Wie Du Onkel Thomas mit Deiner Sprache zur Weißglut treiben kannst

Wie Sprache Protest sein kann

Mal angenommen unsere Sprache wäre magisch und bei richtiger Anwendung könnten wir alle Verhältnisse auf den Kopf stellen, indem wir sie einfach anders benennen als gewohnt. Dann müssten wir nur konsequent von »Chef:innen« sprechen und zack – Gleichstellung in der Arbeitswelt wäre erreicht. So einfach ist es aber nicht. Sprache ist kein Zauberstab und nur weil ich »Aktivist:innen« sage, haben wir morgen noch keinen Kommunismus. Ein wenig Macht hat Sprache aber dennoch: Sie kann dafür sorgen, dass kleine Kinder sich nicht nur Männer vorstellen, wenn sie von Weltraumabenteuern hören, oder dafür, dass Onkel Thomas beim nächsten Familientreffen ausflippt – und beides nur, weil wir gendern. Sprache hat also durchaus Kraft. Wer von Astronaut:innen spricht, möchte damit sichtbar machen, dass nicht nur Männer in den Weltraum reisen. Walentina Tereschkowa¹ gefällt das.

»Merkt denn niemand, was Du sagst, ist alles Plastik?«

Unsere Sprache ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, aus der sie kommt. Gleichzeitig schleift Sprache unsere Vorstellung von der Welt. Und das nicht nur, wenn es ums Geschlecht geht. Auch andere Aspekte von Macht finden sich in unserer Sprache wieder. Mehr noch: Manchmal verdeckt Sprache die Herrschaftsverhältnisse sogar und macht sie so weniger angreifbar. Darum ist es notwendig, dass wir unsere Sprache analysieren und hinterfragen.

Ein paar Beispiele gefällig? Nehmen wir mal die Begriffe »Arbeitgeber« und »Arbeitnehmer«: Der eine gibt Arbeit und der andere nimmt Arbeit – »geben« ist in unserem Sprachgebrauch ein eher positiv besetztes Wort, »nehmen« hingegen verbinden wir mit einer Belastung. Diese Wörter erwecken den Eindruck, Arbeitnehmer:innen müssten ihren Arbeitgeber:innen dankbar dafür sein, dass sie ihnen zu Arbeit und damit zu Geld für Nahrung und Wohnraum verhelfen. Aber ist es nicht eigentlich umgekehrt? Arbeiter:innen geben ihre Arbeitskraft, indem sie beispielsweise acht Stunden ihrer Lebenszeit täglich im Büro verbringen. Währenddessen nehmen »Arbeitgeber:innen« diese Arbeitskraft, um Gewinne zu erwirtschaften. Die Begriffe vermitteln also einen falschen Eindruck davon, wer hier eigentlich wem etwas bereitstellt. Hier zeigt sich übrigens auch, dass Gleichstellung in den Führungspositionen (#Chef:innen) die grundlegenden Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft gar nicht überwinden würde: denn ob ich von einer Frau, einem Mann oder einer Person in between ausgebeutet werde, macht für mich keinen Unterschied – ich werde ausgebeutet. Es setzen sich immer mehr Begriffe durch, welche die Verhältnisse in unserer Arbeitswelt verschleiern. So vermittelt das Wort »Mitarbeiter:innen« beispielsweise eine falsche Augenhöhe. Im Gegensatz zu »Angestellte« – hier schwingt die Hierarchie noch im Begriff mit, die zwischen der:dem Chef:in und den Menschen existiert, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft an erstere:n zu verkaufen und entsprechend tun müssen, was gesagt wird.

Sprache ist der Schutzpanzer des Establishments

Noch nicht überzeugt? Wir haben weitere Beispiele. Es gibt weit verbreitete Worte, die dafür sorgen, die Opposition im Voraus zu schädigen und das Establishment zu schützen. Diese »bösen Wörter« sind für den Feind reserviert – er wird dadurch verdammt, aber gleichzeitig auch erzeugt. Ganz aktuell sind hier die Debatten um Klimaaktivist:innen zu nennen: Da reicht es schon aus, irgendetwas medienwirksam dreckig zu machen, und schon fallen in der Zeitung und bei Karl-Heinz am Stammtisch Begriffe wie »Öko-Terroristen« oder »Klima-Kriminelle«. Diese Begriffe werden noch absurder, wenn man bedenkt, dass die eigentlichen Umweltzerstörer:innen zugleich als »Klima-Sünder« verharmlost werden. So werden die Menschen sprachlich gebrandmarkt, die gegen das zerstörerische Handeln von Politik und Konzernen aufbegehren, und eben nicht jene, die durch rücksichtslose Profitmaximierung den Planeten langfristig zugrunde richten. Diese verdrehte Sprache transportiert auch eine verdrehte Annahme in unsere Gesellschaft: Wenn es nämlich völlig übertrieben sei, radikale Mittel anzuwenden, um eine konsequente Politik gegen Klimaerwärmung einzufordern, dann wäre die aktuelle Politik vielleicht ja gar nicht so problematisch, oder? 97 % der Klimaforschung widerlegen das.²

Andere Verdrehungen kommen bei der Berichterstattung über Ausschreitungen vor: Immer wieder müssen wir von »Gewalt« lesen, die Aktivist:innen an den Tag gelegt hätten, wo eigentlich Sachbeschädigung gemeint ist. (Mehr zum Thema Gewalt kannst Du übrigens hier nachlesen.) Bitter wird es dann, wenn solche Begrifflichkeiten eine völlig falsche Realität zeichnen: zum Beispiel, wenn wir in der Protestberichterstattung von 68 verletzten Cops lesen, nur um nach intensiver Recherche³ irgendwo kleingedruckt herauszufinden, dass 67 davon in ihr eigenes Tränengas gerannt sind.

»Egal was ich in meinem Leben so vor hab – in jedem Fall kämpf‘ ich für Sprache und Wortschatz«

Sprache kann also Realität falsch abbilden und durch Unterschlagung wichtiger Infos oder durch falsche Begrifflichkeiten Herrschaft verschleiern und Protest delegitimieren. Entsprechend kann Sprache auch zum Ausdruck von Protest werden. Indem wir unsere Sprache verändern, können wir Zusammenhänge sichtbar machen, Diskussionen anstoßen und eine Angriffsfläche für grundlegende Kämpfe offenlegen. Ein letztes Beispiel: Wenn wir konsequent von »Lohnarbeit« sprechen, sobald wir über unseren bezahlten Job reden, machen wir damit deutlich, dass unser Leben aus verschiedensten Formen von Arbeit besteht (Haushalt, Ehrenamt, Familie, Aktivismus, …) und nur eine bestimmte Form davon mit Geld belohnt wird. Die Verhältnisse ändern sich aber allein dadurch nicht grundlegend; es braucht ebenjene weitergehenden Kämpfe. Sprache ist nur ein erster Schritt. Unabhängig davon, dass Sprache allein unser System noch nicht verändert, sollten wir auch im Kapitalismus Menschen das Leben nicht unnötig beschissen machen, indem wir sie absichtlich misgendern oder unsichtbar machen – basic human decency. Also liebe Genoss:innen, spitzt Eure Zungen und dann an die Arbeit.

¹ Sie war 1963 die erste Frau im Weltraum und wir haben keine Ahnung, wie sie Gendern findet.
² Zumindest kommen 97 % der Forschung zum gleichen Schluss: Der Klimawandel ist ein massiv menschengemachtes Problem – und jetzt braucht es auch massiv menschengemachte Lösungen.
³ Lässt sich bei all jenen Journalist:innen nachlesen, die nicht unhinterfragt die Pressemitteilungen der Polizei übernehmen.