Ein Kommentar von einem empörten Redaktionsmitglied.
In letzter Zeit geistert bei PEGIDA, den Friedensmahnwachen und anderen wirren Veranstaltungen, ob im Internet oder auf den Straßen, ein Wort herum: Lügenpresse. Da stellen sich mir folgende Fragen: Wer ist mit Lügenpresse gemeint und warum? Und: Wozu sind Presse – und Medien überhaupt – eigentlich da und was wird da wie geschrieben und erzählt?
Ich nutze Medien, um mich über die Welt zu informieren, mir Unübersichtliches klar zu machen, mir bei der Meinungsbildung helfen zu lassen. Dafür gibt es unendlich viele Medien – von Zeitungen bis Fernsehen, von Blogs bis Videobeiträgen. Außer dass irgendeine Art von Infos geliefert wird, haben die erstmal nicht viel gemeinsam. Manche sind big player im Geschäft (Tageszeitungen, TV-Nachrichten), manche klein und mit geringer Reichweite. Einige haben Millionen-Budgets, andere nichts. Die eine Zeitung ist dicke mit Interessen der Wirtschaft, die andere politisch so oder so drauf. Aber auch in ein und demselben Medium steht Unterschiedliches. Neben der durchaus kritischen Reportage über das Elend der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer kann ein Rotzkommentar über Asylbeweber_innen stehen. Nach dem Schland-Fussball-WM-Spiel folgt eine Doku über Ausbeutung von Stadienarbeiter_innen. Also alles vielfältig. Jede_r kann sich irgendwo was rausziehen bzw. Meinung bilden. Eigentlich toll. Aber nur eigentlich.
Es gibt nämlich auch massig Quatsch in der Medienwelt. Nicht nur, dass ich ohnehin schon ständig von Werbung und Merkel zugedröhnt werde, kann im Zeitalter des Internets auch jeder Trottel seinen geistigen Dünnschiss in‘s Internet stellen. Versteht mich nicht falsch: Das Web an sich ist großartig, obendrein als alternative Infoquelle, aber da ist halt auch viel Blödsinn unterwegs. Gutes Beispiel sind die endlosen Schwafeleien und Diskussionen in den Kommentarspalten unter Zeitungsartikeln oder in Foren. Jede_r Hobbyjournalist_in entlarvt Ungeheuerliches und liefert gleich krude Theorien mit. Mit Schlagworten wie „Die da“, „Erkenne“ und „Wahrheit“ wird mir eingetrichtert, dass da irgendwo was falsch läuft, Fix und Foxi daran schuld sind, ich mir unbedingt (die richtigen) Gedanken machen solle und – wer hätte es gedacht – nicht alles glauben solle, was mir DIE Medien erzählen.
Mir fällt bei dieser sogenannten Gegendarstellung immer wieder auf, dass erstens zwischen WIR und den ANDEREN unterschieden wird und zweitens den Einen geglaubt wird, den Anderen nicht. Stichworte sind dabei: „freie“, „System-“ oder „Lügenpresse“. Mit System- oder Lügenpresse ist dabei meist die bürgerliche bzw. Mainstream-Presse gemeint, der man nicht mehr traut, da sie gleichgeschaltet (Hallo, Verschwörung?!) und sowieso linkspropagandistisch sei (Huhu, ihr rechten Spinner!). Als Gegenerzählung wird dann die „wahre“ freie Presse heranzitiert – also diese Schwurbelblogs, Wahn-Videos und so. Reale Fakten zählen da nicht – sind ja eh gelogen. Vielmehr geht es um Meinungen. Oft wird dabei Meinung mit Hetze verwechselt. Nun bedeutet das aber ganz und gar nicht, dass DEN Medien per se nicht geglaubt wird. Es wird nur mehr ausgewählten Medien bzw. Beiträgen geglaubt, die ins eigene Weltbild passen. Beispiel PEGIDA: Die BILD-Zeitung druckt die Geschichte des angeblichen Verbots von „Weihnachtsmärkten“ durch eine geheimbündlerische Koalition aus Islamisten und „Liberalen“. Und das Gros der Pfosten glaubt´s. Frohes Fest!
„Lügenpresse“ ist somit kein kritischer Einwurf gegenüber einer vermeintlich gleichgeschalteten Presse. Vielmehr macht das ständige Wiederholen des Vorwurfs den Standpunkt deutlich, dass es auf der einen Seite die Allgemeinheit, die auf eine falsche Presse reinfällt und auf der anderen Seite eine Gruppe Auserwählter gibt, die bereits alles durchschaut und die „Wahrheit“ erkannt hat. Nach dem Motto: Nur (m)eins stimmt, das andere ist gelogen. Und was gelogen ist, bestimmen wir! Die Wirklichkeit, so scheint mir, wird dabei gerne ausgeblendet oder so interpretiert und hingebogen, um der eigenen ideologischen Erzählung von Welt nicht zu widersprechen. Zumal viele selbsternannte Expert_innen meist null Ahnung haben von der Sache, über die sie sich aufregen. Nee, Freund_innen der skeptischen Lektüre, das ist mir zu einfach.
Ich hab ganz und gar nichts gegen eine kritische oder kontroverse Sicht der Dinge und eine Kritik an Medien. Kritischer Medienkonsum ist wichtig. Wichtig ist auch eine Gegenöffentlichkeit zur Mainstream-Presse, die mit ihren Mitteln häufig strategisch Politik macht, voreingenommen und zeitweise auch politisch gefährlich oder schlichtweg falsch ist. Auch wenn selten so richtig „gelogen“ wird, wie z.B. das retuschierte Foto von Spitzenpolitiker_ innen beim Charlie-Hebdo-Trauermarsch, steht oft reaktionärer Bullshit drin, wie z.B. jahrelange anti-muslimische Stimmungsmache im SPIEGEL. Medien sind halt meist an wirtschaftliche Interessen und politische Anschauungen gebunden. Alles was zählt und zahlt landet auf Seite 1. Themen, die an der Gesellschaft radikal rütteln oder mit denen nicht so viel Geld gemacht werden kann, werden mal eben weggelassen oder landen unten rechts bei Vermischtes. Dazu die unaufhörliche Werbung. Also andauernde Berieselung mit Reklame und politischem Gedöns auf allen Kanälen.
Ich bin mir sicher: Wer über die gesellschaftlichen Verhältnisse hinaus denken will, braucht andere Medien. Das heißt aber nicht, dass die Erzählung derer, die da „Lügenpresse“ schreien, unvoreingenommen und weniger gefährlich wäre. Also irgendwie beides Kacke. Hier Kommerz und Staatsgelaber, da Wirrzeugs. Was mir da hilft? Ball flach halten und weiter informieren. Über´n eigenen Tellerrand lesen, abseits vom Mainstream der großen meinungsmachenden und -bestimmenden Blätter. Gegenchecken, sensibel bleiben und kritisch sein. Mit Anderen reden und diskutieren. Sich bilden, andere bilden. Und SaZ lesen!