Rat & Hilfe von Dr. Zucker: Sprich Dich aus…

Du protestierst? Sogar regelmäßig?! Keine Sorge, Du bist nicht allein!

Du hast Fragen zu Protest, aber weißt nicht an wen Du Dich wenden sollst? Eltern, Lehrer:innen oder Arbeitskolleg:innen sind da nicht unbedingt die erste Anlaufstelle. Bei Dr. Zucker erfährst Du das, was Dir sonst niemand erzählt.

Es ist wichtig, über Protesterfahrungen zu sprechen und sich zusammenzuschließen. Deshalb haben wir verschiedene Menschen interviewt und ihre Erfahrungen aufgeschrieben.

Was war deine prägendste Protesterfahrung?

»Auf jeden Fall der G20-Gipfel in Hamburg. Es gab sehr viele schöne und kraftvolle Momente wie den Versuch, mit tausenden Genoss:innen aus St. Pauli zur Elbphilharmonie vorzudringen, aber auch krasse Gewalterfahrungen wie bei der ›Welcome To Hell‹-Demo, die bis heute ihre Nachwirkungen haben. Außerdem sehr prägend sind die ›Ende Gelände‹- Massenaktionen. So viel Liebe und Solidarität habe ich selten bei Aktionen erlebt.« – Merve, 25, Neunkirchen

»Die Räumung des besetzten Hauses ›Topf Squat‹ in Erfurt damals 2009. Das SEK seilte sich mit Hubschraubern auf das Dach ab; es gab Scharfschützen auf der Tanke nebenan und extreme Polizeigewalt. Das Haus wurde nach der Räumung in den Morgenstunden sofort abgerissen. Es gibt einige Leute, die bis heute wegen dieses Erlebnisses mit Traumata zu kämpfen haben.« – Bernd, 42, Erfurt

»Mein erster Christopher Street Day. Man erinnert an die Menschenrechtskämpfe in der Vergangenheit, kämpft für Akzeptanz in der Gegenwart und zelebriert die einzelnen Menschen.« – Claudi, 34, Berlin

»Die ersten ›Fridays for Future‹-Demos. Da haben sogar die Menschen aus meiner Kleinstadt gemerkt, dass die jungen Leute an eine Veränderung der Welt glauben.« – Lis, 18, Mülheim

»Als ich gerade frisch Mutter geworden bin, hatte ich mein Baby in der Trage dabei, als wir 2017 die Identitäre Bewegung in Berlin (erfolgreich) blockiert haben. Ich war damals mit einer zauberhaften Bezugsgruppe* unterwegs. Prägend war die Erfahrung, als ich das Kleine in der Blockade gewickelt habe und dachte: Wow, Mutterschaft und Aktionismus schließen sich mit dem richtigen Support nicht aus.« – Marita, 33, Berlin.

Was war deine peinlichste oder witzigste Protesterfahrung?

»Das war auf einer kleinen Kundgebung zu Rojava. Aus der Kundgebung entstand eine kleine Sponti*. Die Polizei war nur mit einem Wagen vor Ort und der fuhr vor der Sponti. Wir sind immer wieder an Kreuzungen plötzlich doch anders abgebogen. Die Polizei war dann aber schon in eine andere Straße gefahren und musste ständig aufgrund von Einbahnstraßen die Stadt umrunden, um die Demo wiederzufinden und wieder vor sie zu kommen. Hat immer wieder aufs Neue funktioniert.« – Juli, 20, Uelzen

»Spontandemo organisiert, Transpi* gemalt, Flyer kopiert – am Ende waren sechs Personen da und niemand wollte loslaufen, weil wir zu wenig Leute waren.« – Roko, 19, Regensburg

»Wirklich witzig war das Versinken der Cops im Schlamm von Lützerath.« – Bruno, 20, Wuppertal

»Bei einem Gegenprotest wurde unsere Seite von einer alten Frau mit Handbewegungen provoziert. In Rage habe ich einfach nur so laut ich konnte gebrüllt: ›Du stirbst bald!‹ – was eigentlich eine Anspielung auf die Irrelevanz ihrer Alte-Leute-Meinung sein sollte, aber wie eine Morddrohung klang.« – Arnold, 28, Dresden

»Ich fand es früher mega peinlich, wenn ich laut einen Demo-Ruf gebrüllt habe und dann hat keiner mitgemacht. Mittlerweile find ich das nicht mehr so unangenehm.« – Hamsa, 23, Hannover

»Als ich als kleines Mädchen mit zwölf auf meine erste Demo gegangen bin, gegen die NPD damals – ausgestattet mit einem riesigen Schild mit dem Spruch: ›Liegt der Nazi tot im Keller, war der Punk mal wieder schneller‹. Ich wurde dann vom Schwarzen Block adoptiert, den ich auf eine sehr coole Art und Weise ein bisschen scary fand. Damit habe ich noch wochenlang angegeben.« – Lara, 20, Bremen

»Auf jeden Fall die Entführung von Bernd das Brot 2009! Als Protest gegen die Räumung des besetzen Hauses in Erfurt haben Leute die riesige Plastikfigur aus der Innenstadt gekidnappt und ein Bekennerschreiben und Video veröffentlicht, in dem Bernd sich mit den Hausbesetzer:innen solidarisierte.« – Sally, 30, Eisenach

»Mit 15 habe ich mich politisiert, ziemlich bürgerlich allerdings. Auf einer Anti-NaziDemo habe ich dann einen Antifa-Dude kennengelernt, den ich schon ziemlich hot fand. Jedenfalls ist die Demo irgendwann vorbei, wir am Viben, und ich sag zu ihm: ›Den besten Job heute hat ja die Polizei gemacht‹. Und der Gute guckt mich richtig entsetzt an, dreht sich auf dem Absatz um und verschwindet spurlos in der Menge. Sehr sad, aber hat mich definitiv radikalisiert. Also, Antifa-Dude, falls Du das hier liest: Good job, bin heute linksradikal (bitte melde Dich)!« – Larissa, 29, Berlin

»Demo gegen das ›Fest der Völker‹: Es spaltete sich eine Bezugsgruppe namens ›Bombenteppich‹ ab. Etwa 200 Personen dachten wohl: ›das klingt super‹, und schlossen sich an. Wir rannten alle durch eine Schrebergartenanlage; beim Versuch, über einen Zaun zu klettern, kippte dieser um. Dann stellte jemand fest, dass das Tor daneben einfach offen gewesen wäre. Am Ende half uns übrigens der Pfarrer des Ortes, einer Festnahme zu entgehen.« – Andi, 28, Jena

Welchen Rat würdest Du Deinem jüngeren Ich geben?

»Ich würde sagen: Bitte bereite Dich vernünftig vor, zu Deinem Schutz und auch dem der anderen. Geh zu Aktionstrainings*. Sowas versetzt mich selbst vorher oft in ein bisschen Panik, aber wenn es losgeht, tut es super gut, einen Überblick zu haben. Und: kein Rauschmittelkonsum unmittelbar vor oder während Aktionen!« – Mara, 39, Kiel

»Gerade bei militanten und eskalativen Demonstrationen ist es wichtig, dass man seiner Bezugsgruppe vertraut. Man sollte nach einem Protest immer die Möglichkeit haben, in Ruhe zu sprechen, damit man das Geschehene nicht allein mit sich ausmachen muss. Das kann einen nämlich manchmal stärker belasten als erwartet. Außerdem würde ich auch als Frau sagen, dass man sich nicht von irgendwelchen selbsternannten Ober-Alphas verunsichern lassen soll (bei Deli-Plena*, auf Demos etc.), was manchmal gar nicht so einfach ist und oft sogar frustrierend.« – Hanna, 31, Rostock

»Pack Dir Snacks und Wasser ein. Es kann passieren, dass Du in einen Polizeikessel gerätst, und dann ist es gut, Proviant dabei zu haben.« – Lola, 30, Merseburg

Good to know…
Bezugsgruppe: Die Genoss:innen, mit denen Du gemeinsam auf eine Demo gehst. Ihr bleibt immer zusammen und achtet aufeinander, damit niemandem etwas passiert – und falls doch, dann kümmert Ihr Euch umeinander.
Sponti: Spontane, nicht angemeldete Demonstration. Schau mal auf Seite 28, da gibt es einen Artikel dazu.
Transpi: Banner oder Plakat für Kundgebungen und Demonstrationen
Aktionstraining: Gemeinsame Vorbereitung auf Aktionen (z.B. Übung von Sitzblockaden)
Deli-Plena: Ein Delegiertenplenum ist ein Plenum bei einer Demo, zu dem jede Bezugsgruppe eine:n Deligierte:n hinschickt. Ziel ist es, beispielsweise die nächste Aktion zu besprechen oder eine Info zu verbreiten, die dann zurück in die Bezugsgruppen getragen wird.