„Der springende Punkt beim sogenannten ‚Degrowth‘ ist ja gerade, dass es nicht nur darum geht, mehr bio und fair zu kaufen.“

Über Degrowth

Hallo SaZ-Team,

ich habe in der aktuellen taz.am wochenende die neue SaZ gefunden und gelesen. Ich finde sie eine gute Sache! Es ist wichtig, über ganz andere Wirtschaftskonzepte nachzudenken und es ist schade, dass Blätter wie eures, die das tun, so sehr schmal vertreten sind und kaum Beachtung finden (stattdessen lieber tagesthemen und F.A.Z.). Bei aller Liebe muss ich aber sagen, dass mir oben genannter Artikel ganz schön aufgestoßen ist. Ihr beschreibt Degrowth und das BGE dort wirklich viel zu einseitig, viel zu gefärbt und viel zu unumfassend. Ja, es stimmt, so viel Platz ist in der dünnen Zeitung nicht, da muss man komprimieren; aber das ist kein Grund, ganze zu einem Thema gehörenden Aspekte vollständig zu vernachlässigen, um für die eigene Sache zu werben.

Denn v. a. Degrowth hat enorm viel Potential aus unserer ausbeuterischen, absurden Weltwirtschaft eine zukunftsfähige zu machen. Es ist nicht wahr, dass es hierbei einzig darum geht, „Wachstum“ für böse zu erklären und ein mit der menschlichen Natur nicht vereinbares Nur-Mittel-kapitalistisches System aufzubauen. Aber so klingt es bei euch.

Es haben viele Menschen, viele, die sich jahrzehntelang mit umwelt-, sozial- und wirtschaftspolitischen Thematiken befasst haben, dicke Bücher über ihre Idee für nachhaltiges Wirtschaften geschrieben. Zum Beispiel haben Niko Peach, Harald Welzer, Franz-Josef Radermacher, Mathias Weik, Mark Friedrich, Redakteur*innen der Monde diplomatique, Bonita Matofska, Felix Finkbeiner und und und solche veröffentlicht, Aktionen gestartet und alternative Konzepte entwickelt. All diese Ideen werden landläufig mit einem einzigen Begriff handhabbar gemacht, obschon er wirklich unzureichend beschreibt, was tatsächlich dahinter steckt. Dieser Begriff „Degrowth“ verhindert eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnen, weil er sie auf einen einzigen Aspekt reduziert.

In Wirklichkeit aber geht es um so viel mehr. Es wird in diesem Zusammenhang über die Natur des Menschen philosphiert, über Ökologie, über Kommunismus und Kapitalismus, über Kooperation, Regionalwährungen, Guerilla Gardening, Bildung, Demokratie, Pazifismus. Kurz: Mit der Entwicklung eines neuen Wirtschaftskonzeptes geht auch hier ein allgemeiner gesellschaftlicher Wandel einher – oder andersherum. Viele Ideen sind kommunistisch inspiriert; schon mal von der Sharing Economy gehört?

Der springende Punkt beim sogenannten „Degrowth“ ist ja gerade, dass es nicht nur darum geht, mehr bio und fair zu kaufen, was – wir ihr ja richtig feststellt – völlig unnachhaltig ist, weil nicht realisierbar außer für eine finanzielle Elite. Aber so stellt ihr das dar. Das finde ich enttäuschend, weil gerade euch müsste doch so etwas interessieren. Das ist doch ein Teil der friedlichen, Schritt-für-Schritt-Revolution, die Idealist*innen sich wünschen. Zu diesen zähle ich mich, zu diesen ich euch zähle (so wenig ich über euch als Personen weiß). Wenn ihr schon kritisiert, dann informiert
euch doch bitte im Vorhinein so gründlich wie ihr das bei anderen Themen auch tut.

Viele Grüße!

L, taz- und SaZ-Leserin

Liebe SaZ-Redaktion,

Die Beilage der taz dieses Jahr war sehr interessant zu lesen. Aber eine Sache hat mich doch sehr gestört, nämlich die Kritik am Degrowth. Ich hatte leider nicht das Gefühl, dass der Ansatz richtig wiedergegeben oder von euch tatsächlich verstanden wurde. Erst wenn man sich einen Ansatz tatsächlich vor Augen geführt hat, sollte man ihn kritisieren (dieser Hinweis darf gerne an eure Kollegen von translib weitergeleitet werden). Natürlich ist es auf einer Seite nur schwer möglich, aber doch trotzdem hat sich bemerkbar gemacht, dass der Ansatz nur oberflächlich verstanden wurde. Leider ist die Kritik dadurch sehr pauschalisierend ausgefallen. Erst einmal empfehle ich zum Verständnis des Ansatzes folgende Literatur:

  • „Wohlstand ohne Wachstum“ von Tim Jackson
  • „Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn“ von Serge Latouche
  • „Befreiung vom Überfluss“ von Niko Paech

Jackson geht eher auf wissenschaftliche und vor allem makroökonomische Grundlagen ein(er ist kein direkter Anhänger der Degrowth-Bewegung). Paech und Latouche beziehen deutlich Stellung und vertreten eine bestimmte, wenn auch wissenschaftlich begründete Position. Paechs letztes Kapitel enthält auch eine vergleichsweise gute Skizze, wie eine Postwachstumsökonomie aussehen könnte. Vor allem dieser orientiert werde ich jetzt mal einige eurer Aussagen korrigieren und ergänzen.

Wachstum sagt sehr wohl etwas über die Hohe von CO²-Werten aus. Paech geht übrigens von einem direkten Zusammenhang zwischen
CO²-Ausstoß und Wirtschaftswachstum aus. Kurz: Wachstum und
CO²-Ausstoß lassen sich nicht bzw. kaum voneinander entkoppeln.
Dafür sprechen auch Statistiken, denn in Wirtschaftskrisen sinkt der
CO²-Ausstoß. Auch geplante Obsoleszenz (wie bei den Kopfhörern)
soll vermieden werden, in dem Prosumenten (=Konsument, der an der
Produktion des Gutes teilhat) wie Unternehmen ihr Verhalten ändern
und dies kann z.B. mit Steuern und Gesetzen flankiert werden. Deshalb
ist sind Degrowth-Befürworter aber noch keine BIP-Fetischisten, die
alles andere ausblenden und es gibt eben auch wissenschaftliche,
differenzierte Blickwinkel auf Wachstum. Es werden in diesem Rahmen
übrigens auch andere Indikatoren als das BIP vorgeschlagen, in denen Wirtschaftswachstum teilweise gar keine Rolle mehr spielt, wie z.B. das Bruttonationalglück.

„Profit ist okay, Profitgier ist nicht okay!“…diese plakative Ausformulierung ist schlichtweg falsch. Paechs Ansatz will Profitstreben möglichst vermeiden, soll heißen: Der Tante-Emma-Laden, der sich und seine Mitarbeiter durch den Verkauf selbst finanziert (sozusagen zum „Selbstkostenpreis“ ), ist wünschenswerter als der riesige Supermarkt, der Gewinn machen will. Denn Gewinnstreben ist eine entscheidende Ursache für Wachstum. Also eher: Profit nur, wenn nicht anders möglich (also wenn die Nachfrage nicht ohne Geld befriedigt werden kann, was insbesondere auf reine Importgüter wie Bananen zutreffen dürfte).

Es geht auch nicht einfach nur um Bedürfnisbeschränkung. Es geht erstens darum, Bedürfnisse nachhaltiger zu erfüllen. Das bedeutet, vor allem lokale und regionale Märkte. In dem ich mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV einkaufen fahre, statt mit dem Auto. Oder in dem ich regionale Äpfel kaufe, anstatt welche aus Neuseeland. Oder in dem ich nur eine statt drei Bananen pro Woche esse. Deshalb muss ich aber nicht auf das Auto, den Apfel oder die Banane verzichten. Erst recht nicht zwangsweise, durch den Staat verordnet. So etwas wie Fleischverbot der UN will dieser Ansatz gerade vermeiden!

Dazu gehört außerdem auch eine wichtige konsumkritische Komponente: Weniger Konsum macht ab einem bestimmten Level glücklicher als mehr Konsum. Das heißt, freiwilliger Verzicht kann einen Vorteil haben. Es ist logisch, dass die, die weniger haben, auf weniger zu verzichten brauchen. Und es ist eine souveräne Entscheidung, worauf man verzichtet. Heute unterliegt das leider häufig gesellschaftlichen Zwängen (Kinder brauchen für die Schule einen Computer, Hartz-IV-Sanktionen etc.). Außerdem gilt der Grundsatz: Gar kein Konsum ist besser als Fairtrad-Öko-Whatever-Konsum. Beispiel Smartphone: Zunächst sollten möglichst alle bisherigen Handys möglichst lange genutzt und repariert werden. Sollte das nicht mehr möglich sein, müssen diese recyclet oder upcyclet werden. Erst dann kommen neue Handys ins Spiel, die möglichst langlebig sein sollten und natürlich auch unter fairen sozialen Bedingungen hergestellt werden sollten (letzter Punkt ist nicht direkt Bestandteil des Ansatzes, aber liegt denke ich im Interesse des Gemeinwohls, das der Ansatz stärken will). Diese sollen dann natürlich auch möglichst lange genutzt und repariert werden
(modulare Bauweise usw.). Gebrauchtes zu nutzen und möglichst regional und ohne Kostenaufwand reparieren zu lassen hat immer Vorrang vor einem Neukauf, wie öko und fair das Produkt auch sein mag. Oder anders ausgedrückt: Der beste Flug ist der, der nicht stattfindet bzw. stattfinden muss.

Degrowth bezieht sich nur auf Industriegesellschaften, d.h. Deutschland, USA, Frankreich usw. Das heißt, Menschen in Entwicklungsländern sollen nicht den Gürtel gar nicht enger schnallen müssen, sondern ihnen soll eine eigenständige Entwicklung ermöglicht werden, ohne eine komplette Besiedelung mit Starbucks und McDonalds. Dort sind ohnehin Strukturen noch mehr auf Subsistenzwirtschaft ausgerichtet, und genau zu dieser will die Postwachstumsökonomie zurück (wenn auch nicht vollkommen). Deshalb müssen die Bewohner nicht viel ändern, sondern die Industriestaaten: sie sollen schlichtweg nicht Gleichmacherei befördern.

Arbeitszeitverkürzung kann das Wachstum sehr wohl reduzieren. Der Ansatz möchte nicht die Produktivität erhöhen, sondern senken. Es soll weniger produziert werden, deshalb wird weniger Produktivität genötigt. Doch Produktion verbraucht stets Material und Ressourcen. Und „höhere“ Technologien verbrauchen mehr Ressourcen als „niedrigere“. Deshalb werden „mittlere/konvivale“ Technologien vorgeschlagen, die menschliche Arbeitskraft vermehren und trotzdem noch körperliche Betätigung erfordern. Beispiele dafür sind z.B. das Fahrrad oder mechanische Bohrer. Es wird weniger Arbeitszeit nötig, weil mehr Zeit unter Eigenregie verwendet wird, z.B. durch Hilfeleistungen unter Nachbarn (solche Ideen finden sich z.B. in Repair-Cafes wieder). Und es wird auch mehr Zeit frei dafür, selbst zu kochen, Zeit mit Freunden zu verbringen usw., was die Zufriedenheit erhöhen dürfte. Zentral ist also eine Idee der Souveränität bzw. Autonomie und der Selbstständigkeit. Allein dadurch wird schon Wachstum vermieden, da man weniger von „Fremdwirtschaft“ abhängig ist.

Degrowth ist durchaus kapitalismuskritisch und Paech möchte mit seinem Ansatz den Kapitalismus auch deutlich einschränken. Nur globaler Handel soll weiterhin ähnlich ablaufen und dieser soll auf ein notwendiges Minimumzurückgefahren werden. Ansonsten haben vor allem Subsistenzwirtschaft und Regionalwirtschaft unter Flankierung einer Regionalwährung Vorrang. Dazu gehört im Übrigen auch eine demokratische Beteiligung in den einzelnen Kommunen, Regionen etc. (die auch ohne staatliche Stukturen bestehen könnten) und damit eine Gemeinwohlorientierung, die soziale, ökologische, kulturelle und weitere Faktoren miteinbezieht. Ist das etwa nicht die solidarische Wirtschaftsweise, die auch ihr fordert? Ihr scheint einer sehr einfachen reductio ad absurdum nachzugeben: Alles was kein Kommunismus ist, ist Kapitalismus und damit verwerflich. Doch globaler Handel ist ohne Marktwirtschaft kaum möglich. Deshalb ist nicht gleich das gesamte Wirtschaftssystem kapitalistisch durchzogen. Oder könnt ihr mir erklären, wie sonst die Nachfrage nach Bananen oder deutschen Autos sozial und ökologisch verträglich befriedigt werden soll?

Euer Wachstumsbegriff scheint nicht ökonomischer Natur zu sein. Doch genau darum geht es bei Paech. Mehr Wachstum im Bereich Pflege bedeutet nicht unbedingt, dass dort die Qualität der Pflege und die Zufriedenheit steigt, sondern lediglich, dass mehr Ressourcen eingesetzt werden und Profit abgeschöpft wird. Diese Faktoren sind erst einmal unabhängig vom Wirtschaftswachstum. Doch eine Orientierung daran wirkt sich wohl eher kontraproduktiv auf die Qualität aus. Das kann sich in einer immer feineren Arbeitsteilung, Automatisierung, immer höhere Produktivitätsansprüche, Bürokratisierung und „Managementiisierung“ (so nenn ich das selbst) usw. äußern. Einer Ökonomiisierung entgegenzuwirken, trägt auch zur Wachstumsrücknahme bei. Abgesehen davon, dürfen einige Bereiche durchaus wachsen. Entwicklungsländer dürfen einen gewissen Lebensstandard erreichen. Und auch ein Bereich wie Erneuerbare Energien wird wachsen. Allerdings nur kurzfristig, weil wenig Instandhaltung gerade bei Solarenergie notwendig ist, sagt Paech. Und auch dieser Bereich sollte auf das Nötigste reduziert werden, denn
damit sind später auch Entsorgungskosten usw. verbunden. Letztendlich soll gesamtwirtschaftlich kein Wachstum mehr entstehen. Deshalb sollen
immer dort, wo Rohstoffe entnommen werden, mindestens im selben Maße Rohstoffe zurück in die Natur gegeben werden, sozusagen ein materielles Nullsummenspiel.

Die Postwachstumsökonomie ist ein Bruch mit dem Kapitalismus. Doch es läuft eher auf das Konzept einer Gemischtwirtschaft hinaus. Man kann Paechs Positionen und Aussagen kritisieren, er kommt schließlich aus der konservativen Ökobewegung. Legt man einmal die ideologische Brille ab, erkennt man jedoch, dass der von ihm vorgestellte Ansatz durchaus pragmatisch verschiedene Elemente von „links“ und rechts“ kombiniert und er sich auch anarchokommunistisch umdeuten lässt. Diese Möglichkeit sollte man nutzen, anstatt sie aufgrund ideologischer Vorbehalte abzulehnen.

Mit freundlichen Grüßen

TS

Liebe*r L, liebe*r TS,

herzlichen Dank für eure Briefe und erst mal Danke für euer Lob. So was freut uns immer. Wir beantworten Eure Briefe zusammen, da sich Eure Punkte durchaus ergänzen und ihr in eine ähnliche Kerbe schlagt. Entschuldigt aber bereits, dass wir nicht auf alle Punkte detailliert eingehen können.

Wir sehen eure Punkte und haben lange darüber diskutiert. Ihr habt Recht, wenn ihr sagt, dass wir Degrowth nicht in aller Breite behandelt haben. Das liegt zum einen am Umfang der Zeitung, an der Zielgruppe (wir sind kein wissenschaftliches Blatt) und zum anderen auch am politischen Ziel. Wir haben uns durchaus über Degrowth informiert und gerade deswegen ist die Stoßrichtung – in euren Worten – gefärbt und einseitig. In unseren Diskussionen ist zutage getreten, dass Postwachstum, trotz all eurer Hinweise, ein Konzept ist, das sich nicht in grundsätzlicher Opposition zur kapitalistischen Ausbeutung versteht, sondern damit verbunden werden kann. Klar, keine Frage, sicherlich wäre eine kapitalistische Postwachstumsgesellschaft besser, nachhaltiger, you name it, als eine kapitalistische Wachstumsgesellschaft. Sicherlich ist Arbeitszeitverkürzung eine gute Sache und Fahrräder reparieren machen wir auch dauernd. Mehr (und besser bezahlte) Pflegekräfte finden wir auch richtig, klaro. Was durch all das aber nicht grundsätzlich hinterfragt wird, ist das kapitalistische Prinzip der Aneignung von Mehrarbeit – Ausbeutung – oder die kapitalistische Konkurrenz. Da wir die, das sollte aus all unseren Texten deutlich geworden sein, grundsätzlich ablehnen, schlagen wir gegen Regionalwährungen, lokale Kooperationen und Degrowth etwas anderes vor: Kommunismus. Nicht weil wir das Wort so geil finden oder weil wir nicht den Horror in der Sowjetunion kennen würden, sondern weil wir damit die grundlegende Opposition zum Kapitalismus meinen. Das unversöhnliche und revolutionäre Andere. Wir wollen nicht wie die Postwachstumsökonomen zurück zur Subsistenz, sondern vorwärts in die befreite Gesellschaft. Dafür muss man aber erstmal diese Gesellschaft einer grundlegenden Kritik unterziehen, Theorie treiben etc.

Als Leseempfehlung für Euch, weil der Name immer wieder auftaucht. Hier eine Kritik (von links) an Nico Peach, der wir uns anschließen würden: http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/10/wachstum_naber.pdf

Viele liebe Grüße

Straßen aus Zucker