„Für viele ist der Einstieg in die Konsumkritik, die Vorstufe zur Systemkritik.“

Kommentar zum Artikel „Weltrettung im Biosupermarkt“

Guten Tag,

Vieles richtige steht in dem Artikel, aber dennoch finde ich, dass einige wichtige Aspekte übersehen werden.

Für viele ist der Einstieg in die Konsumkritik, die Vorstufe zur Systemkritik. Eine Bewusstwerdung darüber, dass da einiges im Argen liegt. Und ein Verstehen von Auswirkungen unserer Lebensweise. Sicherlich kommen viele auch nicht an den Punkt, die Systemfrage zu stellen. Trotzdem ist es eine Chance und ein wichtiger Lernprozess. Konsumkritik ist mehr, als nur welcher Konzern ist weniger schlimm. Sondern auch, was kann überhaupt unter „nicht-toxischen“ Bedingungen hergestellt werden. Da scheinen mir doch so manche Linke im Lala-Land zu leben. Viele Güter und Dienstleistungen könnten niemals unter nichtausbeuterischen Bedingungen jedem Menschen dieses Planeten zur Verfügung stehen. Da gehört halt auch das Fliegen dazu. In einem menschen- und umweltfreundlicheren System wird unsere Lebensweise keinen Platz haben.

Ich sehe keine Revolution die ohne faschistoide Maßnahmen einer solchen Lebensweise in naher Zukunft das Ende bereiten könnte. Deshalb sehe ich hier nur einen gesamtgesellschaftlichen Lernprozess, der ein total anderes Mindset hat als die aktuelle Gesellschaft, als Ausweg. Dazu gehört es, die Verheerungen des Kapitalismus sichtbar zu machen, um überhaupt zu verstehen wohin es gehen müsste. Der Kapitalismus hat die Welt so stark abstrahiert, dass die Welt erst wieder gefunden werden muss. Und da ist der Verzicht aufs Fliegen zumindest ein Statement. Das bringt Menschen zum Denken, das schafft Diskussionen. Und jedes Bisschen, dass mehr in die Atmosphäre geblasen wird, verschärft die Lage. Wer glaubt mir denn, dass ich für eine bessere Welt kämpfe, wenn ich vor aller Augen auf diese scheiße.

Klar Konsumkritik ohne Kapitalismuskritik ist keine Lösung. Das zu benennen bleibt wichtig.

Cheers

Hej L.,

es freut uns, dass unser Artikel Dich zum Weiterdenken angeregt hat. Zunächst würden wir Dir zustimmen, Konsumkritik kann ein Einstieg in die Politisierung sein und sollte nicht einfach weggelacht werden. Sicherlich gibt es auch Menschen in der Linken, die das Argument, demnach das Problem in der grundsätzlichen Organisation der Gesellschaft und weniger bei Einzelnen liege, als Freifahrtschein verwenden, um sich scheiße zu verhalten. Dass es sinnvoll sein kann, das eigene Verhalten zu ändern, um Diskussionen anzuregen, schneiden wir ja in dem Artikel auch kurz an.

Allerdings, und da würden wir Dir widersprechen, führt Konsumkritik gerade nicht zu einem „Verstehen der Auswirkungen unserer Lebensweise“, wie Du schreibst. Das ist ja gerade das Perfide: Es scheint so, als hätte mensch etwas verstanden, obwohl die Konsumentscheidungen der Einzelnen eigentlich gar nicht an die Wurzel des Problems herankommen. Das wird an einem Beispiel deutlich. Du schreibst: „Viele Güter und Dienstleistungen könnten niemals unter nichtausbeuterischen Bedingungen jedem Menschen dieses Planeten zur Verfügung stehen“. Im Umkehrschluss würde das ja bedeuten, dass man nur die Güter und Dienstleistungen identifizieren und konsumieren muss, die unter „guten“ Bedingungen hergestellt werden, Zugreisen zum Beispiel. Wir würden aber sagen, dass es so etwas wie „gute“ oder „faire“ Bedingungen unter kapitalistischer Produktionsweise nicht gibt. Unter den marktwirtschaftlichen Bedingungen der Konkurrenz ist es eben gerade nicht die einzelne Entscheidung von Politiker*innen oder Firmenchef*innen, sondern es sind die Zwänge dieser Produktionsweise, die zur Katastrophe für Mensch und Umwelt führen: Es muss möglichst günstig und profitorientiert produziert werden, um in der Konkurrenz gegenüber anderen Unternehmen oder Wirtschaftsstandorten nicht auf Dauer den Kürzeren zu ziehen. Und auch Unternehmen, die sich „faire“ Arbeitsbedingungen oder eine „ökologische“ Produktion auf die Fahnen schreiben, müssen irgendwie Profite erwirtschaften, um auf Dauer nicht in der Konkurrenz unterzugehen.

Die Suche nach „guten“ Produkten führt dazu, dass diese eigentlichen Ursachen für Krisen und Ausbeutung nicht mehr gesehen werden können und daher bestehen bleiben. Das bedeutet, es reicht nicht aus das „Mindset“ zu verändern, von dem du schreibst (zumal sich unter kapitalitischen Bedingungen das „gute/faire“ Mindset auch erstmal finanziell leisten können muss). Die Menschen müssen zudem ein grundlegendes Verständnis davon gewinnen, dass wir Gesellschaft nicht weiter über Konkurrenz und Markt organisieren können.

Anstatt zu versuchen sehr viel Zeit in den eigenen Konsum zu investieren, sollten wir uns daher lieber zusammentun und durch Aufklärung, Kritik und politische Auseinandersetzungen an einer radikalen, d.h. grundlegenden, Veränderung der Gesellschaft arbeiten. Ob man das dann „Revolution“ nennt ist eigentlich egal. Klar ist aber auch: Einerseits werden gesellschaftliche Veränderungen zum Teil immer auch gegen gegenläufige Interessen durchgesetzt werden müssen, andererseits lehrt uns die Geschichte, dass gesellschaftliche Emanzipation nicht mit autoritären Methoden durchgesetzt werden kann.

Viele Grüße

Deine SaZ

Hejo SAZ,

danke für eure ausführliche Antwort! Das hilft mir noch etwas mehr den besagten Artikel zu verstehen. Vielleicht wird es noch etwas verständlicher warum ich so denke, wenn ich euch sage das ich mich zuerst mit Systemkritik beschäftigt habe, aber mir doch alles sehr abstrakt vorkam. Damals konnte ich nur in Revolution im klassischen (etwas infantilen) Sinne denken. Dabei schien mir deren Erreichbarkeit sehr sehr weit weg, was mich doch etwas ohnmächtig zurückgelassen hat. So kam ich auf die Konsumkritik, informierte mich wer, was schlimmes macht. Bis mir klar wurde, dass es unüberschaubar wird, bzw. alle möglichen Arten von Siegeln (z.B. FSC) totale abzocke sind. Erst da wurde mir persönlich klar, dass eine lebenswertere Welt in vielen Etappen erarbeitet und erkämpft werden muss.

So habe ich mich auf den Weg gemacht und jetzt stehe ich hier.

Ich verstehe eure Perspektive, aber nicht jeder schaut aus der gleichen Richtung 😉

Dennoch gibt es meiner Meinung nach bestimmte Konsumentscheidungen die mit einer besseren Welt nicht vereinbar sind. Denn, wenn ich zum Beispiel Treibhausgase emittiere verändere ich faktisch damit die Atmosphäre. Ich zerstöre aktiv die Grundlagen für eine lebenswertere Welt. Je kaputter die Ökosysteme sind, desto schlechter wird die Lebensgrundlage in egal welcher Art von

Gesellschaft sein. Des Weiteren gehe ich davon aus, dass die Klimakatastrophe den rechten, totalitären Kräften in die Karten spielen wird.

Dabei lass ich es jetzt mal bewenden.

Ich mag eure Zeitung und hoffe es gibt bald wieder eine neue Ausgabe.

Beste Grüße

ein Dorfkind