Warum es sich lohnt Politgruppen zu gründen und wie man Fallstricke im Organisierungsdschungel vermeidet
In diesem Artikel soll es um Gründe gehen, warum es sinnvoll ist, sich zusammenzutun. Kein Geheimnis: Wir sind fürs Zusammenschließen, machen selber im Kollektiv eine Zeitung und sind auch noch in anderen Zusammenhängen organisiert. Die Eine bereitet einen internationalen Aktionstag zur Krise vor, ein Anderer bietet ärztliche Hilfe für illegalisierte Flüchtlinge an, mehrere sind in Lesekreisen oder im AstA aktiv usw. Wir müssen aber auch sagen, dass wir alle schon frustrierende Erlebnisse in solchen Gruppen hatten. Einige haben sich sogar geschworen nie wieder in eine Gruppe zu gehen und trotzdem sitzen sie jetzt hier. Wir alle kennen aber auch Menschen, die keinen Bock auf Organisierung haben. Es gibt also einige Gründe dagegen, aber auch viele gute dafür. Hier soll es um all das gehen. Doch von vorne.
Der Hauptgrund fürs Organisieren ist klar: Zusammen erreicht man mehr. Nazis lassen sich nicht allein vertreiben, da braucht es viele. Wenn man keine Lust mehr aufs Rumhängen an der Tanke hat, ist die Forderung nach einem autonomen Jugendzentrum nur so stark wie diejenigen, die die Idee unterstützen. Das sind nur zwei Beispiele, wie einige von uns die ersten Erfahrungen mit politischen Gruppen machten, wenn sie nicht gerade den örtlichen Bach von Müll säuberten. Ist man damit erfolgreich, kann man also einen Naziaufmarsch verhindern oder einen eigenen Laden organisieren, das ist ein extrem gutes Gefühl.
Auch ein Blick in die Geschichte zeigt, Organisierung ist notwendig um Veränderung zu bewirken: Theorien und praktische Versuche die Gesellschaft anders und besser einzurichten gibt es schon sehr lange. Manches, was für uns heute selbstverständlich ist, ist das Ergebnis langer zäher Kämpfe: das Ende der Sklaverei, das Frauenwahlrecht oder die Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität. Und auch viele Sozialgesetze wurden erst eingeführt, weil es Radikalen ums Ganze ging und der Staat versuchte sie mit Zugeständnissen zu befrieden.
Ich sehe was, was du nicht siehst
Unser zweiter Grund für politische Organisierung: Wir wollen zusammen und voneinander lernen. In Gruppendiskussionen die eigenen Argumente zu prüfen und an Erklärungen rumzubasteln kann immens weiter bringen. Denn wirklich etwas darüber rausfinden, warum man z.B. von der Polizei verprügelt wird, wenn man gegen Nazis demonstriert, wird man wahrscheinlich nicht im Politikunterricht, wo den Schüler_innen „die Notwendigkeit von Staatsgewalt“ bewusst werden soll, wie es z.B. im Lehrplan für Bayern heißt.
Allerdings hat der Punkt, dass man in Diskussionen oft mehr lernt als alleine, einen Haken: Denn Organisierungen bringen auch Probleme mit sich, z.B. hierarchische Gruppenstrukturen. Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass gerade in jüngeren Gruppen, z.B. Jugend-Antifas, „große“ Theoretiker_innen eingeladen werden, die ganz viel Eindruck machen, aber eigentlich nur einschüchtern. Oder es bilden sich „Anführer_Innen“ heraus, die vielleicht ein bisschen älter und belesener sind. Das macht klein und oft denkt man: Ich kann das nicht und werde es auch nie können. Viele bleiben dann weg, andere übernehmen nur noch Organisierungsarbeit. Und wenn diese komischen Dynamiken und die Hierarchien doch mal angesprochen werden – eine Aufgabe, die leider immer noch größtenteils von Frauen übernommen wird – ist es doch ein Wagnis, ob man mit seiner Kritik durchkommt und ernst genommen wird. Für das Streiten wollen wir uns aber hier sehr aussprechen. Zu schnell kommt man in den Organisierungs-Teufelskreis, der darin besteht, dass man Angst vor dem Papa- oder Mamaschlumpf der Gruppe hat, diese verdrängt, sich durchbeißt, um dann selber irgendwann der Oberschlumpf zu werden, der andere einschüchtert. Wie verrückt ist das denn? Da organisieren wir uns in Gruppen, um gegen diese furchteinflößende Gesellschaft vorzugehen, streiten für eine Gesellschaft, in der viele der Sorgen, die uns hier lähmen, nicht mehr auftreten – und verursachen uns dabei gegenseitig Angst und Leistungsdruck. Aber einige Verfahren zur Eingrenzung negativer Begleiterscheinungen von Gruppenprozessen haben sich als ganz brauchbar erwiesen: Redeleitungen z.B. können helfen, dass Menschen, die weniger sagen, Vorrang haben. Oder regelmäßige Aussprache-Runden, in denen z.B. (Wissens-)Hierarchien offen angesprochen werden. Frauen/Trans-Plena, in denen mal ohne die oft dominierenden Männer gesprochen werden kann. Eine Antwort auf die sich herausgebildeten informellen Machtstrukturen kann sein, formale Strukturen einzuführen – z.B. eine rotierende Aufgabenverteilung, so dass jede_r mal moderiert, das Protokoll oder den Aufruf schreibt. Schreibwerkstätten, in denen die, denen das Schreiben schon leichter fällt, den anderen Tipps geben, können helfen. Denn wer auch noch so routiniert im Schreiben oder Reden wirkt, wird – fragt mal nach! – diese Angst auch mal gehabt haben.
Wie soll das denn bloß im Kommunismus klappen?
Wir setzen keine Hoffnung in die Revolution – sondern wollen diese machen und eine Gesellschaft aufbauen, in der es nach Bedürfnissen geht. Wofür es eben auch Kommunikationsformen braucht, die nichts mehr mit der allgegenwärtigen Herrschaft in dieser Gesellschaft zu tun haben. Doch diese brauchen wir auch schon auf dem Weg dahin. Das wäre der dritte Punkt, der dafür spricht sich in Gruppen zu organisieren: Kollektivprozesse und herrschaftsfreies Aushandeln wollen gelernt sein. Wollen wir Konsensprinzip oder Abstimmungen? Wie organisiert man Gruppen über Sprachgrenzen hinweg? Wie durchbricht man die albernen Abgrenzungsspiele mit anderen politischen Gruppen – denn auch wenn inhaltliche Differenzen sicherlich trennen, gibt es immer noch den vermeintlichen Extra-Grund namens: Meine Gruppe ist die coolste. Das sollte als Machtspiel erkannt und Gegenstand der Kritik werden. Gruppen können auch normieren. Meist unmerklich wird dann nur noch innerhalb eines abgesteckten Rahmens gedacht, ja sogar die Sprache der Leute kann sich angleichen. Dieser Prozess hat zwei Seiten: Einmal verkümmert die Gruppe, sie ist kein Ort mehr, an dem neue Ideen entwickelt werden. Anderseits wirkt das auch nach „Außen“: Die Gruppe wird als abgehärtetes „Wir“ wahrgenommen. Sie belebt dann nicht mehr das Umfeld – was Gruppen sonst meist in großem Maße tun -, sondern verödet es. Alle Anzeichen für diesen Normierungszustand sollten zum Thema auf Sitzungen werden und Kritiker_innen von „Außen“ eingeladen werden.
Bei aller Kritik, die wir hier nun erwähnten, ist jedoch zu bedenken, dass es nie den idealen Zustand einer Gruppe geben wird, Probleme tauchen immer wieder auf und müssen eben neu verhandelt werden.
Auch zu Folgendem kann in Gruppen gelernt werden: Wie geht man mit den unterschiedlichen Zeitbudgets der Leute um? Die eine beginnt einen aufzehrenden Job, die anderen sind seit kurzem für ein Kind verantwortlich oder stecken mit beiden Ohren im Schul- oder Unistress. Das ist für uns der vierte Grund für die politische Organisierung: Wie bekommt man alles unter einen Hut, gibt es nicht Möglichkeiten, sich zu helfen? Dies gilt sowohl im Alltag als auch im Falle staatlicher Repression. Wer sich nämlich aufrafft und politische Aktionen startet, der oder die wird schnell feststellen, dass der Staat ein großes Interesse hat, dies zu unterbinden. So sehen sich beispielsweise Menschen, die in den letzten Jahren mit Sitzblockaden gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden demonstriert haben, mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung konfrontiert, worauf bis zu 5 Jahre Knast stehen. Das macht natürlich Angst und man fragt sich zwei Mal, ob man sich dem ganzen Stress aussetzen möchte. Gleichzeitig hilft die Gruppe, dass man mit einer solchen Repressionserfahrung, den Kosten o.ä. nicht alleine bleibt.
Die Gruppe braucht es auch, weil die Gesellschaft einen ziemlich schnell abstumpfen lässt: Jeden Tag zur Schule, Uni oder Arbeit zu gehen und sich einrichten zu müssen, kann, wenn man dort nicht auf Gleichgesinnte und gute Ideen stößt, katastrophale Auswirkungen haben auf die Fähigkeit Kritik üben zu können. Viele von uns wurden gerade in Gruppen beflügelt. Außerdem ist es gut, wenn man sich mit politischen Leuten über die Alltagssorgen (Stress mit Vermieter_innen, sexistischen Mackern, Lehrer_innen, im Job oder mit dem JobCenter) austauschen kann. Zu oft werden diese Fragen beim Bier danach verschoben, anstatt sie als die zu begreifen, die sie sind: Die Situationen, in denen die ganze Herrschaft konkret wird und die deswegen Gegenstand der politischen Arbeit sein sollten.
So, das waren sie, unsere vier Gründe, warum die Organisierung sinnvoll ist. Findest Du die nicht überzeugend, dann schreib uns, diskutier mit uns. Ansonsten: Los geht es! Sucht und gründet Gruppen, vernetzt Euch, organisiert, schreibt Texte. Vamos a la playa!
Zum Weiterlesen:
- Unser Text zum Aufbau von Antifa-Gruppen aus der #14
- Tipps zum Aufbau von Gruppen – http://www.hierarchnie.de.vu
- Tipps&Tricks für Antifas – http://tippsundtricks.blogsport.de, Neuauflage 2017 für 5 Euro beim Unrast-Verlag.
- Einiges zur Organisierungsfrage im auch sonst höchst empfehlenswerten Mitschnitt eines Gesprächs von Rüdiger Mats und Thomas Ebermann.
- Diskus – Frankfurter Student_innenzeitschrift, 2016 zur Organisationsfrage.