierung“, „Sexismus“ oder „strukturelle Benachteiligung“ geben kann, dann fühlt sich mein Nachteil plötzlich nicht mehr wie meine Schuld an. Ich kann ihn als Teil von Unterdrückungsmechanismen verstehen und diese Erfahrungen analysieren und kritisieren, andere Menschen darauf aufmerksam machen und Gegenstrategien überlegen. Auch in der Auseinandersetzung mit Leistungsansprüchen tut es gut, mal ein bisschen sauer auf dieses Prinzip zu sein, das uns dauernd als Konkurrent_innen aufstachelt und behauptet, dass wir uns schlecht fühlen sollen, wenn unsere Arbeitskraft nicht optimal eingebaut ist.

Der große Umsturz, der das alles ändern würde, scheint im Moment eher unwahrscheinlich. Damit es nicht so bleibt, kann es helfen, sich mit diesem vielbeschworenen Kapitalismus und seiner Entstehung auseinanderzusetzen. Dieser ist ja letztlich auch nur eine unter bestimmten historischen Bedingungen entstandene Möglichkeit – es müssen also auch andere existieren. Das bedeutet, dass das, was wir in dieser Gesellschaft für normal halten und dem wir versuchen zu entsprechen, nicht zwangsläufig so bleiben muss. Und dass wir neue Perspektiven entwickeln können, die eine andere Gesellschaft denkbar machen, wenn wir die Hintergründe dieser Normen und ihren Zusammenhang zum Verwertungs- und Leistungszwang verstehen. Die Weise, wie sowohl unser privates Leben als auch die globalen Verhältnisse derzeit organisiert sind, ist nicht in Stein gemeißelt, sondern durchaus veränderbar. Und wenn wir deren Funktionsweisen und Widersprüchlichkeiten offenlegen, dann rückt diese Veränderung und damit die Überwindung der Ohnmacht vielleicht etwas näher.

Und vor allem gilt: Allein bist Du ohnmächtig, zu vielen schon deutlich weniger. Und wenn man sich das Ziel setzt, zusammen für die befreite Gesellschaft zu kämpfen, dann kann aus Ohnmacht Selbstermächtigung werden. Damit kommen wir leichter aus der Krise raus und einen Schritt näher zu einem Leben ohne Repression, in dem es um Bedürfnisse der Menschen geht.

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