Ökologischer als die Polizei erlaubt

Eine Ausgabe voller Argumente, warum die Umweltkrisen nach radikalen Lösungen schreien und ein „Weiter so“ ziemlich sicher zur Katastrophe führen wird

Im Sommer 2019 schrieb die Polizei im westdeutschen Aachen umweltprotestierenden Schüler*innen einen Brief. Dieser wurde gleich an alle 1500 Schulen der Gegend weitergeleitet. Darin warnte die Polizei davor, sich an den Protesten gegen den Braunkohlebergbau zu beteiligen. Leute, die das getan hätten, seien „vom Gericht zu einer Zahlung in Höhe von 2,1 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt worden“. Aua, das will natürlich niemand. Und dann seien auch „über einen längeren Zeitraum anhaltende absichtliche Blockaden nicht erlaubt“. Dumm nur: das stimmte beides nicht. Die Polizei verbreitete diese Lügen wohl deswegen, weil sie Sorge hatte, dass das Harmlose der Klimaproteste verloren gehen könnte. Lange feierten die Regierungen die Protestierenden als junge Leute, die endlich „gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen“ würden. Am eigenen Regierungshandeln änderte das jedoch nichts. Damit wollen sich immer mehr nicht mehr abspeisen lassen und nehmen den Satz von Greta Thunberg ernst, dass die Welt nicht zu retten ist, „indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern“. Deshalb setzten sich immer mehr auf die Straße oder den Bagger und versuchten so, direkt Klimakiller zu blockieren. Der Aachener Polizeipräsident meinte: „Politisieren ist okay, radikalisieren nicht“. Dabei wären radikale Lösungen, die dem Problem wirklich auf den Grund gehen, so sinnvoll. Die Möglichkeit auf das schöne Leben für alle weltweit gibt es nur dann, wenn die Welt nicht vor die Hunde geht. Wenn also nicht Dürren und Hochwasser die Ernten zerstören und der Meeresspiegel derartig weiter steigt, dass zum Beispiel bei einem wahrscheinlichen Anstieg von einem Meter 20 Prozent der Fläche des dicht besiedelten Bangladeschs untergehen.

Was tun? Eins, Zwei… oder Drei?

Wir sehen drei Strategien, um gegen die Umweltkatastrophen aktiv zu werden. Sie schließen sich nicht aus und sind irgendwo alle notwendig. Nummer Eins: den eigenen Konsum ändern. Hier ist es leicht, aktiv zu werden, es hat aber nicht die direkte Wirkung, die sich viele daraus erhoffen. Denn das Argument „wenn alle das so machen würden, dann würde es funktionieren“, geht nicht auf – oftmals hat es sogar fatale Folgen. Dazu in dieser Ausgabe der Text „Weltrettung im Biosupermarkt“.

Was auch geht: Unternehmen und Regierungen zum Handeln auffordern, wie es u.a. die Bewegung Fridays for Future macht. Das kann größere Wirkung haben, aber stößt an Grenzen, denn die Unternehmen und Nationalstaaten, an die appelliert wird, stehen in mörderischer Konkurrenz zueinander. Hiervon handelt der Artikel „There is no Planet B“. Oder, mal einen Schritt zurücktreten und sich grundsätzlich fragen: Wie entstehen diese Umweltkrisen überhaupt? Und dann selber rebellisch werden. Hierzu dieser Artikel.

Umweltaktivismus heißt notwendig: Kritik an der Konkurrenz aller gegen alle

Naturwissenschaftlich erklären, wie der Klimawandel vor sich geht, können andere besser. Uns interessiert daher der politisch-gesellschaftliche Blickwinkel: Was sind die Gründe, warum Firmen und Staaten so umweltfeindlich handeln? Viele sagen, das liege am Kapitalismus. Das finden wir auch, wollen das aber nicht nur behaupten, sondern erklären.

Eine Kernfrage ist, warum Produkte so umweltfeindlich hergestellt werden. Die einzelne Firma, die etwas produziert, braucht hierfür Arbeit und Ressourcen. Ob sie besonders umweltfreundlich herstellt, liegt aber nicht in ihrer Hand. Denn sie steht unter Konkurrenz und muss billiger als andere produzieren. Trotzdem behaupten viele Firmen genau das: „Wir sind umweltfreundlich!“, obwohl das eigentlich nur dann geht, wenn sie dadurch Vorteile in der Konkurrenz haben. Meist ist das also Werbung (und wenn es wirklich stimmt, können sich das notwendig teurere Produkt nur wenige leisten). Denn viele haben erkannt, dass sich mit einem Öko-Image Geld verdienen lässt. Aber angenommen, ein Unternehmen könnte ein Notebook für 500 Euro bauen, die Konkurrenz aber für 450 Euro, dann müsste es versuchen das auch mit 450 Euro oder besser sogar noch 430 Euro zu schaffen. Das wird meistens dadurch versucht, dass Arbeiter*innen schneller arbeiten sollen oder länger. Und: Zum Glück für das Unternehmen kostet die Umweltzerstörung fast nichts, also kann es auch hier sparen. Denn die Umwelt weniger zu belasten, das kostet sehr viel. Sicher wird Dir klar, worauf wir hinauswollen: Wenn Produkte unter Konkurrenz entstehen, werden notwendig die Arbeitenden und die Umwelt drunter leiden. Nun könnte jemand einwenden: Dann besteuern wir doch den Naturverbrauch, dann lohnt sich Umweltschutz. Und das passiert auch. Aber: Auch die, die das besteuern könnten, die Nationalstaaten, stehen in Konkurrenz miteinander und wetteifern um die niedrigsten Steuern. Es wird also immer mindestens einen Staat auf der Welt geben, der ausschert und keine Umweltauflagen einführt, zu dem dann die Unternehmen gehen und weiterhin billig durch ihre Produktion die Umwelt verpesten können.

Aber, ist nicht trotzdem schon viel passiert? Steigt nicht Norwegen mit seinem Staatsfonds aus der Kohleenergieförderung aus? Ja, aber finanziert durch riesige Ölexporte, die niemand in der norwegischen Politik ernsthaft beenden will. Oder, ist nicht Deutschland Weltmeister im Mülltrennen? Ja, aber der meiste kommt trotzdem zusammengeschmissen auf irgendwelche Müllkippen in Ghana oder wird in China verbrannt. Weils halt günstiger ist. Und wenn Du schon mal in einem Hotel warst, wird Dir der Aufkleber im Bad aufgefallen sein: Das Hotel sorge sich um die Umwelt und bitte deswegen darum, die Handtücher mehrere Tage zu gebrauchen. Bullshit, ist halt Kostenersparnis. Umweltmaßnahmen werden, sowohl von Firmen als auch von Staaten, immer dann durchgeführt, wenn es sich finanziell lohnt. Aber angesichts der kommenden Umweltkatastrophen reicht es halt nicht, dass nur eine von 100 Umweltvorgaben erfüllt wird – und 99 nicht, weil die sich in der Konkurrenz einfach nicht lohnen. Stattdessen müssen radikale Lösungen her, um den Klimawandel abzumildern. Und da hält die Konkurrenz aller gegen alle – also die kapitalistische Produktionsweise – ziemlich auf.

Umweltaktivismus heißt notwendig auch: Solidarität mit denen, die unter Ökokatastrophen leiden

Wenn diese Welt also eine der Konkurrenz ist, in der alle Unternehmen und Staaten in verschiedenem Maß unter Sachzwängen stehen, muss es darum gehen, andere Wirtschafts- und Gesellschaftsformen zu erdenken. Und zugleich braucht es Solidarität mit denen, die jetzt schon unter diesen leiden. So kam 2017 eine Greenpeace-Studie zu dem Ergebnis, dass schon heute jährlich 21,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind, weil ihre Lebensbedingungen zerstört werden. Diese Zusammenhänge aufzuzeigen und die Kämpfe der Geflüchteten zu unterstützen, wäre mal was. Denn sie haben auch in Punkto Umweltfragen recht mit ihrem Ruf: „Wir sind hier, weil Ihr unsere Länder zerstört!“. Dann ist es das Mindeste, sie zu unterstützen, ihnen Gehör zu verschaffen und den Rechten entgegenzutreten, die einerseits den Klimawandel leugnen und gleichzeitig die Grenzen gegenüber denen dicht machen, die vom Klimawandel betroffen sind. Umweltaktivismus heißt so notwendig: antirassistisch kämpfen.

Auch wundern wir uns darüber, wenn zwar die Umweltfolgen des Abbaus von Rohstoffen kritisiert werden, aber die Lage derer, die diese unter katastrophalen Bedingungen, auch für ihre Gesundheit, abbauen, nicht wirklich interessiert. Arbeiter*innenkämpfe für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, wie 2013 in der Palmölindustrie in Medan, könnten von Umweltbewegungen aufgegriffen werden und zu ökologischeren Produktionssystemen führen. Schulschwänzen blockiert nichts, dagegen können bei Streiks ganze Betriebe lahmgelegt werden.

Und als letztes Beispiel: Wen trifft denn die Klimakatastrophe am meisten? Arme Menschen in ländlichen Regionen des Globalen Südens – und hier wiederum vorrangig Frauen*. Denn letztere haben meistens einen geringeren sozialen Status, daher weniger Zugang zu Ressourcen und vorbeugenden Schutzmaßnahmen. Bereits bestehende Gewaltverhältnisse werden also durch den Klimawandel noch weiter verschärft. Umweltaktivismus muss so auch immer feministisch sein, muss antirassistisch, muss kapitalismuskritisch sein. Ziemlich viel auf einmal. Aber warum es anders nicht geht, dazu diese Ausgabe.

Zum Weiterlesen:

Phase 2, Nummer 45: Ideologisch abbaubar. Zur Nachhaltigkeit von Ökologiekritik

Audio-Vortrag Lothar Galow-Bergemann: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte von Nachhaltigkeit schweigen“

Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz: Klimawandel und Rassismus

Oliver Pye: „Für einen labour turn in der Umweltbewegung“

Audio-Vortrag Norbert Trenkle: „Wachstumszwang und Klimacrash“