Die Partei, die Partei, die ist immer schlecht

Jetzt in Parteien engagieren? Auf Corbyn, Sanders, Mélenchon, #aufstehen, Podemos, … Illusionen setzen!

Alle Jahre wieder wird sie entdeckt: die Partei oder die prominente Person, in die alle Fortschrittlichen ihre Hoffnungen setzen. Mit der alles besser wird. Die Linke an die Macht! Go Schulz! Manche Hoffnungen tragen einige Jahre, andere nur wenige Monate. Meist hören sie auf, wenn die Macht dann wirklich erreicht ist. Aber woher kommen diese Hoffnungen? Warum sind sie so resistent gegen Argumente und Geschichte? Warum werden sie notwendig enttäuscht? Und wieso liegt das alles selten an Dienstwagen und Verrat?

Erst einmal eine Einschränkung: Auch Viele aus der SaZ-Redaktion gehen manchmal wählen; versuchen das Schlimmste zu verhindern, indem sie beim Austauschsemester in den USA bei der Bernie Sanders-Kampagne mitarbeiten. Und sicherlich ist es gut, wenn in Spanien Podemos und in Griechenland nicht die Nazis von der Goldenen Morgenröte erfolgreich sind. Doch das Wichtige ist, dass das Daumendrücken für Parteien nicht mit Illusionen einhergeht. Denn es ist eben kein Zufall, dass die härtesten Sozialkürzungen in Deutschland unter Rot-Grün von 1998 bis 2005 geschahen oder in Griechenland unter der „linken“ Syriza. Das ist nicht immer notwendig so, auch rechte Regierungen sorgen für Verarmung. Aber wenn sie das tun, sind die Kräfteverhältnisse andere und die linken Parteien werden versuchen, sich an die Spitze der sozialen Bewegungen dagegenzusetzen. Die „Reformen“ werden so schwieriger umzusetzen oder können scheitern. Doch wenn „linke“ Regierungen den „Standort fit machen“, also die Löhne senken oder Hartz IV schaffen, integrieren sie leichter den Protest dagegen: Die Gewerkschaften halten brav still und viele denken sich, wird schon notwendig sein. Sie sind so besonders geeignet, Bevölkerungen auf ein noch härteres Leben vorzubereiten.

Verrat fährt mit

Die häufigste Erklärung, warum das geschieht, ist aber davon grundverschieden und hört auf den Namen: Fancy Dienstwagen. Arbeiterführer (noch selten -führerinnen) würden irgendwann ihre Wurzeln verraten, weil ihnen das Leben der Reichen gefällt und der Dienstwagen so praktisch ist. Sie würden bestochen und verraten dann die Linken. Das ist aber völliger Bullshit. Sicherlich ist Luxus toll und verändert auch Menschen. Aber das ist doch nicht einfach Verrat. Sondern auch wenn manche in linken Regierungen mehr Sozialhilfe und weniger Armut wollen und in der Lehmhütte neben dem Regierungsgebäude wohnen würden, klopft immer der „systemische Rahmen“ an: Wer eine Nationalökonomie organisiert, also gute Investionsbedingungen für das Kapital anbieten will, damit die Steuereinnahmen sprudeln, wird notwendig genau das machen: Standort organisieren. Also die Arbeitskosten niedrig halten, alle schön zur Arbeit zwingen, nach dem „richtigen“ Maß der Zerstörung der Umwelt suchen. Dafür sorgen, dass mehr Unternehmen sagen: In dem Land lässt sich‘s fein ausbeuten!
Doch dann gibt’s immer noch die Linken in der Partei, die das halbwegs Nette im Wahlprogramm umsetzen wollen. Aber das muss sich dann eben auch rechnen. Und genau deswegen entwickeln viele Linke das bessere Steuerkonzept, denn was ausgegeben werden soll, muss erstmal verdient sein. Ist ja klar. Und seriös wollen sie sein, endlich ernst genommen werden, richtig fett Verantwortung für den Staat tragen. Längst sind sie in der Sachzwangfalle. Diese sagt: Es muss sich rechnen. Auch Kindergartenplätze, Umweltschutz oder weniger Hartz IV-Sanktionen gibt es nur dann, wenn es wenigstens mittelfristig den Unternehmen hilft. Und alle, die das in den linken Parteien noch nicht eingesehen haben, sind schnell die „Weltfremden“, die sich angeblich nicht die Hände schmutzig machen würden und nur kritisieren könnten. „Willst Du denn den Wahlsieg wegen dieser Prinzipien opfern?“, heißt es dann. Gerne garniert mit dem ekligen Vorwurf, dass es ja zynisch wäre für die „große Sache“ auf kleine Veränderungen zu verzichten, die erst in Regierungsverantwortung umsetzbar seien. Als wäre es nicht genau andersrum. Lassen sich doch Linke schnell vom Elend der Einzelnen ansprechen und waren in der Geschichte allzu schnell bereit, große Schweinereien zu schlucken, um diese abzumildern. Und die, die genau damit kalkulieren, Hartz IV und andere Zumutungen durchsetzen und den linken Protest durch kleine Zugeständnisse mildern wollen, sind hier eben die wirklichen Zyniker*innen.

Faschos und Querfront im Vorteil

Diese Probleme haben Rechte nicht. So ist es kein Zufall, dass zur Zeit der völkische Flügel bei der AfD gewinnt und die Partei immer mehr nach rechts wandert. Das kann auch anders ausgehen, weil gerade Rechte total auf staatliche Anerkennung scharf sind. Da stehen die stramm, und „moderate“ Mitglieder fordern dann Regierungsbeteiligungen. Aber doch haben Rechte einen großen Vorteil: Sie wollen nicht wie außerparlamentarische Linke an die Eigentums- und Staatsordnung ran, nicht die Unterdrückung abschaffen. Sie wollen diese vielmehr richtig zur Geltung bringen und finden damit auch im Staatsapparat, bei Polizei etc. großen Anklang. Endlich wieder an den Grenzen auf Menschen schießen! Endlich das ganze Land mit eisernem Besen auskehren! BlaBlaGrusel. So weit entfernt sind AfD und Co. aber inhaltlich nicht von Merkel oder der SPD, man streitet sich nur um das Wie und Wieviel. Das gilt auch für die Linksparteiler Wagenknecht und Lafontaine, die gerade eine nationalistische Sammlungsbewegung namens #aufstehen gründen. Die soll sich für mehr Polizei, weniger Migrant*innen, dafür aber einen höheren Mindestlohn einsetzen. Also sozialen Horror mit nationalem Horror „lösen“. Das Argument, das alle Kritik abwehren soll, ist dann immer: Damit haben die Erfolg, willst DU denn immer in der Minderheit bleiben? Erfolg wollen wir aber nicht mit irgendwas, sondern mit einer bestimmten Kritik und unserem Streiten für ein gutes Leben für alle haben.

Jetzt mit Internet!

Auch die spanische Partei Podemos redet viel von Patriotismus, ist aber zugleich noch stark von Leuten aus antirassistischen Bewegungen getragen und behält basisdemokratische Prinzipien bei. Offene Versammlungen und Internetabstimmungen sind wichtiger Bestandteil dieser Partei. Erstmal ziemlich sympathisch! Zugleich geht es hier oft nur um andere Formen von Politik. Inhaltlich bleibt alles beim Alten, die Eigentumsverhältnisse werden nicht angekratzt. Und zugleich sind die hoffnungsfrohen Fans solcher Parteien so vergesslich. So war, als Syriza in Griechenland an die Macht kam, die Zuversicht auch groß, Linke redeten sich um theoretischen Kopf und empirischen Kragen, riefen das Ende des Sozialabbaus in Griechenland aus. Es findet keine Analyse statt, dass auch Syriza Schulden bedienen, soziale Kürzungen und Privatisierungen vorantreiben muss. Die kürzten Renten, schmissen Leute raus, verschärften die Armut. Und die Linken weltweit nannten das „Verrat“ und setzten ihre Hoffnungen in neue Parteien. Anstatt mal innezuhalten, die eigenen Positionen zu analysieren und bessere zu entwickeln. Doch wie könnten die aussehen?

Dagegen hilft nur eins/zwei: Theoretische Arbeit und Bewegung organisieren
Erstmal müsste man sich theoretisch ´nen Kopf machen, wie repräsentative Demokratie kapitalistische Marktwirtschaft organisiert. Was heißt Sachzwang auf dem Weltmarkt, wenn sich Nationalstaaten um Investitionen bemühen? Was heißt es, den Standort dafür fit zu machen? Und weshalb können Linke den Staat nicht einfach übernehmen, sondern warum muss er zerschlagen werden? Und aus dieser Analyse müssten dann Schlüsse gezogen werden. Zum Beispiel besetzten Mitte 2018 Aktivist*innen in Berlin Häuser, um auf Leerstand hinzuweisen. Damit haben sie für Mieter*innen mehr erreicht, als alle „linken“ Regierungen in Berlin zusammen. Sicherlich hatten in diesem Fall die Hausbesetzer*innen ihre Forderungen like-kompatibel gemacht, indem nicht Eigentum als solches, sondern nur „Misstände“ aufgegriffen wurden. Aber für Wochen wurde darüber nicht nur in Berlin diskutiert. Und nebenbei wirklich auch Eigentum als gesellschaftliches Prinzip infrage gestellt, Enteignungen wurden denkbar. Veränderungen zum Besseren gehen nur über Bewegungen, die manchmal scheitern. Meist werden ihre Forderungen, wenn sie Erfolg haben, auch nur soweit übernommen, wie sie marktkompatibel sind. Aber trotzdem stoßen sie Diskussionen an, erkämpfen kleine Nischen und ein bisschen besseres Leben. Und vor allem die Aussicht, dass das Leben wirklich besser für alle werden könnte. Nicht wenig in diesen Zeiten.

Zum Weiterlesen:

  • Agnoli: Die Transformation der Demokratie, Freiburg 1990.
  • Thomas Ebermann (2009): Die Grünen als stabilisierender Faktor des rechtskonservativen Lagers