„Nicht, dass ich Antikapitalismus nicht befürworten würde – ich habe ihn nur nicht als meine persönliche Mission auserkoren.“

Ein Kommentar zum Zusammenhang von Klimaaktivismus und Antikapitalismus

Liebe SaZ-Redaktion,

eure Zeitschrift ist mir am Freitag beim Nicht-Klimastreik in die Hände gefallen. Mein erster Gedanke war: Puh, wieder so ein realitätsfremdes linkes Manifest. Ich war überrascht.

Zuerst möchte ich euch ein großes Lob aussprechen dafür, dass ihr kritische Rückfragen vorweg nehmt und direkt in euren Artikeln beantwortet. Bisher hatte ich die antikapitalistische Strömung der Umweltbewegung nicht inhaltlich verstanden. Die Frage, warum denn nun Umweltzerstörung, Kapitalismus, Nationalismus, etc. einander bedingen, stellt sich mir schon seit geraumer Zeit und eure Zeitschrift ist die erste, die sie mir sachlich, rational und in einem für mich zugänglichen Stil beantworten konnte. (Trotzdem zieht ihr an stellenweise Schlussfolgerungen und Assoziationen, die mir zumindest ohne zusätzliches Wissen nicht folgerichtig erscheinen, z.B. dass Marktwirtschaft gleichbedeutend mit Kapitalismus ist.)

Ich bin zu meinem Leidwesen aber absoluter Pragmatiker: Die für mich entscheidende Frage ist immer: „Und wie funktioniert das dann genau?“. Ich erkenne an, dass ich das mitunter als Ausrede gebrauche, nicht so zu Handeln, wie ich es vielleicht sollte, und bemühe mich um Besserung. Trotzdem fällt mir auf, dass ihr in euren Artikeln vorwiegend (zu Recht) kritisiert. Was ich aber gerne wüsste ist, wie konkret euer Alternativentwurf aussieht.

Ich folge eurer Argumentation auch absolut, dass Umweltzerstörung, Kapitalismus, Nationalismus, Rassismus und Feminismus in engem Zusammenhang stehen und einander bedingen und verstärken. Trotzdem stimme ich der Aussage, Klimaaktivismus müsse z.B. antikapitalistisch sein, nicht zu. Nicht, dass ich Antikapitalismus nicht befürworten würde – ich habe ihn nur nicht als meine persönliche Mission auserkoren und streite daher allenfalls als Nebeneffekt dafür. Das tue ich im Vertrauen darauf, dass andere genau das umgekehrte tun. Mit dieser Position fühle ich mich durch vorgenannte Aussage ausgeschlossen oder abgeschreckt. Ich würde mir eine inklusivere Konzeption wünschen, welche die Diversität in den von euch angesprochenen (zweifellos sich stark überschneidenden) Strömungen respektiert.

Diese beiden Punkte schreien für mich nach einer Vision, wie die Zukunft aussehen soll. Klar, es wird nicht wirklich möglich sein, da eine für alle akzeptable Antwort drauf zu finden, aber auch eine Idee, ein globales Konzept, wäre etwas, worauf wir hinarbeiten könnten. Ihr werdet antworten: Der Kommunismus. Nun habe ich aber nicht wirklich die Zeit, Das Kapital zu lesen und das kommunistische Manifest finde ich doch ein wenig aus der Zeit gefallen. Daher meine abschließende Frage: Gibt es Ressourcen, in denen eure politische Utopie beschrieben wird? Oder noch besser: in denen man diese gemeinschaftlich hinterfragen und weiterentwickeln kann?

Viele Grüße

M


Dear M,

sorry, dass wir erst jetzt antworten. Wir haben uns über Deine ausführliche Mail gefreut und auch, dass wir Dich überraschen konnten. Ich bin Hannah und antworte für die SaZ, jedoch ging die Mail auch über unseren Verteiler und Leute konnten Sachen anmerken. Daher ist das Folgende die Meinung der ganzen Redaktion und nicht bloß meine eigene 🙂

Du sprichst viele wichtige Fragen an. Wir hoffen, dass wir nichts vergessen haben:

„Marktwirtschaft ist gleichbedeutend mit Kapitalismus“.

Das setzen wir bewusst. Unter Kapitalismus verstehen viele erstmal Verschiedenes. Für die Meisten beschreibt der Begriff „Auswüchse“ von einigen Gierigen, etwa großen Konzernen, die gebändigt werden müssen. Dazu entstanden Begriffe wie (soziale) Marktwirtschaft oder es wird die Förderung des verkitschten „Familienbetriebs“ gefordert. Wir hingegen sagen, dass die Organisation von Bedürfnisbefriedigung über den Markt das zentrale Problem des Kapitalismus ist. Das bedeutet, dass die Produkte nicht nach den Bedürfnissen aller Menschen produziert werden, sondern nur nach den Bedürfnissen derjenigen, die auch dafür bezahlen können. Wir meinen, das dadurch hervorgebrachte Leiden ist kein Auswuchs, sondern der Normalbetrieb im Kapitalismus.

„Ich bin zu meinem Leidwesen aber absoluter Pragmatiker“

Wir bei der SaZ auch! Weswegen wir nicht einfach im Kreise von Freund*innen unsere Kritik loswerden und das wars. Sondern wir haben diese Zeitschrift aufgezogen und buttern da ziemlich viel Zeit rein. Aber ok, Du meinst was anderes. Und sagst selbstkritisch, vielleicht wäre das auch manchmal nur eine Ausrede, um nichts zu machen. Das glauben wir gar nicht. Erstmal lässt sich ja sagen, dass „etwas“ Machen gar nicht so einfach ist. Wir haben hier im Text Fang bei Dir selber an uns mal verschiedene Fragen dazu gestellt.

Wir glauben, der erste Schritt sollte immer eine Kritik sein. Natürlich entwickelt sich diese auch im Prozess der Praxis weiter und muss immer wieder umgearbeitet und durch den Selbstkritik-Kakao gezogen werden. Aber wenn mensch nicht weiß, wie eine Sache funktioniert, kann auch die Reparatur nicht klappen. Wer meint, dass die Organisierung von Produktion über den Markt (=kapitalistische Produktionsweise) ja eine ziemlich tolle Angelegenheit wäre, würde es nicht immer einzelne böse Kapitalist*innen geben, die aus Gier alles durcheinanderbringen, wird auf andere „pragmatische Lösungen“ setzen als wir, die sagen, dass diese Produktionsweise notwendig (und nicht weil einzelne Böses tun) zu Elend führt. Wie das dann genau aussieht – warum sich dieses „notwendig“ in der Praxis immer wieder durchsetzt, auch wenn zB Leute etwas ganz anderes wollen (ganz lieb zu den Arbeiter*innen sein, Umweltstandards übererfüllen) – müsste dann im Einzelnen diskutiert und analysiert werden. Hier glauben wir, dass das von Dir angesprochene „Kapital“ von Marx ziemlich gut zur Erklärung helfen kann. Falls Du Zeit findest, dass in Lesekreisen zu lesen, ist das schon sehr sinnig – in Berlin bietet beispielsweise die Rosa Luxemburg Stiftung jedes Jahr kostenlos angeleitete Lesekreise an.

Oder wenn Du erstmal nur reinschnuppern willst, lohnt sich Michael Heinrichs Einführung, die liegt jetzt in der 14. Auflage bei theorie.org vor und kostet 12 Euro.

Die ganze Frage „Kritik schön und gut, aber was wollt ihr denn?“ ist eine sehr große. Wir haben uns dazu sogar in einer eigenen Ausgabe Gedanken gemacht.

Zu der Frage der Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise und Deinem verständlichen Wunsch:

„Ich würde mir eine inklusivere Konzeption wünschen, welche die Diversität in den von euch angesprochenen (zweifellos sich stark überschneidenden) Strömungen respektiert.“

Den Wunsch können wir deswegen gut verstehen, weil wenn eigene Gedanken kritisiert werden, sich dass manchmal ganz schön doof anfühlt. Und manchmal wird die Kritik ja auch so vorgebracht, dass die verletzen
soll. Das muss dann als solches kritisiert werden. Was wir aber trotzdem glauben ist, dass dieser Diversitätswunsch dem Wunsch auf Änderung entgegensteht. Das hört sich zwar erstmal schön an: getrennt kämpfen, vereint schlagen. Und weil wir wollen, dass sich viele Allianzen bilden, halten wir daran auch was für richtig. Aber trotzdem muss sich diese Allianz eben um eine Kritik herum bilden. Klar muss um diese gestritten werden und sich auch dafür eingesetzt werden, dass sich das beste Argument durchsetzt (und nicht die Person, die vielleicht immer mehr sagt oder am lautesten schreit. Oder andere, die sagen, bestimmte Personen müssten aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position besonderes Gewicht haben). Aber dann muss es eben um eine vernünftige Kritik gehen, denn um beim obigen Beispiel zu bleiben: Wer meint, Marktwirtschaft sei an sich dufte, aber einige seien eben gierig, wird wohl versuchen, diese Schädiger ausfindig zu machen. Das würde eher unsere Gegenwehr hervorrufen – und keinen Gedanken an: „Ist ja egal, Protest gegen den Kapitalismus soll ja divers sein“. Andere sagen, der Zins ist schuld, ein sehr gefährlicher Gedanke. Wieder andere wollen mehr Sozialstaat. Über all diese Dinge muss mensch streiten und damit dieser Streit ein informierter ist, braucht es Wissen.

Und ganz pragmatisch. Einige sagen: Green New Deal. Wir sagen: Bedürfnisbefriedigung. Was eben auch heißt, Klimawandel stoppen soll nicht über den Markt organisiert werden. Weil der dafür gar nicht ausgerichtet ist, denn die Unternehmen müssen ja möglichst billig produzieren, um sich gegen ihre Konkurrenz durchzusetzen. Wie soll da der Gedanke Sinn machen, wir kämpfen zusammen, jede an ihrem Platz? Du sagst zwar: „Das tue ich im Vertrauen darauf, dass andere genau das umgekehrte tun.“ Aber, da wollen zwei etwas Gegenteiliges und das muss in die Diskussion führen und nicht in ein „Lass uns divers sein“. Klar, es gibt auch mal Zweckbündnisse, weswegen wir uns auch an Klimaprotesten beteiligen, die Forderungen vorantragen, die wir nicht teilen. Aber zugleich verweisen wir immer darauf: Es muss um die Inhalte gestritten werden, freundlich und selbstkritisch, aber doch auch bestimmt im Inhalt. Oft wird das verwechselt mit dem Ausgrenzen von bestimmten Positionen. Das macht aber auch Sinn, wenn Menschen im Klimaschutz menschenfeindlich sind. Zum Beispiel, wenn Leute sagen: Umweltschutz ist Heimatschutz, deswegen müssen die Grenzen dicht für Geflüchtete sein.

Das ist natürlich was anderes, wenn jemand mit: „Go Green New Deal Go“ neben mir auf der Demo läuft, das würden wir ja auch nicht runterreißen. Aber trotzdem die Person ansprechen und das kritisieren. Und klar kann die Person dann sagen: Du hast Deine Position, ich meine. Aber das wird der Sache, den Klimawandel aufzuhalten, nichts nützen, da das, wie wir meinen, eben nur ohne Marktwirtschaft, Nation(alismus) usw geht.

Puh, ganz schön lang geworden. Wir hoffen, wir haben alle Fragen und
Kritikpunkte von Dir beantwortet.

Liebe Grüße

Hannah für die SaZ