Das Falsche vs. das Falsche … oder: Was tun?! Eine Einleitung in diese Ausgabe

Wann hören die schrecklichen Nachrichten endlich wieder auf? Warum werden halbwegs tolerante Positionen so massiv angegriffen, dass man es kaum mehr schafft, die wirklich menschenfreundlichen in die Diskussion einzubringen? Wir leben in hässlichen Zeiten. Extrem rechte Parteien sitzen im deutschsprachigen Raum in allen Parlamenten – oder sogar in der Regierung. Angriffe gegen Refugees geschehen so häufig, dass sie es selten mehr in die Nachrichten schaffen und selbst im ach so liberalen Berlin gibt es Gewalttaten gegen Menschen mit Kippa, Kopftuch oder gegen Transpersonen auf offener Straße. 88 Prozent der deutschen Bevölkerung wollen, dass sich Geflüchtete mehr „in unsere Kultur integrieren“, wobei Integration heute nichts anderes heißt als Drangsalierung und Menschenmaterial sortieren. Schauen wir über Kaltland hinaus, sieht es leider nicht besser aus: rechtsradikale Parteien gewinnen überall an Einfluss, faschistische Gruppen an Präsenz und autoritäre Staatsoberhäupter mit offenkundig rassistischen, sexistischen und anders gewaltvollen Positionen lassen sich in fast jeder Region als Erlöser der Nation feiern.

Die fast unlösbare Aufgabe

Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und ganz allgemein der Hass auf alles angeblich ‚Andere‘ sind keine neuen Probleme. Trotzdem können wir beobachten, wie immer mehr dieser Standpunkte offen vertreten werden können. Die Lage wird dadurch erschwert, dass unsere politischen Gegner*innen aus den verschiedensten ideologischen Richtungen kommen. Wir müssen Trump und Putin, antimuslimische Rassist*innen, Antisemit*innen, Islamist*innen und selbsternannte Lebensschützer*innen aller Religionen bekämpfen – zum Teil sind das sogar Leute, die sich selbst als links verstehen. Und das, ohne mit dieser Kritik in die Nähe der Argumentation ihrer genauso menschenfeindlichen Gegner*innen zu geraten. Dazukommen noch die, die auch AfD, Trump & Co. scheiße finden. Und dann an denen vor allem kritisieren, dass sie angeblich von „den Unterschichten“ gewählt würden, die keine Lateinschule besucht haben und sich zu wenig zur Ich-AG optimieren. Wenn sich die Mehrheit für ein buntes, offenes Deutschland ausspricht, ist gemeint, dass als nützlich eingeordnete „Ausländer*innen“ in Deutschland arbeiten sollen. Mit dem guten Leben für alle oder wenigstens einer ordentlichen Rassismuskritik hat das nichts zu tun.
Das Falsche kämpft also überall gegen das Falsche. Dagegen eine kluge Kritik zu formulieren, nicht eine falsche Seite gegen die andere falsche zu verteidigen, darum muss es gehen. Doch was sind überhaupt die Gemeinsamkeiten von AfD, Trump und Islamischem Staat, von Hamas und Pegida, von Leuten, die Ideologien wie Chemtrails oder 9/11-„Wahrheiten“ anhängen? Und warum sind sie gerade so erfolgreich?

Wir sind wir gegen die Anderen

Zur Frage der Gemeinsamkeit: Auffällig ist erstmal, dass alle diese Strömungen eine autoritäre Revolte von „uns“ gegen „die da oben“ wollen. Die Eliten sind immer die Korrumpierten und gut sind dagegen: Identität und Souveränität. Wir sind Wir! Und wir sind wieder wer oder sollen es werden. Den autoritären Bewegungen geht es nicht um generelle Abschaffung von „oben“ und „unten“, von Herrschaft über Menschen, sondern darum, dass die „Falschen“ oben seien. Volk, Nation und Kultur sollen als angeblich ewig Festes und Undurchdringliches die vermeintlich
fehlende Souveränität erringen. Diese werde wahlweise eingeschränkt von anderen Nationen, von den wurzellosen kosmopolitischen Eliten, von den USA und Israel oder gleich den Juden, vom „Westen“, von der angeblichen Political Correctness. Dieses „Wir“ des Volkes, der Nation oder der Gemeinschaft derer, die irgendwas bereit sind zu glauben, versteht alles als Angriff, was die Auflösung ihrer starren Welt- und Menschenbilder vorantreiben könnte: emanzipierte Frauen, geschminkte oder auch nur nicht so mackerige Männer, Schwule, Lesben, Transpersonen usw. Damit werden Leute, die sich nicht in das Unabänderliche und Normierte des Schicksals, der Nation, des Aberglaubens fügen wollen oder können, zu Feind*innen erklärt, das Gegenteil der Autorität zur Bedrohung: Alles Unklare, Uneindeutige, Fließende und Schöne. Das Glücklichsein ohne Arbeit, ein Leben ohne Härte zu sich und anderen.

Abgehängte und Chancenlose?

Warum schlägt uns dieser Hass aber gerade jetzt von allen Seiten entgegen? Diese ganzen Einstellungen gab es ja lange schon, aber wie massiv sie sich äußern, ist neu. Eine populäre Erklärung in der Linken sieht dafür die zunehmenden Abstiegsängste als Grund an: Leute, die sich vor Alter und Krankheit fürchteten, deren Rente nicht mehr reiche, suchten Schuldige und fänden „die Ausländer“. Doch das greift zu kurz, es übersieht die verrohte Mittelschicht von rechtsradikalen Intellektuellen und den Unternehmer*innen bei der AfD. Die Erklärung wirkt irgendwie beruhigend, denn dann wären es nur ein paar verzweifelte Arbeitslose in der Provinz, Abgehängte, die niemals zu großem Einfluss kommen könnten. Sie hätten nur Angst und die müsste man ihnen nehmen, am besten mit guten Jobs in der Industrie und dann käme alles in Ordnung.

Der Schwächste fliegt

So einfach ist es leider nicht und trotzdem hat der Erfolg autoritärer Bewegungen mit materiellen Verhältnissen zu tun: Die weltweite Wirtschaftskrise seit 2007 scheint überwunden, doch die nächste kommt bestimmt. Und überall heißt es, Du musst mehr aus Dir machen, die Konkurrenz schläft nicht. Du bist nichts, mach was aus dir, bück Dich hoch! Die Folge ist das Gefühl von Ohnmacht. Dass man sich mit Fleiß und Bildung vor dem sozialen Abstieg schützen kann, wird nicht einmal mehr behauptet. Das Gegenteil, der ständig drohende Absturz in Arbeitslosigkeit und Armut, wird zur Dauerschleife: Nichts ist mehr sicher. Lebenslanges Lernen, das etwas Schönes sein könnte, wird zur Drohung. Menschen machen die reale Erfahrung, dass sie die Gestaltung eines angenehmen Lebens nicht in der Hand haben. Das hatten zwar auch die Generationen davor nicht, aber im Rückblick wird vieles verkitscht. Außerdem hatten viele aus der Groß-/Elterngeneration in westlichen Staaten wenigstens die Aussicht, lebenslang an das selbe Scheiß-Unternehmen gekettet zu sein und zumindest nur an Langeweile zu sterben. Die Groß-/Eltern in östlichen Staaten unter der Rute eines vorgeblichen „Kommunismus“ sowieso. Heute ist die Langeweile durch die allgegenwärtige Angst ersetzt, überall austauschbar zu sein.

„Der Lynchmob ist krank vor Neid/ Auf das Fünf-Sterne-Hotel im Asylantenheim“

Die Angst vor sozialem Abstieg macht noch niemanden zum Nazi. Eine Gesellschaft, in der immer mehr Bereiche des Lebens über Konkurrenz organisiert sind, begünstigt aber einen bestimmten Typ von Charakter, der als autoritäre Persönlichkeit bezeichnet werden kann. In Reaktion auf das unmenschliche und feindselige Umfeld der kapitalistischen Gesellschaft bildet er genau diese Eigenschaften aus und vermutet hinter jeder Andersartigkeit eine Bedrohung. Er kann Verschiedenheit nicht ertragen und versucht sich über das Festhalten an altbekannten Ordnungsstrukturen Sicherheit zu verschaffen. Da diese starre Ordnung ihn vor seiner Verunsicherung durch die Ohnmachtserfahrung schützt, sucht er nach starken Autoritätsfiguren, mit denen er sich identifiziert. Alles Zarte, Schwache und Eigensinnige wird abgelehnt – in sich selbst und bei anderen. Es bastelt sich ein Selbstbild des starken Helden und alle Eigenschaften, die da nicht reinpassen, werden auf andere Gruppen projiziert: Oder haben die vielleicht sogar ein besseres Leben? Während man sich selber alles entsagt, weil Lehrjahre waren ja keine Herrenjahre – und dann waren die besten Jahre schon vorbei! Und während man durch den knallharten Wecker morgens um fünf Uhr geweckt zur Frühschicht fährt, kommen irgendwelche nutzlosen Chaot*innen gerade erst von der Party nach Hause. Sicher eine Orgie von meinen Steuergeldern, schießt es da in den Kopf. Der Frust über die Ohnmacht im eigenen Leben schlägt in Wut und Hass auf die Anderen um.

What now?

Diese sozialpsychologische Figur ist natürlich nur ein Modell und kein rechter Schläger, kein Männerrechtler und keine Fanatiker*in des politischen Islam oder Christentums wird ihm ganz entsprechen. Auch soll kein Verständnis für die vermeintlich Armen und Verängstigten hervorgerufen werden, um Arschlöcher dann in den Arm zu nehmen und sich ihren Scheiß anzuhören. Doch mit dieser Perspektive kann es gelingen, all das Falsche als Ausdruck einer völlig unvernünftig eingerichteten Welt zu verstehen und die einzelnen Kämpfe mit einem übergeordneten Ziel zu verknüpfen. Es ist nicht genug, auf die autoritären Kräfte nur zu reagieren und sie wieder an ihre Stammtische zurückzudrängen. Bürgerliche Toleranz und die Demokratie des kapitalistischen Staates reichen uns nicht, denn wir wollen das gute Leben für alle, we want everything. In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns damit, wie sich die Gesamtscheiße aufhalten
lässt, also mit der Frage: Was tun?!

Zum Weiterlesen:
Volker Weiß, Die Autoritäre Revolte, 2017, 20 Euro.
Thomas Ebermann, Audiovortrag, im Gespräch mit Katja Kipping.
T.W. Adorno, Studien zum Autoritären Charakter, 1973, 20 Euro.
Klaus Theweleit, Das Lachen der Täter, 2015, 23 Euro.