Warum die Rede vom ökologischen Fußabdruck, von Flugscham und „Fang bei Dir selber an“ in die Irre führt
Statt den Kaffee im To-Go-Becher zu trinken, kaufe ich mir einen wiederverwendbaren. Den Urlaub verbringe ich nicht auf Ibiza, sondern im deutschen Wald. Und meine Lebensmittel hole ich mir im Unverpacktladen. Dass das die Lösung für die Umweltkrise wäre, hört man immer wieder und es klingt ja erstmal auch super plausibel. Lebensmittel und ein koffeinhaltiges Heißgetränk auf dem Weg zur Schule, Arbeit oder Uni brauchen nun mal (fast) alle von uns. Wenn wir weniger Plastik oder Flugreisen konsumieren, gibt es davon auch weniger. Klar, da müssen dann schon alle mitmachen. Deshalb scheint es auch so wichtig, ständig alle damit zu nerven, ihren Kaffee doch bitte ohne den Plastikdeckel zu kaufen.
Was haben wir nun da wieder gegen? Einen wiederverwendbaren Becher für mein Heißgetränk mitnehmen, klar, das krieg ich easy hin, aber spätestens im Supermarkt wird das Problem deutlich. Fast jedes Produkt ist noch mal extra eingepackt. Dazu kommen die ganzen Transportwege. Natürlich kann man nur regionale Produkte kaufen – aber wer will schon sein ganzes Leben nur Steckrüben, Rauke und Kartoffeln essen? Und was nützt das Weglassen vom Plastikdeckel, wenn der Inhalt des Bechers einmal um den halben Planeten gefahren wurde? Wenn Du beim Kleidungskauf zwar auf die Tüte verzichtest, aber die Klamotten unter beschissenen Bedingungen für Mensch und Umwelt hergestellt wurden, wird deutlich, wie absurd das alles ist. Dasselbe gilt für Flugreisen: ungefähr ein Drittel aller Flüge sind Geschäftsreisen, bei innerdeutschen Flügen sind es sogar 80 Prozent. Selbst wenn eure Familie nur noch Campingurlaub an der Ostsee macht, hilft das nicht viel, wenn Mama fünf Mal im Jahr für die Firma nach China fliegt.
Gleichzeitig klingt das alles paradox: Die Straßen aus Zucker fordert doch eigentlich immer zu einem veränderten individuellen Handeln auf – ein sexistischer Spruch weniger oder ein Einschreiten bei einer rassistischen Anmache sind für Betroffene oftmals eine große Hilfe. Irgendwo muss man schließlich anfangen, warum soll das bei Umweltfragen nicht genauso gelten? Weil es da eindeutig komplizierter wird! Wenn eine Frau* einmal weniger sexistisch angemacht wird, ist das für sie eine Menge. Wird hingegen ein Plastikbecher weniger verbraucht, ändert das nichts am Gesamtproblem. Denn alles zu vermeiden, was notwendig wäre, ist nicht möglich. Auch nicht trotz zeitintensiver Recherchen, wo was wie produziert wird. Schlimmer noch, hierbei wird eine Schlüsselfrage ausgeblendet: Woran liegt es eigentlich, dass überhaupt so wenig nachhaltig produziert wird?
Capitalism kills climate, not you
Die Antwort auf diese Frage liegt – wie so oft – in der komplexen Art, wie die kapitalistische Produktionsweise funktioniert. Mit der Vorstellung, jeder Mensch habe einen ökologischen Fußabdruck, den es zu reduzieren gelte, wird versucht, diese Komplexität zu vereinfachen. Allerdings wird dabei etwas Grundsätzliches verschleiert: Wenn nicht grundlegend geändert wird, wie die Gesellschaft organisiert ist, nämlich marktwirtschaftlich, ist die Klimakatastrophe unvermeidbar. Da können noch so viele Plastikstrohhalme eingespart werden. Denn solange es kapitalistische Konkurrenz gibt, die die Unternehmen zu immer mehr und immer billigerer Produktion zwingt, lohnt es sich, ganz clever die Verseuchung von Wasser, Verpestung der Luft und den Raubbau von Rohstoffen zu intensivieren (mehr dazu im ersten Artikel in dieser Ausgabe). Die Rede vom ökologischen Fußabdruck, der durch angeblich „besseren“ Konsum verkleinert werden soll (weshalb auch manchmal von Konsumkritik gesprochen wird), schiebt das Problem der*dem Einzelnen zu, indem Umweltverschmutzung und Klimawandel als Folge von einzelnen Handlungen dargestellt werden. Dadurch wird aber der notwendige Blick auf das tiefer liegende gesellschaftliche Problem verdeckt, dass mit einer Wirtschaftsform, in der Unternehmen notwendig auf mehr Wachstum setzen müssen und das Schonen der Umwelt dieses Wachstum senkt, keine Lösung möglich ist. Da können sich Menschen noch so viel schämen…
Und wenn in Deutschland bei einer Umfrage 87 Prozent auf die Frage, was sie persönlich gegen den Klimawandel tun, mit „Müll trennen“ antworten, wird deutlich, dass „Flugscham“ wie jede Scham nicht zu anderem Handeln führt, sondern zu komischen heimlichen Verrenkungen und Unwohlsein. Wer will das schon? Und irgendwann wird das Vermeiden von Flugzeug oder Auto den Leuten auch zu anstrengend, wird zur „verrückten Jugendphase“ erklärt und man beschränkt sich darauf, jährlich zu spenden und eine irgendwie „linke“ Partei zu wählen. Es ist uns bewusst, dass das alles ziemlich negativ klingt und viele sich die Frage stellen, was sie überhaupt tun können. Zumal die Zeit immer knapper wird. Individuell lässt sich das Problem aber auf gar keinen Fall lösen. Es ist notwendig sich zusammenzuschließen und gemeinsam dafür zu kämpfen, dass sich was ändert. Dabei kann es natürlich helfen, durch die eigene Lebensweise anderen einen Anstoß zu geben, zum Beispiel, wenn ihr mit eurer Familie diskutiert, warum ihr kein Fleisch esst. Aber man sollte sich immer bewusst sein, dass die Gefahr besteht, den größeren Zusammenhang zu verschleiern.
Der Ablasshandel des 21. Jahrhunderts
Konsumkritik hat aber noch andere negative Folgen: Sie ist einerseits eine recht zeitintensive Ablenkung. Wer sich ganz genau auskennen will, verbringt viel Zeit beim Recherchieren – welche Unternehmen was Gutes oder Schlechtes machen, welche Inhaltsstoffe oder Materialien mit welchen Umweltfolgen produziert wurden. Zeit und Energie, die für Aktionen, fürs Lesen über die Zusammenhänge und fürs Organisieren fehlen. Oftmals findet außerdem ein regelrechtes Shaming statt. Konsumkritik funktioniert dann wie eine Art Ablasshandel. Weil man ja Bio und im sauteuren Unverpacktladen kauft und die anderen nicht, sei man angeblich ein besserer Mensch. Konsumkritik wird so zum Instrument der Mittelklasse, um sich von den unteren Klassen abzugrenzen – ähnlich wie die Oper. Es ist natürlich nicht falsch, in die Oper zu gehen, aber es sind auch nicht alle Menschen schlechter, die das nicht machen wollen oder können. Andere regen sich über die BILD-Zeitung auf und lesen die Frankfurter Allgemeine Zeitung, in der dasselbe steht, nur mit mehr Fremdwörtern. Hier findet eine Abgrenzung und Abwertung statt, letzten Endes reines Rumgepose. Das zeigt sich beim Thema Umwelt dadurch, dass je höher das Einkommen ist, desto größer ist auch der ökologische Fußabdruck. Menschen, die mehr verdienen, konsumieren schlicht deutlich mehr, haben größere Wohnungen und Autos und können sich mehr Urlaub leisten. Die Abwertung (und auch politische Mittel gegen den Klimawandel wie die CO2-Steuer) treffen also die, die eh schon am wenigsten verbrauchen, also Menschen, die kaum genug Geld zum Leben haben, wie Hartz-IV-Empfänger*innen.
Die Erzählung, man sei ja so ökologisch, weil man „was macht“ und andere nicht, entpuppt sich dann als Ideologie. Also eine Idee, die aber nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern eine Funktion hat, nämlich, dass alles so weiter läuft wie bisher. Der Hunger in der Welt wird noch endlos anhalten, da die Charity-Galas der Reichen und Spendenkampagnen der Kirchen auch nur zu gutem Gewissen führen. Die Mittelschicht verschafft sich dieses Gefühl gerne und sorgt für Abstand zu den unteren Klassen, die sich ja echt nicht für die Weltprobleme interessieren würden… Und nichts verändert sich. Die Rede von der Nachhaltigkeit führt so zu einem Weitermachen wie bisher, anstatt die radikalen Änderungen zu fordern, die notwendig wären, um Umweltverschmutzung und Klimawandel wirklich nachhaltig zu verhindern. Die Aussage: „Fang bei Dir selber an“ ist der Aufruf zum besseren Konsum. Sie gehört zu einer Welt der besseren Produktauswahl, des nachhaltigen Shoppings. Einer Welt, in der nur Produktion und Effizienz, Profit und Ausbeute zählen und eben nicht das Glück und das gute Leben der Menschen. Etwas Besseres, etwas, was wirklich Lösungen verspricht, was das Leben von Menschen weltweit verbessert, findet sich nur jenseits jener Welt. Und genau deshalb kämpfen wir für eine andere Welt – nicht nur für eine ohne Plastikdeckel.
Straßen aus Zucker #5: Fang bei Dir selber an!?
Zum Weiterlesen:
Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.: Biomasse für die Green Economy. https://www.fdcl.org/publication/2015-11-01
Gruppen gegen Kapital und Nation: Kritik der Konsumkritik. https://gegen-kapital-und-nation.org/kritik-der-konsumkritik/
Ein Comic zu Fair Trade, Wohltätigkeit etc. auf Englisch. http://y2u.be/hpAMbpQ8J7g
Kathrin Hartmann: Die grüne Lüge, 2018, 15 Euro.