Big Boom Bang!

Die Occupy-Bewegung und die Krise

Eigentlich geht das jetzt schon ganz schön lange. Als 2008 in den USA die ersten Banken zusammenbrachen, redeten zuerst alle von einer „Finanz-“, dann von einer „Schuldenkrise“. Standen erst die USA im Mittelpunkt, gilt aktuell Europa als Zentrum der Krise. Gegen deren Folgen protestierten die letzten Monate weltweit zigtausend Menschen – ob die Demonstrant_innen in Griechenland oder die „Occupy“ Bewegung in New York und im Frankfurter Bankenviertel. Doch was hat es eigentlich mit dieser komischen Krise auf sich? Und Wir haben uns angeschaut, was diese Bewegungen für Ideen für eine politische Organisierung bringen können.

New Kids on the Block?
Das Auffälligste an den neuen Bewegungen ist, dass sich viele Leute, die oftmals davor noch nie politisch aktiv waren, zusammenschließen und teils neue, bisher kaum bekannte Protestformen für sich entdecken und sich organisieren. Mit vielen anderen gemeinsam vor der Börse oder dem Parlament zu campieren, Entscheidungen in den täglichen „Assambleas“ genannten Versammlungen zu fällen, keine „offiziellen“ Vorsitzenden zu haben, seine Interessen selbst zu verfolgen und sie nicht von Parteien oder Chef_innen vertreten zu lassen, entspricht nämlich erst einmal so gar nicht dem, wie wir uns aus Sicht mancher Lehrer_innen oder der „Bundeszentrale für Politische Bildung“ politisch engagieren sollen. Die Aktivist_innen richten auch keine konkreten Forderungen an den Staat oder irgendwelche Parteien. Sie wollen nicht ein bisschen weniger Ungerechtigkeit oder ein bisschen mehr Mitbestimmung, sondern drücken zunächst einfach ihre Unzufriedenheit mit dem Bestehenden aus und diskutieren über mögliche Alternativen.

You scream, we scream, ice cream!
Das wohl bekannteste Beispiel für den politisch geschickten und unerschrockenen Umgang mit staatlicher Gewalt und politischen Autoritäten ist das „Human Mic“, das die Occupy-Bewegung in New York erfunden hat: als die Stadtverwaltung verbot, bei den Versammlungen Lautsprecher einzusetzen, sprachen kurzerhand all diejenigen, die in der ersten Reihe standen, die Sätze der Redner_innen nach. So konnten nicht nur alle die Reden verstehen, sondern es wurde auch ein eindrucksvolles Beispiel gegeben, wie durch ein gemeinsames Handeln staatlicher Repression zumindest teilweise erfolgreich begegnet werden kann.

Genau darin, dass die Bewegung ganz neue Formen politischer Entscheidungsprozesse ausprobiert, nicht, wie immer gefordert „konstruktiv mitarbeitet“ und sich zudem erfolgreich gegen die Vereinnahmungen durch politische Parteien wehrt, liegt ihre große Stärke. Die Stärke der Bewegung liegt genau darin, dass sie eben nicht, wie immer gefordert „konstruktiv mitarbeiten“. Zusätzlich weigern sie sich mit politischen Parteien zu kooperieren oder sich vereinnahmen zu lassen.
Denn nur so hat sie es geschafft, dass ihre politischen Inhalte nicht sofort in einem wahlkampftauglichen Programm weichgespült wurden und die Diskussion ihrer Forderungen auf den nächsten Wahlkampf vertagt wurden. Superwichtig war auch, dass sich bislang (kaum) jemand in der Bewegung national vereinnahmen ließ. So erklärte sich in Deutschland z.B. das Camp vor dem Berliner Parlament solidarisch mit den Protestierenden in Griechenland, statt im Chor mit fast allen Zeitungen und Politiker_innen zu jammern, dass die „Pleitegriechen unser Steuergeld verprassen“ würden.

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern
Die große Offenheit der Bewegung, die sich aus ihrer Organisationsstruktur ergibt, führt allerdings auch zu Problemen. In vielen Camps finden sich Personen, deren Erklärung für die Krise auf verschwörungstheoretische oder offen rechte Positionen zurückgreift, wie etwa Anhänger_innen der sektenartigen „Zeitgeist“-Bewegung. Auch die relativ ungeteilte Begeisterung sämtlicher Medien – von der Möchtegern-hippen „Neon“ bis zur konservativen „FAZ“ – macht erst einmal stutzig. Die Bewegung muss sich fragen, warum sie diese Leute, die sonst jede soziale Kürzung bejubeln, anzieht und so viel Beifall aus allen Richtungen bekommt. Und hier kommen wir zu den politischen Zielen, die von den selbsternannten „99 Prozent“ nach außen vertreten werden.

„Sei nicht so gierig!?“
Viele Aktivist_innen erklären die Krise damit, dass sie durch die „maßlose Gier“ einzelner Manager_innen und Banker_innen und ihre „verantwortungslose Spekulation“ ausgelöst worden wäre. Diese Erklärung scheint zunächst auch naheliegend: In der Tat muten die astronomischen Gehälter Einzelner absurd an, wenn man sie den Minilöhnen und dem Elend der Vielen gegenüberstellt. Wenn diese Deutung zutreffen würde, wäre die Lösung ebenso einfach wie naheliegend: Der individuellen Gier einzelner Menschen müssten durch stärkere staatliche Regelungen Grenzen gesetzt werden.

Diese Kritik übersieht aber, dass es in der Struktur unseres Wirtschaftssystems liegt, dass sich Manager_innen „gierig“ oder unethisch verhalten müssen, selbst wenn sie eigentlich ganz nette Menschen sind: Das Problem sind also nicht einzelne Personen, die sich nicht genügend an moralischen Grundsätzen orientieren, sondern das Gesellschaftssystem als Ganzes. Der Kapitalismus bringt nur deshalb so viele Veränderung hervor, weil immerfort alle um die möglichst günstigsten Produktionsbedingungen konkurrieren müssen. Wenn ich z.B. ein neues Smartphone herstellen will, muss ich immerfort versuchen die Löhne derjenigen, die das Teil zusammenbauen, zu drücken, um so ein billigeres Phone zu produzieren als all meine Mitkonkurrent_innen. Die wiederum versuchen genau das Gleiche, denn auch sie wollen ihre Dinger ja verkaufen.

Früher war alles besser, früher war alles gut?
Zumindest ein Teil der Protestbewegung zielt deshalb mit seiner Kritik eben nicht auf den Kapitalismus als ein Wirtschaftssystem, das zwangsläufig Krisen und Armut hervorbringt, sondern fordert einen – vergleichsweise „humaneren“ – Kapitalismus, wie es ihn z.B. in Westdeutschland in den frühen 70er Jahren gab. Dabei wird vergessen, dass der relative Massenwohlstand zu dieser Zeit, der in dieser Zeit in Teilen Europas und den USA herrschte, in der Geschichte des Kapitalismus eine Ausnahmesituation darstellt, die durch eine besondere historische Situation zustande kam. Die jetzige Situation, in der die Gewinne Einzelner immer größer werden, während der Anteil der großen Bevölkerungsmehrheit am Wohlstand sinkt, entspricht dagegen viel typischer der kapitalistischen Normalität. Und schon ein Blick auf die Geschichte des Kapitalismus zeigt, dass dieses Wirtschaftssystem Krisen periodisch produziert und diese so regelmäßig auftauchen wie das „Amen“ in der Kirche. Ob 1929, 1973 oder 2000 – noch nach jeder großen Krise erzählten die Politiker_innen anschließend, dass sie nun die ultimativen Instrumente gefunden hätten, damit so etwas nie wieder passiert. Komisch nur, dass die Krise mittlerweile fast Normalzustand geworden ist.

Let‘s push things forward!
Die aktuelle Situation bietet damit gute Voraussetzungen, um den gesamten kapitalistischen Irrsinn grundsätzlich in Frage zu stellen. An den Neoliberalismus – Steuern senken, Sozialausgaben kürzen und so viel wie möglich privatisieren – als ein Heilsversprechen zur Wohlstandssteigerung breiter Bevölkerungsschichten mag seit der Krise kaum jemand mehr glauben. Genau das Programm wird zwar härter denn je durchgesetzt, aber eben nur noch, weil es hierzu angeblich keine Alternative gäbe. Die Protestbewegungen gegen die Krise stellen genau diese Alternativlosigkeit in Frage. Und suchen laut nach Alternativen zu der aktuellen Gesellschaftsordnung. Daher gilt es, sich an dieser Auseinandersetzung kritisch und solidarisch zu beteiligen. Und darauf hinzuweisen, dass nur ein grundlegender Bruch mit dem Bestehenden die Chance bietet, das aktuelle Elend zu überwinden.

In dieser Situation muss bedacht werden, dass die Reaktion auf die Krise immer auch reaktionär ausfallen kann: in Ungarn kann zurzeit z.B. beobachtet werden, wie die Verarmung vieler Menschen zu einem „mehr“ an autoritärem Polizeistaat und nationalistischer Ideologie bis hin zu offener rassistischer Ausgrenzung führt. Es liegt an uns, solch autoritären Reaktionen auf die Krise entgegenzutreten und deutlich zu machen, dass nur ein grundlegender Bruch mit der kapitalistischen Produktionsweise und eine entschiedene Absage an jegliche nationale Lösungsversuche eine Möglichkeit bietet, das alltägliche Elend zu überwinden.

Zum Weiterlesen:
Zeitschrift „Kosmoprolet“ Nr. 3, Klick!
Antikapitalistisches Aktionsbündnis „M 31“ aus dem Jahr 2012 –
http://march31.net/de/