Randale! Bambule! …Frankfurter Schule?

Alright, Lesegruppe gegründet und fortan wird diskutiert und kritisiert was das Zeug hält – also alles palletti? Nicht wirklich: zum Verhältnis von Lesezirkel und Straßenkampf.

Pamela lässt keine Demo aus, ist schon zweimal „eingefahren“ und hat schon manches Mal mit ihren Krav-Maga-Skills Freund*innen aus brenzligen Situationen eskortiert. Theoriekram findet sie eher so semi-cool, weil nur rumsitzen und mit anstrengendem Redeverhalten diskutieren zu nichts führt, schon gar nicht zu etwas Besserem. Und überhaupt, warum soll Theorie so wichtig sein? Geht es nicht darum die Welt zu verändern, statt sie einfach nur anders zu interpretieren?

Grau ist alle Theorie?

Eine kritische Beschäftigung mit Theorie kann blindem Aktionismus vorbeugen und manche falschen Antworten von vornherein ausschließen. Anfang der 2000er Jahre waren etwa in Deutschland Aktivist*innen der Antifa damit konfrontiert, dass ihre Bemühungen, die Organisierungsfähigkeit von Nazis einzuschränken, keineswegs wie erhofft auch ein Schlüssel dazu waren, den Kapitalismus abzuschaffen oder überhaupt nur infrage zu stellen. Einige von ihnen beschlossen vor diesem Hintergrund, sich auch auf theoretischer Ebene genauer mit dem eigenen Handlungsfeld zu beschäftigen: „Was machen wir überhaupt? Wie und warum? Wie entsteht Faschismus eigentlich genau?“

Auch kann eine theoretische Auseinandersetzung mit Geschichte helfen, Fehler zu vermeiden, die sich für andere bereits (wiederholt) als Irrweg herausgestellt haben. Wer nicht so auf Gute-Nacht-Geschichten steht und sich stattdessen schon mal – von Kriegskrediten im 1. Weltkrieg bis zur Einführung von Hartz IV – mit der gruseligen Historie der SPD beschäftigt hat, weiß etwa, dass bei dem Schweineverein kein Blumentopf zu gewinnen ist, wenn es darum geht bestehende Herrschaftsverhältnisse zu überwinden. Und wer sich mit den Gewaltexzessen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, weiß dass es auch etwas noch Schlimmeres als den Normalzustand des marktwirtschaftlichen und nationalstaatlichen Wahnsinns geben kann – und wie gefährlich falsche Antworten auf gesellschaftliche Unzufriedenheit sein können: Auch der Nationalsozialismus hatte Züge einer (reaktionären) Revolte gegen den Kapitalismus.

Klar, ein besseres Verständnis der Gesellschaft kann auch dazu führen, dass Du Dich noch ohnmächtiger fühlst, da die gegenwärtige Situation so unveränderlich erscheint. Theorie kann aber auch ganz konkret dazu beitragen, die vielen Zumutungen des Alltags besser zu ertragen. Sie kann beispielsweise helfen, persönliche Erfahrungen besser zu verstehen und sie in Zusammenhang mit Erfahrungen anderer zu bringen. Wer erkennt, dass Scheitern und Versagen etwa in Studium oder Job unter marktwirtschaftlichen Bedingungen durchaus System haben, wird sich diese Erfahrungen nicht mehr allein mit ‚Pech‘ oder der eigenen Unfähigkeit erklären.

Kritik im Handgemenge

Anders als Pamela schmökert Josephine in jeder freien Minute gerne in den umfassenden Gesamtausgaben von Marx und Hegel, wenn sie nicht gerade auf Raves rumhängt. Im Club referiert sie manchmal komplizierte Vorträge zu deren „Dialektik“ und ist immer up to date, was gerade in gesellschaftskritischen Debatten verhandelt wird. Josephine findet Pamela eher so semi, da ihr Aktionissmus eh zu nichts führt, schon gar nicht zu etwas Besserem. Und überhaupt, es lässt sich doch eh nichts grundlegend ändern?
Das verleitet beispielsweise Josephine dazu, dass sie sich in dem Bewusstsein, alles durchschaut zu haben, zurückzieht. Sie richtet sich dauerhaft – oder so lange es eben noch geht – in der ihr verbleibenden Komfortzone ein, in der die meisten Leute die eigenen Gewissheiten teilen. Im Hausprojekt oder der links-alternativen Diskothek des Vertrauens, um sich allein auf Strategien zu konzentrieren, die eigenen Lebensumstände ein bisschen weniger beschissen zu machen.

Wer für sich bleibt oder nur im Lesezirkel verharrt, wird jedoch irgendwann auch theoretisch nicht mehr weiterkommen – denn: Kritik muss sich auch an der Realität bewähren. Theorie ist schließlich der Versuch auf Herausforderungen oder Konflikte eine Antwort zu finden, etwa weshalb die Arbeitsbedingungen bei Amazon so mies sind oder warum Menschen überhaupt für Lohn arbeiten müssen. Egal ob im Arbeitskampf oder bei der Unterstützung von Angehörigen der NSU-Opfer: Statt über die Auseinandersetzung mit Theorie in der Szene zu stranden, gilt es, in gesellschaftliche Konflikte einzugreifen und dort verständlich zu machen, warum passiert, was eben passiert. Sich von jeder Praxis fern zu halten, geht sowieso nicht. Auch der Rückzug in die Bubble ist – schlechte – Praxis.