Warum Klimawandel und Klimapolitik am härtesten die treffen, die am wenigsten dafür können
Der Klimawandel betrifft alle Menschen auf der Welt. Seine Auswirkungen, wie Ernährungs- und Wassermangel durch sich ausbreitende Wüsten oder extreme Wetterschwankungen, kennen keine Staatsgrenzen. Wir sitzen also alle im selben Boot. Gerade in Zeiten von Klimabewegung und Fridays for Future ist diese Ansicht weit verbreitet. Doch auch, wenn die Sommer sogar beim selbsternannten Klimaweltmeister Deutschland immer heißer werden, führt dieses Bild in die Irre. Denn wer das Boot steuert, in dem wir angeblich alle gemeinsam sitzen, wer an den Rändern bleibt und im Zweifel über Bord geht, ist nach wie vor extrem ungleich verteilt.
I need a Dollar, Dollar, Dollar is what I need
Ob und wie gut Menschen in der Lage sind, sich den Folgen des Klimawandels anzupassen oder sich gegen sie zu schützen, entscheidet sich vor allem an den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen sie in ihren jeweiligen Ländern leben und, meist daran anknüpfend, wie dick ihr Geldbeutel ist. Deshalb ist es auch nicht gerade verwunderlich, dass vor allem die Menschen, die nicht in Nordamerika oder der EU wohnen, ungleich stärker mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen haben. So verschwinden überlebensnotwendige Wasserreservoirs in Ländern wie Jordanien oder Jemen, weil sie schlichtweg austrocknen. Die Ausbreitung von Wüsten wie der Sahara erschwert die Nahrungsmittelproduktion vor Ort oder begünstigt Epidemien. Von den Folgen des Klimawandels sind diejenigen am stärksten betroffen, die sowieso nur als Selbstversorger*innen wirtschaften oder in den Slums der Megastädte leben. Beispielsweise sind in Indien bei einer großen Hitzewelle 2015 in zweieinhalb Tagen mehrere Tausend Menschen gestorben, schlicht, weil sie keine klimatisierten Häuser hatten, in die sie sich zurückziehen konnten.
Der Kapitalismus spaltet also die Weltbevölkerung in unterschiedliche Klassen, auch innerhalb der einzelnen Staaten. Dennoch ist es kein Zufall, dass die meisten Gewinner*innen in diesem Wirtschaftssystem aus den früh industrialisierten Ländern kommen – wie viele EU-Mitglieder oder die USA. Sie leben und produzieren auf Kosten ärmerer Länder und der Menschen in diesen Ländern. Zusätzlich leisten sie sich einen Lebensstil, der den Klimawandel weiter befeuert, ungeachtet der Konsequenzen. Also immer weiter produzieren (lassen), verwerten, Nachfrage schaffen und kontinuierlich Profit schlagen: Das heißt beispielsweise weiter mit der Massentierhaltung und dem Kohleabbau – die beide massiv CO2 ausstoßen.
Kolonialismus 2.0
Diese Spaltung wurde unter anderem durch die koloniale Ausbeutung hervorgebracht und findet auch heute noch in neuen Formen statt. Deutsche Firmen pflanzen zum Beispiel in Uganda auf großen Flächen Bäume, um so CO2-Zertifikate verkaufen zu können. Dabei gehen sie rigoros gegen die dort lebenden Kleinbäuer*innen vor, vertreiben sie von ihren Feldern und zerstören ihre Lebensgrundlage. Auch die Herstellung von Biotreibstoffen hat in vielen Regionen dazu geführt, dass Unternehmen mit staatlicher Unterstützung Wälder gerodet haben und sich die Anbauflächen für Lebensmittel einfach aneignen.
Anstatt anzuerkennen, dass dieses Wirtschaftssystem ohne Ende Elend hervorbringt und die Lebensgrundlagen für viele Menschen kaputtwirtschaftet, hört man aber oft, dass der Klimawandel vor allem durch Überbevölkerung entstehe. Nach dieser Erzählung ist dann nicht die kapitalistische Produktionsweise schuld, in der die Umwelt nur eine untergeordnete Rolle spielt, sondern der Teil der Weltbevölkerung, der angeblich zu viele Kinder bekommt. In der Regel wird das dann den Menschen in afrikanischen Ländern wie Nigeria unterstellt und nicht anderen dichtbevölkerten Staaten, wie den Niederlanden. Hier zeigt sich, dass der Rassismus auch vor Klimapolitik nicht Halt macht.
Global, lokal, scheißegal
Auch in den europäischen Gesellschaften haben viele Menschen mit rassistischen Strukturen und Ausbeutung zu kämpfen. Was es auf globaler Ebene an Machtverhältnissen gibt, findet sich also ganz ähnlich auch innerhalb der Staaten, auf lokaler Ebene. Auch hier wird vor allem die Situation der unteren Klassen verschärft. Menschen, die keine „normalen“ und gut bezahlten 40-Stunden-Jobs haben, weil sie beispielsweise alleine ein Kind versorgen (in der Regel Frauen*), sind viel stärker von steigenden Lebensmittelpreisen betroffen. Allerdings ist hier die falsche Klimapolitik das größte Problem.
Fast immer wenn es um Klimapolitik geht, ist das Mittel der Wahl eine Form von Steuer oder Abgabe. Solche Regelungen treffen vor allem die Menschen am härtesten, die sowieso kaum Geld haben. CO2-Steuern auf Benzin führen dazu, dass die Menschen, die sich keine Wohnung in den teuren Innenstädten leisten können, noch mehr bezahlen müssen, um zur Arbeit zu pendeln. Menschen mit Migrationshintergrund, die weit fliegen müssen, um ihre Familien zu besuchen, können sich das durch erhöhte Flugpreise nicht mehr leisten. Gleichzeitig zahlen Konzerne ohne Probleme die CO2-Steuern für die ganzen Dienstreisen ihrer Angestellten. Die aktuelle Art, wie Klimapolitik gemacht wird, verschärft also die bestehenden Herrschaftsverhältnisse (wie Ausbeutung oder Rassismus) innerhalb der Gesellschaften.
So wirksam wie Globuli und Homöopathie
Aber könnte man nicht sagen der Zweck heiligt die Mittel? Also besser eine Gesellschaft mit Herrschaft, als gar keine Gesellschaft, weil Klimakatastrophe? Wir stellen so eine Logik grundsätzlich in Frage, denn sie normalisiert Herrschaft, so dass sie scheinbar unausweichlich ist. Die aktuelle Klimapolitik ist aber nicht ansatzweise in der Lage, dem Klimawandel ernsthaft etwas entgegenzusetzen. Das liegt an zwei Dingen. Zum einen setzt sie darauf, individuelles Handels durch Steuerpolitik zu verändern. Sie ist eine vom Sozialstaat eingeführte Maßnahme, die nur bedingt den Verbrauch von CO2 mindert. An der Art wie wir produzieren soll sich gar nichts ändern. „Wirtschaftsverträglichkeit“ wird das dann genannt. So wurde beispielsweise der Kohleausstieg erst in das Jahr 2038 geschoben, weil die Kohle einer der essenziellen Rohstoffe für günstige Energieversorgung und deshalb kaum entbehrlich ist. Zum anderen trifft die Klimapolitik die Leute, die den Klimawandel hauptsächlich verursachen, gerade nicht. Sie trifft die Ärmsten der Welt am härtesten, die den kleinsten „Fußabdruck“ haben. Die Rede vom Zweck, der die Mittel heiligt, ist eigentlich nur ein Versuch, die eigene privilegierte Position innerhalb der Gesellschaft zu verteidigen.
Und jetzt?
Beim Klimawandel ist also die Frage, wo man in der gesellschaftlichen Hackordnung steht, wer wie stark betroffen ist und wer die Möglichkeiten hat, sich gegen die Folgen zu schützen. Keine CO2-Steuer und kein sozialverträglicher Kohleausstieg werden daran etwas Grundlegendes ändern. Die ökologische Krise und die gescheiterte Klimapolitik in Europa aber auch global haben die tiefe Spaltung in den und über die Gesellschaften hinweg noch einmal massiv verschärft. Vor diesem Hintergrund ist es noch zwingender, die gegenwärtigen Strukturen radikal in Frage zu stellen, was sich in allen möglichen Lebensbereichen auswirken müsste: Wirtschaft, Infrastruktur, Landwirtschaft, Care- und Reproduktionsarbeit und Wohnen. Es gilt fossile Energieerzeugung zu ersetzen, Landwirtschaft und Produktion bedürfnisorientiert und nachhaltig zu transformieren. Die Klimafrage ist eine der dringlichsten Herausforderungen unserer Zeit und eine Lösung nicht in Sicht.
Die Frage ist aber: Wie etwas ändern? Wie nicht in Ohnmacht verfallen, weil die Probleme riesig und unlösbar scheinen? Neben der Möglichkeit, Kohleinfrastrukturen zu blockieren und jeden Freitag zu demonstrieren, ist vor allem auch eine internationale Organisierung notwendig. Es gilt, die Gemeinsamkeiten mit Kämpfen anderer Leute aus anderen Weltregionen und anderen Lebensrealitäten aufzuzeigen und sich politisch aufeinander zu beziehen. Das kurzfristige Ziel muss eine ernsthafte Solidarisierung mit den Menschen sein, die vom Klimawandel und westlich-kapitalistischer „wirtschaftsverträglicher“ Klimapolitik am schlimmsten betroffen sind. Das mittelfristige Ziel kann nur die befreite und klassenlose Gesellschaft (dare we say Kommunismus) sein, denn für langfristige Ziele haben wir keine Zeit mehr.
Zum Weiterlesen:
Analyse & Kritik, Nummer 529: Sozial-ökologische Konflikte. https://www.akweb.de/ak_s/ak529/38k.htm
Jungle World: Mit der Umwelt für den Fortschritt. https://jungle.world/artikel/2019/13/mit-der-umwelt-fuer-den-fortschritt
Sarah Hackfort: Für eine Feministische Politische Ökologie des Klimawandels, 2014. In: PROKLA, Nummer 174. https://www.prokla.de/index.php/PROKLA/article/view/193