There is no Planet B

Warum Nationalstaaten abgeschafft werden müssen, um den Klimawandel aufzuhalten

Ein gigantisches Raumschiff tritt in die Erdatmosphäre ein. Die ganze Menschheit zittert, ob die fremde Macht in Frieden kommt – kann sich aber nicht zur Kooperation durchringen. Plötzlich werden mit der Hyper-Disfigurations-Kanone der Aliens New York, Paris und Tokio auf einen Schlag platt gemacht!

Da endlich geht ein Ruck durch die Regierungen aller Welt, und gemeinsam wird der Gegenschlag geplant: russische Geheimdienst-Hacker setzen den Schutzschild der Aliens außer Kraft, und vom US-Präsidenten (Tom Cruise) persönlich angeführt, zerstört die internationale Raumflotte das Alien-Raumschiff. Die Gefahr ist abgewendet, überglückliche Menschen aller Nationen fallen sich im Sonnenaufgang freudentränend in die Arme. Abspann.

So oder ähnlich gehen die Stories von dutzenden „Alien-Invasion-Movies“: Erde wird angegriffen, Erdlinge kriegen endlich ihren shit together, denn nur gemeinsam können sie die fremde Macht besiegen.

In Wirklichkeit…

…sieht es sehr anders aus: Der Klimawandel ist zwar kein finsterer Angriffsplan von Aliens, sondern selbstgemacht. Aber er ist, über kurz oder lang, eine Bedrohung für alle Menschen auf der Welt. Und er ist, in unterschiedlichen Anteilen, von allen Staaten dieser Erde gemeinsam hervorgerufen und könnte auch nur in einer gemeinsamen Anstrengung aller Staaten abgewendet bzw. abgemildert werden.

Eigentlich ist das eine Aushandlung, die man einer Gruppe von Erstklässler*innen durchaus zutrauen würde: wir haben gemeinsam Fußball gespielt, und auch wenn Özlem am Ende den Ball durch‘s Wohnzimmerfenster gedroschen hat, müssen jetzt halt leider alle die Hälfte von ihrem unterschiedlich hohen Taschengeld abdrücken, damit eine neue Scheibe eingesetzt werden kann.

Warum nur scheitern die Nationalstaaten dieser Welt daran, einen ähnlich vernünftigen Umgang mit der globalen Klimakrise zu entwickeln? Obwohl sie seit über 30 Jahren regelmäßig immer gigantischere Klimaschutz-Konferenzen mit inzwischen über 200.000 Teilnehmer*innen abhalten?

Wir hegen einen bösen Verdacht: Wir glauben, dass die Form, in der diese Leute auf den Klimaschutz-Konferenzen aufeinandertreffen, nämlich als Vertreter*innen „ihres“ Nationalstaats, der Grund dafür ist, dass sie sich gar nicht wirklich einigen können. Wir haben in anderen Artikeln in dieser Ausgabe (siehe z.B. unsere Einleitung zur Ausgabe) versucht zu erklären, wie die Konkurrenz, in der kapitalistische Unternehmen stecken, verhindert, dass sie wirklich nachhaltig produzieren können. In diesem Artikel geht es darum, welche Auswirkungen die kapitalistische Wirtschaftsordnung auf die Staaten hat, die diese organisieren.

Höher, schneller, weiter, aua!

Nach außen hin stehen alle Staaten in ständiger Konkurrenz gegeneinander und müssen stets darum kämpfen, unterm Strich als Gewinner dazustehen: sie konkurrieren um die besten Bedingungen, um Kapital anzulocken, die Arbeitskraft muss also gut ausgebildet sein, nicht rebellisch und gleichzeitig billig. Der Staat muss genug militärische und wirtschaftliche Durchsetzungsfähigkeit in der internationalen Diplomatie besitzen, um dem nationalen Kapital den Zugang zu fremden Märkten zu sichern, notwendige Rohstoffe billig (oder notfalls mit Gewalt) zu beschaffen, und am besten noch den eigenen Müll in andere Länder zu verschiffen. Das alles, um wiederum möglichst viel Steuern einzunehmen, um die eigene Wirtschaft sowie zivile und militärische Infrastruktur zu pflegen und auszubauen, um wiederum in der Konkurrenz die Nase vorn zu haben. Und immer so weiter…

Diese übergeordneten Regeln von Konkurrenz und Gewinnmaximierung sind der Grund dafür, dass Klimaschutz auch auf internationaler Ebene nur so weit durchgesetzt werden kann, wie er die wirtschaftlichen Interessen nicht ernstlich beeinträchtigt. Diese „instrumentelle Vernunft“ (die nicht fragt: ‚wie lässt sich die Situation aller Menschen verbessern?‘ sondern: ‚was muss ich tun um meine Interessen durchzusetzen?‘) ist vom Führungspersonal der Marktwirtschaft meist tief verinnerlicht. „Klimaschutz kann man nur sinnvoll betreiben, wenn man gleichzeitig die eigene Wettbewerbsfähigkeit sichert“, sagt z.B. der ehemalige EU-Kommissar Verheugen. Gerade so, als könnten BMW und Porsche immer noch fröhlich Autos verkaufen, wenn die Welt sich in eine unbewohnbare Wüste verwandeln würde.

Klimaschutz mit Pokerface

Mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel tritt also ein Problem auf, das kein Staat allein oder innerhalb seiner Grenzen lösen kann. Wirksamer Klimaschutz ist nämlich nicht machbar, ohne massiv in die wirtschaftlichen Abläufe einzugreifen, die ihn verursachen, und kein einzelner Staat kann das auf eigene Faust tun, weil er in der Konkurrenz sofort auf der Strecke bliebe. So wäre es beispielsweise eine unmittelbar sinnvolle Klimaschutz-Maßnahme, die deutsche Autoindustrie stillzulegen, die jährlich über fünf Millionen private PKW produziert, deren Herstellung und Nutzung gigantische Mengen an Schadstoffen freisetzt, und die (bis auf wenige Ausnahmen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen) nicht notwendig wären, wenn man stattdessen den öffentlichen Personenverkehr ausbauen würde. Die Autoproduktion ist in Schland aber der größte Industriezweig, d.h. die wirtschaftliche Machtposition Deutschlands würde durch ihre Abschaffung massiv geschwächt. Und: die Autos, die dann hier nicht mehr produziert würden, würden schlicht anderswo hergestellt.

Es gibt nämlich keine Macht oberhalb der Nationalstaaten, die durchsetzen könnte, dass niemand mehr Autos baut, weil sie das Klima zerstören. Und selbst wenn es eine solche übergeordnete Instanz gäbe, wäre das noch keine Lösung für das Klimaproblem, weil die Staaten weiterhin konkurrieren und versuchen würden, die Regeln zu umgehen. Stattdessen muss das derzeitige System grundsätzlich verändert werden.

‚Save the climate!‘ heißt: ‚Fuck AfD!‘

Wenn der Klimawandel nicht völlig außer Kontrolle geraten soll, ist es notwendig, sowohl die kapitalistische Wirtschaftsweise mit ihrem eingebauten Zwang zu unbegrenzten Wirtschaftswachstum abzuschaffen, als auch den Nationalstaat, der sich ständig gegen alle anderen Staaten behaupten bzw. durchsetzen muss.

Zugegeben, das klingt erstmal unrealistisch. Aber es ist viel realistischer, als die Behauptung der neuen Volkspartei „die Grünen“, man könne das Klima retten, ohne die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Systeme in Frage zu stellen. Oder man könne den „Green Capitalism“ schaffen, indem man lauter tolle Sachen produziert, ohne dabei Rohstoffe oder Energie zu verbrauchen (Stichwort: ‚Degrowth‘, siehe Artikel „Von Torten und Turnschuhen“ in SaZ #12).

Stattdessen muss die Debatte um Klimaschutz konsequent zugespitzt und mit anderen Fragen verbunden werden. Das heißt erstens: sinnvoller Klimaschutz geht nur antinational, denn Nationalstaaten, die untereinander in unerbittlicher wirtschaftlicher Konkurrenz stehen, sind dazu nicht in der Lage. Das bedeutet zunächst, sich den Rechten im eigenen Land entgegenzustellen. Zweitens: Klimaschutz geht nur solidarisch (siehe Artikel „Alle im selben Boot?“ in dieser Ausgabe). Es ist enorm wichtig, beim Thema Klimaschutz nicht lediglich an den Staat zu appellieren, der ja ohnehin nicht die Rechte aller Menschen schützt, sondern nur die seiner Staatsbürger*innen. Vielmehr gilt es, sich mit allen bereits jetzt unter dem Klimawandel leidenden Menschen zu solidarisieren und das Problem dadurch weltweit auf die politische Agenda zu setzen.

Wenn Fridays for Future sich mit Ende Gelände verbünden, ist das ein guter Anfang. Nun ist wichtig, die radikalen Anteile innerhalb aller Klima-Bewegungen zu stärken, damit sie nicht von Parteien oder anderen Verteidiger*innen des Bestehenden vereinnahmt werden, sondern weiterhin die unbequemen, weil grundsätzlichen Fragen stellen.

Zum Weiterlesen:

Thorsten Mense: Kritik des Nationalismus, 10 Euro.

Peter Bierl: Klima oder Kapitalismus. https://jungle.world/artikel/2019/31/klimaschutz-statt-kapitalismus
theorie.org: Kritik der politischen Ökonomie, 2016, 12 Euro.

Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, 2007, 13 Euro.

Jungle World Schwerpunkt: Die Linke und die globale Erwärmung. https://jungle.world/inhalt/2017/35

Grundsätzliches zum Staat: Associazione delle Talpe, Staatsfragen. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/rls-papers_Staatsfragen_0911t.pdf