Zum Verhältnis von Mensch und Natur
In Zeiten von Klimawandel und grünem Höhenflug scheint überall klar zu sein: Die Natur gilt es zu retten! Denn ohne Natur kriegen wir ja weder Kartoffeln noch sonst irgendwas auf den Teller. Unternehmen und andere Schmutzfinken können auch nicht weiter ohne Ende Müll in die Meere schmeißen, ohne dass die Natur dann irgendwann mal „zurückschlägt“. Als Menschen sind wir den Spielregeln der Natur in vielen Lebensbereichen unterworfen. Menschen können nur dort Landwirtschaft betreiben, wo es die Böden zulassen. An vielen Orten können Menschen nur überleben, wenn sie sich gegen zu viel Hitze oder Kälte schützen. Gleichzeitig greifen Menschen aber auch überall in die Natur ein: Sie versuchen die Böden so zu bewirtschaften, dass diese auch über mehrere Jahre nutzbar sind oder holen Kalk, Ton und Eisenerz aus der Erde, um später Straßen oder Häuser zu bauen. Auf diese Art die Umwelt zu bewirtschaften funktioniert nur, weil Menschen natürliche Ressourcen durch ihre Arbeit nutzbar machen.
Und jetzt sagen wir auf einmal: Die Natur, die wollen wir gar nicht retten – Hä?
Zurück zur Natur?
Schon die Dichter der Romantik schmachteten nach einem „Zurück zur Natur“ und drückten damit ein Begehren gegen die aufkommenden Zumutungen der damals entstehenden kapitalistischen Moderne aus. Dementgegen setzten sie eine Demut vor der Schönheit der Natur und dem Natürlichen. Und auch wenn‘s heute ums Essen, Wohnen oder Arbeiten geht, dann heißt es bei vielen: Je natürlicher, naturnaher oder unberührter desto besser. Dagegen würden zu viele menschliche Eingriffe in die Natur die Allmacht der Natur missachten und zu Katastrophen führen.
Klar, auch wir mögen‘s mal romantisch und spazieren gerne durch verlassen scheinende Wälder, spüren Laub unter unseren Schritten, genießen den Blick auf weiße Sandstrände und azurblaues Meer – statt immer nur dem Lärm und Dreck an der Berliner Kotti d‘Azur oder jeder Stadtautobahn ausgesetzt zu sein. Was zur Hölle haben wir also für ein Problem mit der Natur? Nun, zunächst einmal wollen wir auf gar keinen Fall zurück zu einem wie auch immer gearteten, „ursprünglichen“ Zustand der Natur, in dem die Menschen sich aufs Land zurückziehen, um dort abgeschieden und im Schweiße ihres Angesichts den lieben langen Tag den Acker zu bestellen und Selbstversorgung zu betreiben. Übrigens auch dann nicht, wenn die Waldhütte oder der umgebaute Bauernhof kostenloses W-Lan zu bieten hätte. Denn romantische Dichter und Biogarten-Ökos vergessen oft, dass Natur ohne Bearbeitung des Menschen eher Wildnis statt Idylle ist. So ist etwa der Urwald – selbst mit entsprechender Decathlon-Ausrüstung – kein sonderlich menschenfreundlicher Ort. Wir gehen aber noch weiter und stellen in Frage, ob eine strikte Gegenüberstellung von Mensch und Natur überhaupt so viel Sinn macht.
100% Mensch, 100% Natur
Eigentlich scheint die Sache doch klar: Auf der einen Seite gibt es die Natur. Und auf der anderen Seite gibt es Menschen und menschliche Gesellschaften. Der Mensch macht die Natur kaputt, ist ihr gleichzeitig aber auch ausgeliefert. Doch so richtig Sinn ergibt diese Unterscheidung von Mensch und Natur nicht. Denn der Mensch ist auch ein Teil der Natur. Damit wollen wir nicht sagen, dass es eine unveränderliche Natur des Menschen gebe, welcher bestimmte Charaktereigenschaften entsprechen würden – etwa „Egoismus“ oder ein „Fortpflanzungstrieb“. Das sind eher die Folgen des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen, die allerdings als „natürlich“ erscheinen können. Nämlich dann, wenn sie über lange Zeit in einer Gesellschaft von vielen Menschen praktiziert werden. Worauf wir stattdessen hinauswollen: Menschen können sich nicht allen Spielregeln der Natur entziehen: Sie müssen essen, schlafen und irgendwann auch sterben.
Die Natur, wie Menschen sie heute vorfinden oder wie sie andere vor 200 Jahren erlebt haben, immer auch schon das Ergebnis von menschlichen Handlungen: Davon, wie Menschen sich in ihr bewegt haben und bewegen, wo sie hingezogen sind und hinziehen, wie sie ihre Umwelt bearbeitet haben und sie bearbeiten oder wie sie diese in Ruhe gelassen haben. Pflanzen und Tiere die heute „natürlich“ an einem Ort der Welt leben, wurden teils vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten eingeschifft und „künstlich“ angesiedelt. Es gibt nur ganz wenige Orte auf der Welt, die bislang kaum ein Mensch betreten und direkt beeinflusst hat – beispielsweise im dicht wuchernden Regenwald des Amazonas-Beckens. Aber selbst solche Orte entziehen sich nicht vollständig den Folgen menschlicher Tätigkeiten. Denn auch die wenigen dort lebenden Menschen legen Wege und Bewässerungssysteme an, um beispielsweise Nahrung zu produzieren.
Was wir wollen: Nicht die Natur beherrschen, sondern unser Naturverhältnis
Die Natur kann demnach gar nicht vom Menschen gerettet oder zerstört werden. Dazu müsste es ja eben eine vom Menschen unberührte Natur geben – quasi als Urzustand. Dabei ist das, was wir im Kopf haben, wenn wir „Natur“ sagen, ja schon durch Menschen selbst gemacht. Indem wir beispielsweise darüber nachdenken und mit anderen sprechen, ob noch ein Waldstück im Amazonas gerodet werden soll oder nicht, sagen wir ja schon einiges darüber, was für uns „Natur“ ist. Was die Menschen also sehr wohl anders gestalten könnten, ist ihr Verhältnis zur Natur! Auch, wer mit einfachem Werkzeug den Acker anlegt, gestaltet. Ohne Eingriffe in die Welt könnte niemand überleben. Ob solche Eingriffe im großen Maßstab mit riesigen Traktoren und Insektizid-Helikoptern gemacht werden oder eben mit dem selbstgebauten Spaten tut erstmal nichts zur Sache.
Im Großen und Ganzen ist die Art und Weise, wie in der Marktwirtschaft die Herstellung und Verteilung von Waren organisiert ist, auf die Beherrschung von Natur ausgelegt. Solch ein beherrschendes Verhältnis begibt sich jedoch auf ziemlich dünnes Eis. Dort erfolgt die Beherrschung der Natur nämlich so, dass Unternehmen natürliche Ressourcen ihren Profiten unterordnen und die Umwelt als bloße Rohstoff-Quelle oder als Abfalleimer begreifen. Mit den inzwischen allseits bekannten Folgen. Daran sieht man, dass es natürlich doch einen Unterschied zwischen Spaten und Riesentrecker gibt. In beiden kann sich jeweils ein anderes Verhältnis zur Natur ausdrücken.
Unser Ziel hingegen wäre ein vernünftiges Verhältnis der Menschen zur Natur zu erreichen, bei dem es vielmehr darauf ankäme, sich die Ressourcen der Natur als Menschen kollektiv anzueignen und entsprechend den Bedürfnissen der Menschen möglichst nachhaltig nutzbar zu machen.
Denn nicht, dass per se in die Natur eingegriffen wird ist das Problem, sondern dass diese Eingriffe in der Marktwirtschaft blind und blöde dem Profitstreben unterworfen sind.
Wir wollen den Klimawandel nicht aufhalten, um irgendeine angebliche Natürlichkeit zu bewahren, die es in dieser Form gar nicht gibt. Sondern weil wir die Möglichkeit einer besseren Gesellschaft aufrechterhalten wollen, in der die Erde eine Lebensgrundlage für möglichst viele Menschen und andere Lebewesen bereithält. Um dieses Ziel zu erreichen und um ein vernünftigeres Verhältnis zur Natur möglich zu machen, müssen auch die Verhältnisse und Beziehungen der Menschen untereinander vernünftiger gestaltet werden. Das wiederum hieße aber gerade nicht ein Wirtschaftssystem weiterzuverfolgen, das auf Konkurrenz gründet.
Zum Weiterlesen:
Phase 2 Nr. 45, Schwerpunkt zu Ökologie
Alfred Schmidt: Der Begriff der Natur in der Lehre von Karl Marx, 5. Aufl., 2016, 20 Euro
(Engl.) Out of the Woods: Human Nature
Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, 1944, 12 Euro
(Engl.) Jason W. Moore: Capitalism in the Web of Life. Ecology and the Accumulation of Capital, 2015, 25 Euro
David Blackbourn: Die Eroberung der Natur: Eine Geschichte der deutschen Landschaft, 2008, 20 Euro