No Front!

Wie steht es um die Linken und den Krieg?

Unter Linken herrscht Utopieflaute. Die Kriege in Nahost und der Ukraine tragen maßgeblich dazu bei. Sie haben alte Gewissheiten umgeworfen und rufen nach einer Haltungsänderung. Waffenlieferungen und Aufrüstung werden neu diskutiert. Einige Linke, die diese Forderungen bislang kategorisch abgelehnt haben, sehen sich dazu nicht mehr in der Lage. Andere, die friedenspolitische Prinzipien wie z.B. Diplomatie weiterhin hochhalten, haben einen schweren Stand. Das spaltet, macht ohnmächtig und hoffnungslos.

Wie aber kann es Linken gelingen, auf die komplexen Bedrohungslagen von heute einzugehen, ohne die eigenen Prinzipien zu verraten? Wo muss an friedenspolitischen Mitteln festgehalten werden? Und wo müssen Eingeständnisse gemacht werden? Wir als SaZ-Redaktion haben da auch kein Patentrezept. Aber egal, wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen – wenn wir nicht wollen, dass Freund:innenschaften und Politgruppen zerbrechen und die verschiedenen Lager zunehmend einheitliche Zusammenschlüsse bilden, müssen wir reden.

Dieses fiktive Tischgespräch soll eine Anregung zum Diskutieren sein, um utopische und linke Ideen neu zu entwerfen – oder zumindest Onkel Bernd am Frühstückstisch Paroli zu bieten.


Bernd: Na Mara, wie läuft‘s in der Schule?

Mara: Es geht. Letztens hatten wir Besuch von einem Jugendoffizier der Bundeswehr. Aber in ganz lockerem Rahmen. Wir durften ihn sogar duzen. Da kann man sich direkt ausmalen, wie gesellig es mit so einem im Schützengraben wäre. Aber Spaß beiseite: Es geht gar nicht, dass die Schule jetzt zur Personalbeschaffungsstelle fürs Heer wird.

Bernd: Findest du nicht, dass du es dir damit zu einfach machst? Ich war früher auch bei Friedensdemos, aber damals war Deutschland auch in einer bequemeren Lage und wurde durch Supermächte aus West und Ost beschützt. Auf die können wir heute aber nicht mehr zählen.

Mara: Es reicht natürlich nicht, das Militär als Schmuddeltruppe abzutun – obwohl es dafür gute Gründe gibt. Man muss sich trotzdem tiefer damit befassen. Und weil die Welt so kompliziert ist, wie sie ist, stecken linke Positionen da natürlich schnell in der Klemme. Aber gerade weil man sich nicht damit zufriedengeben darf, hinter Waffengewalt zu stehen, muss man sie von innen heraus verstehen. Pöbeln allein reicht nicht.

Bernd: Ja, dann ist es doch nur richtig, auch in der Schule zu informieren!

Mara: Nein, da geht es ja gerade nicht darum, zu informieren und die Bundeswehr auf ein nötiges Minimum zu begrenzen. Es wird kein Hehl daraus gemacht, dass der Truppe da gerne von jungen Menschen die Tür eingerannt werden soll. Die Zahl der minderjährigen Soldat:innen in Deutschland geht momentan hoch. Warum wird es Lehrkräften nicht zugetraut, Sicherheitspolitik zu vermitteln? Ich dachte, dass Schulen ein neutraler Ort sein sollen. Im Fall der Bundeswehr wird so getan, als ob die eine neutrale Notwendigkeit darstellt. Wir sollen schon früh lernen, dass Sicherheit olivgrün und uniformiert aussieht. Aber was ist eigentlich mit Friedensorganisationen? Nicht mal die scheiß UN werden eingeladen!

Bernd: Die Bedingungen machen das unmöglich. Deutschland stellt sich darauf ein, dass Sicherheit heutzutage ein ernst zu nehmendes Bedürfnis ist. Und tut mir leid, aber ich glaube, Linke sind leider nicht in der Lage, Antworten auf aktuelle Sicherheitsfragen zu geben. Und »Frieden schaffen ohne Waffen« hört man natürlich extra laut, wenn das geliebte Russland involviert ist.

Mara: Natürlich ist diese Sowjetnostalgie Quatsch. Aber die aktuelle Dämonisierung der gesamten russischen Nation ist auch dumm. Nicht alle Russ:innen stehen hinter Putin. Solche Feindbilder erzeugen bei den Menschen mehr Kriegsbereitschaft und das ist auch so gewollt. Und was Waffenlieferungen angeht, ist nicht gesichert, dass immer mehr davon der Ukraine wirklich helfen. Natürlich ist es seit dem Ukrainekrieg schwer, klar dagegen zu sein. Es gibt seltene Fälle, bei denen militärische Intervention notwendig sein kann. Deutschland wurde z.B. auch nicht mit guter Gesprächsführung vom Faschismus befreit. Aber wichtig ist, dass zuerst alle zivilen Maßnahmen ausprobiert werden. Die deutsche Regierung setzt aktuell blindlings auf militärische Verteidigung. Sicherheit ist aber nicht einfach Schießen und Grenzen sichern. Echte Sicherheit heißt soziale Sicherheit, und zwar global. Oder ein bisschen mehr Mühe, die Klimakatastrophe zu verhindern. Das würde für viele Menschen echte Sicherheit bedeuten. Aber das juckt hier nicht.

Bernd: Aber im Fall der Ukraine muss man sich Putins Absichten genau angucken. Der träumt von einem großrussischen Reich. Und es gibt keine Garantie dafür, dass die Ukraine sein letztes Opfer ist. Solchen Leuten darf man nicht mit Zweifeln begegnen. Die muss man abschrecken, und zwar mit Panzern! Man muss dem Gegner signalisieren: Du brauchst es gar nicht erst zu versuchen.

Mara: Durch genau diese Ideologie ist die Welt wieder mitten in einem Wettrüsten. Das Problem dabei ist, dass irgendwann mal einer Ernst machen muss. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Bloß, dass dieses Feuer uns alle auslöschen könnte. Und das sollte uns allen mehr entlocken als ein bloßes »muss ja«. Das passt aber nicht zum Anspruch des Bundeskanzlers, europäische Führungsmacht zu werden. Der Traum einer bombensicheren Festung, die mit den Großen am Tisch sitzen kann, hat für Frieden leider nicht viel übrig.

Bernd: Dieser Anspruch Deutschlands könnte sich aber auch positiv auswirken und zu einer Stabilität Europas beitragen. In Deutschland ist immerhin noch keine rechtsextreme Partei an der Spitze – anders als in anderen europäischen Ländern. So kann Europa als globale Friedenskraft wirken. Der Westen steht für Freiheit und sollte dafür auch eintreten.

Mara: Deine Argumente klingen erst mal ganz nett. Aber leider endet diese sogenannte Freiheit spätestens an den Außengrenzen. Und ich weiß nicht genau, was du mit Friedenskraft meinst. Die militärischen Ausgaben Deutschlands stehen in starkem Kontrast zu den vergleichsweise geringen Investitionen in friedliche und präventive Maßnahmen. Außerdem ist Deutschland immer noch einer der größten Waffenexporteure – auch an die Türkei oder Saudi-Arabien. Die machen genau das, was Putin macht. Aber da liefert man Waffen hin. Das Gerede über eine Friedensmacht ist also blanke Heuchelei.

Bernd: Klar hat Deutschland geopolitische und wirtschaftliche Interessen. So funktioniert Außenpolitik. Und ja, vielleicht ist es ein Eigentor, so zu tun, als würde Moral eine Rolle spielen. Vielleicht sollte die Regierung direkt kommunizieren, dass es keine Werte, sondern staatliche Interessen sind, die die Außenpolitik leiten.

Mara: Das wäre das Mindeste. Apropos staatliche Interessen: Jetzt wird ja der Wehrdienst wieder eingeführt. Ich für meinen Teil habe nicht das Bedürfnis, mich hinter einen Staat zu stellen, der als Erstes beim Schulessen und beim Kindergeld spart. Und selbst wenn, lasse ich mich nicht verheizen. Wie wäre es denn mal mit einer Aufrüstung des Sozialstaats? Dazu dann gerne noch ein Sondervermögen fürs Klima! Die Kohle dafür ist da. Aber wir sollen uns jetzt bereit machen für die Front, um für ein Land zu kämpfen, das in Kriegswirtschaft investiert und uns mit immer aggressiverer Abschiebepolitik in Sicherheit wiegen will. Erst sollen wir alle allein klarkommen und jetzt auf einmal für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unseren Kopf hinhalten? Das wahre Problem ist doch, dass wir in einer Welt leben, in der Staaten konkurrieren und dafür dann auch gerne mal die eigenen Untertanen zur Waffe greifen lassen, um aufeinander loszugehen.

Bernd: Na ja! Auch wenn nicht alles perfekt ist, haben wir hier in Deutschland eine Demokratie, Menschenrechte und relativen Wohlstand. Kannst du mir mal die Butter geben?

Mara: Willst du »Butter oder Kanonen«?

Bernd: Hä?

Mara: Das hat der Präsident eines Wirtschaftsforschungsinstituts letztens in einer Talkshow gebracht. Diese zynische Frage hat übrigens auch schon Rudolf Hess, Reichsminister und Stellvertreter Hitlers, gestellt, als es darum ging, das gesamte zivile Leben dem Krieg unterzuordnen. Ich habe so langsam das Gefühl, Deutschland geht wieder Richtung Heimatfront.

Bernd: Dieses Land ist nicht kriegstüchtig. Es gibt bei den Leuten eher eine Abneigung gegenüber allem, was mit Krieg zu tun hat. Und die Bundeswehr hatte nicht mal genug Geld für Unterwäsche. Da geht es eher ums Ausrüsten als ums Aufrüsten. Und es ist gut, die Leute mal mit der Realität zu konfrontieren.

Mara: Das sind aber teure Unterhosen. Und wer sagt, wann genug ist? Wer stellt sicher, dass der Schutz von Menschen im Fokus steht und nicht die militärische Sicherheit von Staaten oder das Wahren von künstlich gezogenen Grenzen? Und genau deshalb gilt es, sich als Linke gegen diese Kampflust zu stellen, die es auch noch wagt, sich Sicherheitspolitik zu nennen.

Bernd: Ich hoffe natürlich auch, dass wir bald in die Lage kommen, uns wieder um friedenspolitische Fragen zu kümmern. Das sehe ich aber gerade nicht. Vielleicht schaffen wir ja davor ein wenig Entspannungspolitik am Frühstückstisch?

Mara: Die Voraussetzungen für Friedenspolitik werden nie vom Himmel fallen. Wirkliche Friedenspolitik muss aktiv gestartet werden – ohne Illusionen und ohne Heuchelei. Aber hier hast du einen Punkt: Frühstück ist zwar nicht alles, aber ohne Frühstück ist alles nichts.


Zum Weiterlesen und -hören:
Peter Wahl: Der Krieg und die Linken. Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden. 2023. 10 €.
Jan van Aken: Worte statt Waffen. Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann. 2024. 23 €.
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