I’m too sexy for my shame!

Ein Text über Körper, Sexualität und lustfeindliche Normen

Alle schönen und aufregenden Gefühle nehmen wir über unseren Körper wahr – Verliebtsein, Lust haben, euphorisch oder entspannt sein. Mit dem Körper können wir so viele verschiedene spannende Erfahrungen machen – und doch bleibt es oftmals nur bei der Möglichkeit. Real sieht es ganz anders aus. Da fühlt man sich oft klein, niedergedrückt, bedrängt, Sexualität macht keinen Spaß, sondern Angst. Da ist Elif mit Tom zusammen, nur weil der als der Sportlichste der Klasse gilt. Als Dank darf sie sich bei seinen Spielen als Trophäe an seiner Seite zeigen. Dafür investiert sie viel, rennt ständig ins Fitnessstudio und braucht morgens ’ne Stunde im Bad. Aber zieht trotzdem beim Sex immer den Bauch ein. Das tut auch Tom, außerdem steht er eigentlich eher auf Jungs, hat aber Angst, dadurch seine Freunde zu verlieren. Diese sind wiederum nicht so sportlich wie er, ärgern sich, dass sich immer alles um Tom dreht und lassen das an den noch Unsportlicheren der Klasse aus.
Hört sich wie eine schlechte Soap an, aber oftmals ist das Leben in dieser Gesellschaft leider nicht viel besser. Das ist jedoch kein individuelles Schicksal, sondern gesellschaftlich. Alles ist hier von Normen durchzogen, was zählt ist der „Marktwert“ des Einzelnen und jeder hat gelernt, sich „gut zu verkaufen“. Das wirkt alles nochmal anders, ob Du Dich als männlich, weiblich oder keinem Geschlecht zugehörig verstehst. In diesem Artikel soll es um all die Dinge gehen, die auf der ganz persönlichen, körperlichen Ebene dem guten Leben entgegenstehen. Und welche Versuche es gibt, dass das anders werden könnte.

Das Problem ist nicht dein Arsch

Viele wissen, dass Körpervorstellungen historisch entstanden sind. Im Griechenland der Antike war das „schöne Geschlecht“ männlich, im Europa der Renaissance galt die hohe Stirn als hot, so dass man sich den Haaransatz zupfte, und lange waren dickere Frauenkörper das Schönheitsideal. Dass Normen sich auch wieder ändern können, scheint erstmal logisch. Schwieriger wird es dadurch, dass sie sich nicht zufällig entwickelt haben. Sie sind mit der Organisation der Gesellschaft, also mit Herrschaft verknüpft. So ist mit dem Kapitalismus ein anderer Maßstab in die Welt gekommen, Standardisierungen griffen um sich, die Arbeitskraft der Menschen wurde zur Ware. Wenn sich das zudem auf zwischenmenschliche Beziehungen ausweitet, kann es kein Zufall sein, dass das auch nicht vor unserem Verhältnis zu uns selbst und unseren Körpern Halt macht.

Boys don’t cry

Deswegen geht auch die Forderung, dass sich Körpernormen ändern sollen, am Problem vorbei: Die TV-Sendung „Curvy Supermodel“ ist dafür das beste Beispiel. Hier werden wie beim gewöhnlichen Topmodel-Format Frauen gecastet und jede Woche wird eine aussortiert. Wie in den Darstellungen von den Frauenkörpern, die uns täglich umgeben, gilt auch hier: Schön ist eine schmale Taille, ein flacher Bauch und so weiter. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Idealmaße hier etwa 20 Zentimeter mehr Hüftumfang zulassen. Natürlich ist es etwas besser, den Zuschauer_innen ein Ideal anzudrehen, das keine Abmagerung auf ein lebensgefährliches Untergewicht erfordert. Die Message ist hier trotzdem: Der soziale und berufliche Wert einer Frau bemisst sich an ihrem Aussehen.
Das gilt nicht für Männer. Und doch unterliegen auch diese in unserer Gesellschaft einem Körperideal, das von ihnen verlangt, fünfmal die Woche zum Fitness zu gehen und hart gegen sich zu bleiben: „no pain – no gain“. Er ist cool, sooo cool – und die „shoulder to cry on“ (Bravo Girl), sollte aber selber nicht weinen müssen, und die idealen Mädchenschultern sind zum Anlehnen auch eh zu schmal. Jeder Junge hat diese Gewaltgeschichte erlebt. Sich das als Mann einzugestehen, wäre ein erster Schritt. Denn es verletzt andere und Dich selbst.

Eine andere Sexualität ist möglich

Die Normvorstellungen über den Körper funken dann auch in die Sexualität rein. Der Frau gehört ihr Körper nicht wirklich und die Grenzen, was sich als Frau gehört, sind deutlich enger. So wird der Typ, der mit vielen Frauen schläft, von vielen als toller Hecht betrachtet, während die Frau, die das tut, Gefahr läuft, als Schlampe zu gelten. Wie absurd! Aber auch als Mann wirst Du an einem Ideal gemessen, dem die wenigsten entsprechen können oder wollen, z.B. jederzeit bereit für Sex zu sein.
Eine Kritik an der Gewalt solcher Normen erfordert vor allem Ehrlichkeit. Manchmal setzen Feminist_innen etwa einem traditionellen weiblichen Körperbild den Wunsch einer athletischeren Statur entgegen. Oder bei Antifa-Typen entsteht ein Körperkult, der mit dem Wunsch nach Sportlichkeit begründet wird, anstatt damit, kräftig und maskulin aussehen zu wollen. Und diese alternativen Ideale können dann genauso viel Schmerz und Unzufriedenheit auslösen wie das konventionelle Bild der Perfektion aus der Werbung. Also sind auch die, die sich den Normen entgegenstellen, nicht frei von ihnen.

I like big butts and I cannot lie

Aber wenn die Erweiterung der Norm nicht die Lösung ist, was dann? Das Problem liegt ja nicht nur darin, was andere über unser Aussehen denken. Wir werden nicht einfach nur belogen, sondern haben die ganzen Vorstellungen darüber, wie Körper aussehen sollen, verinnerlicht. Wenn wir uns nur wohl fühlen können, wenn wir einem ganz bestimmten Bild von „schön“ oder „sexy“ entsprechen, brauchen wir die Diät ja wirklich, um zufrieden und selbstbewusst zu sein. Und dass das nicht eingestanden wird, macht die Rede von der inneren Schönheit zur Lüge.
Der erste Schritt könnte sein, sich nicht damit abzufinden, sondern zu sagen: Das macht mich unglücklich! Die Erkenntnis kann zur Wut auf eine Welt werden, in der solche Einteilungen vielen Menschen den Spaß am eigenen Körper verderben. Doch den Struggle alleine zu erleben ist meist wenig hilfreich und kann uns ohnmächtig fühlen lassen.
Ein anderer Zugang ist die offene Konfrontation der Gewalt von Schönheitsidealen. So sind Gegenbewegungen wie „Body Positivity“ und „Fat Acceptance“ entstanden. Hier machen Menschen ihren Kampf mit dem eigenen Aussehen öffentlich und zeigen, wie sie sich mit einem Körper außerhalb der Norm anfreunden konnten. Der Versuch, den Körper ohne erlernte Bewertungen wahrzunehmen, kann helfen, ein anderes Empfinden zu sich selbst zu entwickeln. Obwohl sich hier eine große Szene entwickelt hat, bleiben diese Strategien aber auf der individuellen Ebene.

Das Private wieder politisch machen

Die Feministinnen der 1970er Jahre würden jetzt sagen: Vergiss deine Coolness und lern dich selber kennen. Suche Menschen, denen es ähnlich geht. Feministische Gruppen der zweiten Frauenbewegung haben die Unsicherheiten mit dem eigenen Körper und Erfahrungen mit sexueller Unterdrückung als kollektive Erfahrungen aufgezeigt und hieraus Gesellschaftskritik entwickelt. Auch heute machen Selbsterfahrung und Gruppengespräche über Fragen zu Körperempfinden, Normen und Sex viel Sinn. In der Gruppe kann diskutiert werden, was an unseren schlechten Körpererfahrungen gesellschaftlich geprägt ist und das persönlich erlebte Gefühl politisiert werden. Bevor wir uns von Normen befreien können, müssen wir aber etwas anderes loswerden: unsere Coolness. Das Reden über anderes Erfahren von Körpern und Sexualität ist ein seltenes Thema linker Politik. Doch wenn diese unser Leben verbessern soll, müssen auch solche Dinge ausgesprochen werden, die peinlich berühren und nicht nur solche, bei denen man abgeklärt mit der klügsten Analyse beeindrucken kann.

Ohne Angst uncool sein

Wenn es als uncool gilt, all das anzusprechen, haben wir ein Problem. Hier ist der erste Schritt, sich darüber klar zu werden und auch in politischen Gruppen zu reden. Keine Gefühle zeigen und immer souverän sein zu wollen, steht einem guten Leben für alle entgegen. Und auch beim Sex ist es immer noch das Revolutionärste zu sagen, was ist: Was gefällt Dir, wie könnte es sich besser anfühlen, was magst Du gar nicht? Den eigenen Körper und Begegnungen mit Anderen auf neue Weise zu genießen, kostet Überwindung. Zuerst zum Eingeständnis, dass wir selbst in diesem intimen Bereich unseres Lebens der Gewalt kapitalistischer, patriarchaler und heteronormativer Prinzipien ausgesetzt sind. Außerdem den Mut, über die eigenen Unsicherheiten und Bedürfnisse zu sprechen und es auszuprobieren, Dinge anders zu machen. Es verspricht sich zu lohnen.

Zum Weiterlesen:
– Alexandra Kollontai: Autobiographie einer sexuell emanzipierten Kommunistin, 2015, 8 Euro.
– Barbara Eder, Felix Wemheuer: Die Linke und der Sex, 2011, 13 Euro.
– Volkmar Sigusch: Sexualitäten – Eine kritische Theorie in 99 Fragmenten, 2013, 40 Euro.
– „Prothetisierung und Sowjetmacht“ in: Phase 2, http://phase-zwei.org/hefte/artikel/prothetisierung-und-sowjetmacht-307
– Ulrike Heider: Vögeln ist schön. Was von der Sexrevolte 1968 übrig blieb, 2014, 15 Euro.