Interview mit Ja, Panik

Dance the ECB – Fight the Game

Anlässlich der VÖ ihres Albums Libertatia trafen wir uns mit den bezaubernden Andreas und Stefan von Ja, Panik zu einem ausgedehnten Kaffeeklatsch über Kuscheltiere und Männlichkeit, Musik und Dorfpfarrer, WG-Leben und Politik. Unerklärlicherweise verschwand das Interview zwischenzeitlich im Archiv. Weil es genau den richtigen Soundtrack für einen kleinen Ausflug nach Frankfurt/Main liefert, sei es der geneigten Leser_innenschaft heute nochmals ans Herz gelegt.

Straßen aus Zucker: In einem früheren Ja, Panik-Interview kommt ein Pyjama-Fetisch zur Sprache. Spielen auch Kuscheltiere bei euch eine Rolle?

Andreas: Ich habe so einen Hasen. Ich glaube, das ist das älteste Ding das ich besitze. Ein kleines Häschen. Und du hast so einen Polster, oder?

Stefan: Woher kennst du eigentlich den Polster?

A: Naja, weil du ihn immer mit hattest. Auf Skikurs und auch auf Tour am Anfang.

SaZ: Uns interessiert an Ja Panik unter anderem die Idee einer Band als Kollektiv, die ihr zeitweise sehr konsequent verfolgt habt. Zum Beispiel habt ihr in Wien in der sogenannten „Ja Panik-Zentrale“ zusammen gewohnt. Wieso habt ihr dieses Konzept lange durchgezogen und wie sieht es heute damit aus?

S:Das war schon immer ein wichtiger Bestandteil und ist es eigentlich nach wie vor. Bis vor zwei Wochen gab es auch in Berlin noch so eine Zentrale wo wir zeitweise zu viert und zu fünft zusammen gewohnt haben.

A: Das Wichtige ist, dass es einen Ort gibt an dem wir aufgehoben sind. Zentrale beschreibt das ganz gut. Im Endefekt haben nur sehr kurze Zeit alle zusammen gewohnt, doch es war immer klar, dass jeder hier einen Platz hat. Zum Beispiel bin ich einmal aus meiner Wohnung gefogen und zwei Tage später dort eingezogen.
Allerdings will ich das auch nicht zu romantisch sehen. Dieses Zusammenwohnen hat lange Zeit ermöglicht, dass und wie es die Band gibt, weil wir nie großartig finanziellen Erfolg hatten. Wir haben immer alles allein gemacht und hatten immer ein kleines Label. Auch das Umziehen nach Berlin wäre anders nicht möglich gewesen. Wir haben auch so fast keine Wohnung gefunden und das ist jetzt schon viereinhalb Jahre her. In der Anfangszeit, als wir die zweite Platte aufgenommen haben, haben wir zu fünft in einer mini-Wohnung gelebt.

SaZ: Sind denn euer Meinung nach Künstler_innenkollektive noch ein guter Ansatz um den Verwertungsdruck auf den Einzelnen abzuschwächen und sich mehr Freiräume zu erkämpfen?

A: In dem Moment wo sich ein paar Leute einen gemeinsamen Ort schafen, denn einen freien Ort gibt es sowieso nicht, ist das verfolgenswert. Ein klassisches Beispiel ist ein Proberaum. Wir teilen uns den zu dritt, denn ansonsten würde er sehr viel leer stehen. Ob das jetzt Künstler sind oder nicht ist völlig egal, es geht darum Räume zu nutzen. Ich fnde es gut wenn Menschen zusammen kommen und voneinander proftieren in dem sie Dinge teilen können und sich so ökonomischen Druck nehmen…

SaZ: Apropos Freiraum. Auf eurem gleichnamigen neuen Album nehmt ihr Bezug auf eine nicht eindeutig belegte Freibeuter-Kolonie auf Madagaskar, die nach „frühsozialistischen Grundsetzen“ mit Frauenrechten und Religionsfreiheit organisiert gewesen sein soll: Libertatia. Welche Rolle spielen für euch solche utopischen Orte und handelt es sich dabei auch um so etwas wie einen Sehnsuchtsort für euch?

A: Uns geht es nicht um diese konkrete historische „Idee“ namens Libertatia. Egal ob es die jetzt gegeben hat oder nicht. Das Interessante an utopischen Ideen, oder Menschen die sich mit ihnen beschäftigt haben, ist dieser Wille und vielleicht auch dieser Glaube an etwas so Jenseitiges dass es völlig System-sprengend ist. Das fnde ich ist das grundsätzlich positive an Utopien, dass sie im ersten Moment so wenig umsetzbar und so fern von dieser Welt erscheinen, dass sie sich in ein Jenseits projizieren. Den Mut das zu Denken fnden wir interessant, das Rehabilitieren der Utopie als Mut sich irgendwo hin zu denken. Denn der Ausweg innerhalb des Systems interessiert uns eigentlich nicht. Aber es geht uns nicht darum irgendwelche Regeln aufzustellen. Man wird nirgendwo lesen dass wir sagen: „Genau das und das ist Libertatia“. Uns geht es um den Gedankengang dort hin.

SaZ: Wie seht ihr denn das Verhältnis von Pop(musik) und Politik? In eurem aktuellen Album seid ihr ja plakativer als sonst und verwendet explizit politische Parolen und Begriffe („One world, one love, NO nation“, „Dance the ECB“, „ACAB“). Behalten diese Versatzstücke in euren Songs auch ihre ursprüngliche Bedeutung als konkrete Handlungs-Auforderungen, oder werden sie zu Rohmaterial für Texte, die ausschließlich Kunst sind? Stellt ihr euch vor, dass Leute durch eure Musik zu politischem Nachdenken und Handeln angestifet werden, bzw. mögt ihr diese Vorstellung?

A: Ich schreibe diese Lieder natürlich als politischer Mensch, aber ich will niemandem sagen wie er das hören soll. Allerdings habe ich selbst viel über Politik gelernt von z.B. „The Clash“ oder Patty Smith. Natürlich hat mir das nichts über einen gewissen Grad hinaus erklärt. Aber es hat mein Interesse bestärkt. Gerade in einem Alter in dem man völlig zu Recht mehr auf Musik hört als auf Eltern, Lehrer oder sonstige Autoritätspersonen kann das wichtig sein. Wie das jedoch bei uns funktioniert, kann ich schwer sagen. Es ist wohl so dass ich manchmal so etwas wie Fährten lege. Jedoch kann ich nicht sagen wie unsere Musik gehört wird. Ich kann nur sagen aus welcher Position heraus ich sie schreibe. Und dann immer diese Differenzierung als Kunst…
Mir wurde übrigens schon vorgeworfen ich hätte den Slogan „ACAB“ entpolitisiert. Was soll denn ACAB bitte für ein großartig politischer Ausdruck sein? Schon klar, ich akzeptiere auch keinen Bullen unter meinen Freunden. Aber wenn jemand zu mir sagt ich hätte diesen „großartigen“ Slogan ACAB entpolitisiert dann sage ich: „Gratuliere!“

SaZ: Es ist auch alles andere als progressiv, Menschen als „Bastards“ zu bezeichnen.

A: Genau, mich interessiert eben das umdeuten von gewissen Zeichen.

SaZ: Bei euch heißt ACAB ja auch „All cats are beautiful“.

A: Eben.

SaZ: Auf dem Album „DMD KIU LIDT“ gibt es ein Lied namens „Trouble“ das als Collage gehört werden kann, wenn man weiß, dass es um Walter Benjamin geht. Wir sehen aber außer diesem Einzelschicksal darin eine Beschreibung von Verhältnissen die heute hoch aktuell sind. Stichwort: EU-Grenzregime. War das eine Motivation den Song so und nicht anders zu schreiben?

A: Ich fnde das eine interessante Interpretation, da ich auch immer betone, dass es sich nicht um ein Stück für oder über Walter Benjamin handelt. Als ich das Stück geschrieben hab, hab ich grad über die Geschichte von Walter Benjamin und viel von Walter Benjamin gelesen. Aber ich sehe das Stück mehr exemplarisch. Diese Flucht die dann auch über ein Grenzproblem aufgehalten wird. Und dann noch dieses (der Legende nach) freiwillige Ausscheiden aus dem Leben. Diese Verzweifung. Aber in dem Stück geht es ja auch darum, dass er oder ich, das ist ja nicht ganz klar, jemanden fndet. Man fndet sich und hilf einander. Es ist schon so dass mich die Geschichte von Walter Benjamin sehr berührt hat. Jedoch handelt es sich nicht um eine Nacherzählung, im Grunde wird ja nur Portbou genamedropped um diese Fährte zu legen.

SaZ: In eurem Onlineshop gibt es von euch selbst hergestellte Produkte bis hin zu einer Einwegkamera mit 15 Fotos der Band. Macht ihr euch damit über die Situation der Kunst- und Kulturschafenden lustig, oder schwingt da auch heiliger DIY-Ernst mit?

S: Beides. Gerade bei der Einwegkamera haben wir lange überlegt ob man sowas überhaupt verkaufen soll, wie viel es wert ist und ob man das überhaupt bemessen kann.
A: Eigentlich sind es emotionale Werte die den Photographen daran binden. Das Interessante ist dass wir, die wir die Fotos machen, diese Bilder nie entwickelt sehen. Ich fnde es schön, diese Kameras aus der Hand zu geben und jemand anderem die Auswertung zu überlassen.
Wir hatten eine lange Diskussion, ob wir die Kameras für wahnsinnig billig oder exorbitant teuer verkaufen sollen. Es handelt sich ja im Grunde nur um ein Stück Plastik von dem wir 15 Fotos runter geklickt haben.
S: Am Ende ist es so viel wert wie jemand bereit ist dafür zu bezahlen. Das ist ja das komisch-perverse an diesem Kunstmarkt, und es spielt schon eine Rolle, das auf die Schippe zu nehmen. Wir haben übrigens auch unsere Arbeitskraft in der Einheit von Kilowattstunden angeboten. Auch für absurd viel, eigentlich. Es gab bis jetzt auch nur zwei, drei höchst zweifelhafe Angebote.

SaZ:Wie viel müssen wir euch bezahlen damit ihr unser Büro aufräumt?

A: Ich weiß gar nicht mehr wie viel das wirklich war. Wir haben den Preis in Unzen Feingold und Ellen Leinwand angegeben. Aber das ist auf keinen Fall überteuert. Können wir ja nichts dafür, dass Arbeitskraft von Anderen so billig ist. (lacht)

SaZ: Ihr habt vor Jahren eine Reise gemacht durch Nordafrika, und zwar mit dem Goethe-Institut. Wie war denn das so, Aushänge-Schild zu sein für eine Kultur – und dann auch noch ausgerechnet die deutsche?

A: Da wurde ganz viel diskutiert drüber, weil es natürlich schwierig bis absurd ist, dass wir da als Deutsche verkauf wurden. Genau das hat es uns andererseits auch wieder ein bisschen leicht gemacht, weil sich die Frage für uns als Nicht-Deutsche ja gar nicht gestellt hat. Aber wir wurden tatsächlich als Deutsche bzw. Berliner Band verkauf dort. Letztlich war es dann dort aber egal, es interessierte nicht, weil die Leute nicht auf unserer Konzerte gekommen sind, um die „deutsche Kultur“ zu genießen oder son Quatsch.
Hier ist das ein viel größeres Thema. Und wir sind da unentschieden; also ich find’s scheiße, aber ich würd’s trotzdem wieder machen, weil einfach mehr dafür spricht. Das war unsere erste Reise mit dem Goethe-Institut und ich fand’s wahnsinnig bereichernd, für die Band, für uns, irgendwo hin zu kommen, und zwar nicht in einem touristischen Sinn da rum zu fahren, sondern als Band, mit dem was wir auch hier machen. Und obwohl Du natürlich dort, vor allem im Sudan, nur die vom Goethe-Institut gefilterte Realität bekommst, ist es OK solange Dir das alles bewusst ist.

SaZ: In euren Videos nehmt ihr oft ungewöhnliche Posen ein, vor allem unter Gender-Aspekten. Unsere etwas Küchen-psychologische Interpretation wäre, dass ihr damit eine Verletzbarkeit oder Angreifbarkeit von Männlichkeit darstellt. Könnt ihr dem etwas abgewinnen? Und was für Reaktionen bekommt ihr darauf?

S: Wie die Leute sich da angegriffen fühlen ist unglaublich! Bei dem Distelmeyer-Video sowieso, aber auch beim Libertatia-Video, was wir da für Hass zurück bekommen haben in den Kommentarfeldern – da gibt’s mehr Hass-Postings als positive, das muss man unterm Strich sagen…

A: Es verletzt Männer. Und das ist auch OK. Es gibt auch kein schöneres Experimentierfeld als die weiße, junge, ich sag jetzt mal „heterosexuelle“ Jungsband ordentlich durch den Schlamm zu ziehen. Da kommt ja auch einfach ganz viel zusammen was man hasst…

SaZ: Bei euren Aufritten steht ihr ja nicht mehr als reine Männer-Band auf der Bühne. Verändert das prinzipiell etwas oder ist das eh schon immer wurscht gewesen bei euch?

A: Das Gender-Ding würd ich nicht im Vordergrund sehen. Die viel größere Veränderung war, dass es nach langer Zeit eine neue Gruppe gibt, in der wir Musik machen. Laura ist ja jetzt offizielles Bandmitglied, wie wir hiermit verkünden können. Allerdings spielt das Geschlecht der neuen Person dabei überhaupt keine Rolle. Tatsächlich waren wir ganz lange so ne Jungsband, die ja auch aus einer Schüler-Band hervor gegangen war, die wir mit 15 gegründet haben. Damals hat man halt mit den Leuten Musik gemacht, mit denen man auch sonst rumhing, und das waren halt Jungs. Wir hatten einfach überhaupt kein Gefühl für solche Fragen – ich meine, wir haben Oasis gehört. Wenn wir Ja, Panik ein paar Jahre später gegründet hätten, wären wir wahrscheinlich sensibler dafür gewesen.
Stattdessen hatten wir einmal den evangelischen Pfarrer als Sänger dabei.

SaZ: Wie das?

S: Wir waren eine Zeit lang tatsächlich die Schul-Band. Der Pfarrer war so ein alt-Achtundsechziger mit vorne Glatze und hinten langen Haaren. Und wir waren seine Backing Band.

SaZ: Zu zweit?

A: Nein, nein, da waren noch andere dabei, da war eh der Haider Mike von „End of Domination“, einer Hardcore Band, und unser damaliger Gitarrist war auch noch dabei. Wir waren so eine Projektions-Fläche für den Pfarrer, weil er hätte so gern eine Rock-and-Roll-Band gehabt, und das waren dann wir. Und dann haben wir so R.E.M. und Stones gespielt, „Sympathy for the devil“ hat der beim Schul-Gottesdienst gesungen in der Aula. Dem katholischen Pfarrer hat’s nicht gefallen.

SaZ: Wir mögen die politische Haltung sehr, die in „Libertatia“ angedeutet wird. Leider sind wir keine Band und müssen auf anderen Wegen versuchen, die Welt von Staaten und Nationen zu befreien – habt ihr Tipps?

A: Schwierig. Wie war das damals, als wir auf Tour diese Tramperin mitgenommen haben, die uns dann ganz stolz erklärt hat, sie sei so arg anti-deutsch, sie habe jetzt sogar ihren Pass verbrannt? (Lachen) Da hab ich gesagt: „Gratuliere, Du wirst jetzt so schnell aus Deutschland nicht mehr raus kommen.“
Also, anders formuliert: es ist klüger, immer wieder die eigenen Argumente zu überprüfen und die Dinge neu zu bewerten – nicht gleich den Pass verbrennen. Erst wenn man dann wirklich ausgewandert ist.

SaZ: Letzte Frage: dürfen wir euch das nächste Mal in der Badewanne interviewen?

S: Klar, sehr gern.