Warum Technik zwar nice sein kann, aber den Kapitalismus nicht fixt
Klimaforscher*in zu sein, ist vermutlich einer der frustrierendsten Jobs überhaupt. Man redet sich den Mund fusselig, damit vielleicht doch ein wenig mehr getan wird, um eine globale Katastrophe zu verhindern – aber es hört leider niemand zu. Ein Leiden, dass Klimaforscher*innen mit Epidemiolog*innen teilen. 2012 hat das Bundesamt für Bevölke- rungsschutz (ja, das gibt es wirklich) zusammen mit dem RKI eine Studie herausgebracht, in der das Szenario einer globalen Pandemie mit einem Corona-Virus durchgespielt wird, welches massive Ähnlichkeiten zur realen Covid-19-Pandemie aufweist. Was der Bericht mit den Erkenntnissen aus der Klimaforschung teilt? Er wurde komplett ignoriert. Empfehlungen, wie Schutzausrüstung in Krankenhäusern bereitzuhalten oder die Gesundheitsämter besser zu vernetzen, wurden überhört. In beiden Fällen wäre bessere Krisenprävention ohne Probleme möglich gewesen, wenn man auf die sonst so viel gelobten Expert*innen gehört hätte. Und vor dem Hintergrund des Leids und der vielen Toten, für die beide Krisen verantwortlich sind, wäre das auch absolut nötig gewesen. Warum sind die Warnungen trotzdem ignoriert worden? Und warum wird sich kaum darüber aufgeregt?
Krisen trotz Kapitalismus? Krisen wegen Kapitalismus!
Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass die Ursachen für Corona- wie Klimakrise darin begründet liegen, wie wir in dieser Welt zusammenleben und die (Nahrungsmittel-)Produktion organisieren. So sorgt die industrielle Massentierhaltung dafür, dass immer mehr Tiere auf engstem Raum zusammengepfercht leben, was die ideale Umgebung für die Entstehung von sogenannten Zoonosen schafft – Krankheiten, die von Tier zu Mensch übertragen werden. Die Ausbreitung von Slums vor allem in ärmeren Ländern wiederum sorgt dafür, dass Menschen und Tiere sehr eng und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen zusammenleben müssen. Das macht Zoonosen ebenfalls wahrscheinlicher. Massentierhaltung verursacht massive ökologische Schäden, weil sie unglaublich viel Wasser und landwirtschaftliche Nutzflächen verbraucht – vom vielen Methan der pupsenden Kühe mal ganz abgesehen. Staatliche Fördermaßnahmen garantieren, dass Massentierhaltung trotz geringerem Fleischkonsum rentabel bleibt (dazu unser Artikel „MiauWuffQuäkQuäkQuäk“ in der Ausgabe #15). Nicht nur prägt und verstärkt der Kapitalismus die Klimakrise, sondern auch vermeintlich natürliche Krisen, wie Pandemien. Die sind nämlich gar nicht so natürlich, also nicht menschengemacht, wie behauptet. Jetzt könnte man erwidern: Der Kapitalismus schafft doch auch die Lösungen für diese Krisen! Schließlich gibt es jetzt effizientere Autos und Ökostrom beziehungsweise Schnelltests und den Impfstoff gegen Covid-19.
Technology is not our Lord and Savior
Nach dieser Erzählung löst man alte Probleme, indem man neue Technologien entwickelt. Der Einsatz solcher „technological fixes“ folgt allerdings einer Logik, die wir kritisieren. Dabei geht es nicht darum, die Wirkung dieser Technologien anzuzweifeln: Wir halten die Tatsache, dass nur ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Pandemie der erste Mensch geimpft werden konnte, für großartig. Wir haben auch nichts gegen alle modernen Technologien oder wollen zurück in die Steinzeit. Vielmehr geht es darum, wie mit ihnen (staatliche) Politik gemacht wird: Zu viel CO2 in der Atmosphäre? Kein Problem, es gibt bestimmt bald Anlagen, die Klimagase filtern und speichern. Menschen stecken sich in Großraumbüros an? Kein Problem, testen wir halt regelmäßig. Klima- wie Corona-Krise werden so als Problematiken dargestellt, die durch den Einsatz von mehr beziehungsweise besseren Technologien überwunden werden können, anstatt den Kohleausstieg zu forcieren oder Büros und Fabriken dichtzumachen. Krisen, deren Ursachen in unserer Wirtschaftsweise selbst liegen, können nach dieser Erzählung paradoxerweise nur durch diese Wirtschaftsweise bewältigt werden. Denn, so scheint es: Es sei ja der Kapitalismus durch den die Technologien erfunden werden, die wir brauchen, um die Krisen zu lösen.
Krisen werden so depolitisiert. Damit meinen wir, dass die gesellschaftlichen Ursachen der Krisen verdeckt werden und mögliche Lösungen nur noch in der Entwicklung und Einführung von neuen Technologien gesucht werden. Während der Corona-Krise wurde beispielsweise erst auf die Masken, dann auf Schnelltests und zuletzt auf die Impfstoffe als technologische Lösung gesetzt. Kritisiert wurde lediglich, dass die Technologien nicht schnell genug bereitgestellt wurden. Dass die Pandemie hätte abgeschwächt werden können und dass es eine politische Entscheidung war, die Wirtschaft in vielen Fällen vor die Menschen zu stellen, wird dabei fast vollständig verdeckt. Schutzausrüstung oder Intensivbetten sind nach dieser Logik schlicht zu teuer, um sie für Notfälle bereitzuhalten. Ähnlich ist es bei der Klimakrise, jedoch haben Bewegungen wie Fridays for Future es geschafft, diese wieder zu politisieren. Der Kohleausstieg beispielsweise wäre ohne diesen Protest vermutlich nie zustande gekommen, auch wenn er viel zu spät kommt. Aber auch in diesem Fall wird nach wie vor auf die Entwicklung neuer Technologien gewartet, die den Klimawandel aufhalten sollen, etwa CO2-Filter oder -Speicher. Dass solche Technologien noch nicht da sind, und es vielleicht auch nie sein werden, spielt dabei kaum eine Rolle.
Vorsorge lohnt sich nicht?!
Im Kapitalismus lohnt sich Krisenprävention oft einfach nicht. Wenn ein Unternehmen (oder ein Staat) Geld für Prävention ausgibt, aber die Krise ausbleibt, hat dieses Unternehmen Nachteile gegenüber der Konkurrenz. Dementsprechend gehen im Kapitalismus alle Akteure davon aus, dass es schon nicht so schlimm (für sie) komme. Gehandelt wird erst, wenn die Krise da ist, weil sie auch Konkurrent*innen trifft. Präventionsmaßnahmen werden nur dann getroffen, wenn sie sich nach kapitalistischen Maßstäben lohnen, also nach einem Kosten-Nutzen-Kalkül. Hier zeigt sich mal wieder, wie irrational Konkurrenz eigentlich ist, denn langfristig würde sich Prävention lohnen – und zwar für alle. So hätte ein harter Lockdown dazu geführt, dass die Gastro deutlich schneller wieder hätte aufmachen können. Von den langfristigen Kosten der Klimakrise brauchen wir gar nicht anzufangen. Der Kapitalismus zeigt hier mal wieder sein menschenfeindliches Gesicht, denn die Menschen spielen in diesen ganzen Berechnungen überhaupt keine Rolle, Tote durch Covid-19 genauso wie Tote durch Hungersnöte gehören halt dazu.
Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist…
Die Depolitisierung hat noch einen weiteren Effekt: Erscheinen die Krisenursachen als natürlich und damit nicht beeinflussbar und sind die vermeintlich einzig möglichen Lösungen noch zu entwickelnde Technologien, werden die unmittelbaren Folgen von Krisen auf die einzelnen Menschen ausgelagert. So erklärt sich das Paradox, warum während der Coronapandemie das Privatleben vollständig eingeschränkt war, während ihr weiterhin zur Arbeit musstet und die Öffis voll waren: Die kapitalistische Produktion muss schließlich weitergehen. Außerdem liefert nur sie die Technologien, um die Pandemie zu besiegen. Abstände mussten nur im Privaten eingehalten werden, die Infektionszahlen stiegen und Menschen starben. Ähnliches gilt für den Klimawandel: Menschen sollen sich individuell einschränken, während die kapitalistische Produktion weiterhin massiv CO2 ausstößt (dazu unser Artikel „Weltrettung im Biosupermarkt“ in der Ausgabe #15).
Dass Krisen keine Naturereignisse sind, auf die wir lediglich reagieren können, bedeutet aber auch, dass wir proaktiv etwas tun können. Fridays for Future hat es geschafft, die Klimakrise zu politisieren. Ein Einschnitt in die Produktion, wie der Kohleausstieg, war vor 10 Jahren vollständig undenkbar. Ähnliches gilt für Streiks bei Amazon während der Pandemie, bei denen der Arbeitskampf mit dem Kampf gegen Corona verbunden wurde. Die Streikenden wollten nicht länger hinnehmen, dass sie ihre Gesundheit für Amazons Gewinne opfern sollen. Diese Kämpfe machen sichtbar, was vorher verdeckt war. Nämlich, dass Krisen zum Kapitalismus gehören. Und vor allem haben sie aufgezeigt, dass Krisen nicht nur durch Technologie gelöst werden können und wir ihnen ansonsten ausgeliefert sind. Es ist eine politische Entscheidung, Menschen zu gefährden, um die Wirtschaft zu schützen. Eine Gesellschaft, in der nicht die Menschen zuerst kommen, ist keine, für die es sich zu kämpfen lohnt.