Was die Sorge für eure Mitmenschen mit dem Kapitalismus zu tun hat
Möchtet ihr nicht auch manchmal auf dem Pausenhof, im Büro oder im vollen Vorlesungssaal aufstehen und schreien? Oder heulen? Weil die Arbeit nervt, die Uni nervt, die Schule nervt, die Ausbildung nervt, das Jobcenter nervt? Aber: (negative) Gefühle im öffentlichen oder halb-öffentlichen Raum ausleben, das geht irgendwie nicht. Mit der Zeit lernen wir nämlich ziemlich gut, dass bestimmte Gefühle ‚draußen‘ nichts zu suchen haben. Für diese Gefühle – sei es Stress in der Schule oder Scheiß-Erfahrungen mit Rassismus und Sexismus, die manche von uns jeden Tag machen – ist in der Öffentlichkeit wenig Platz. Denn es wird von Euch erwartet zu funktionieren. Ihr dürft zum Beispiel nicht mal eben bei der Arbeit blaumachen, weil euch jemand das <3 gebrochen hat. Die Gefühle, verbannt aus der Öffentlichkeit, sind damit nicht unbedingt aus der Welt. Sie holen uns im Privaten wieder ein und finden da ihren Ausdruck. Im besten Fall bekommen wir dort Unterstützung durch andere Menschen, im schlechteren Fall sind wir allein. Wir finden, dass auch diese Verbannung der Gefühle ins Private was mit dem Kapitalismus zu tun hat und genauso kritisiert gehört. Denn mal ehrlich, uns solls gut gehen, aber nicht damit wir besser arbeiten können, sondern damit wir ein schöneres Leben haben!
Lean on me, when you´re not strong
Wir wollen deshalb nicht so tun, als sei das Sich-Kümmern einfach selbstverständlich in einer Gemeinschaft und nicht weiter der Rede wert. Ganz im Gegenteil ist das auch eine Form von Arbeit: nämlich Sorgearbeit. Darunter verstehen wir nicht nur das Betreuen von Kindern und kranken oder alten Menschen, sondern auch die tagtägliche emotionale Reproduktion. Reproduktion? Das klingt so kühl und technisch, was soll das mit Gefühlen zu tun haben? Wir meinen damit eine Art Instandhaltung von uns selber, denn wir sind keine Roboter, die einfach immer weiterarbeiten können. Wenn wir abgegessen und fertig nach Hause kommen und am nächsten Tag wieder fit sein wollen (und oft genug auch müssen), ist es nötig, dass wir uns gegenseitig aufmuntern, uns zuhören und eben auch eine gute Zeit haben. Das ist aber nicht nur ein Akt der solidarischen Gemeinschaftlichkeit, sondern Bedingung für das Funktionieren des Kapitalismus.
Der Erfolg jeder kapitalistischen Ökonomie hängt von Menschen ab, die arbeiten und Dinge produzieren. Ein langer Arbeitstag macht oft hungrig, müde und schlecht gelaunt. Damit wir weiterhin arbeiten können, müssen wir jeden Tag aufgepäppelt werden. Nicht nur die Arbeit der gestressten Frau im Büro hält also den Laden am Laufen, sondern genauso die Haus- und Sorgearbeit der anderen Mitglieder ihres Haushalts. Das erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich. Schließlich haben Menschen viele Bedürfnisse, die sie gerne befriedigen wollen – ganz unabhängig davon, ob sie ihre Arbeitskraft verkaufen oder nicht. Und es ist doch gut, wenn sie sich zusammentun, um füreinander zu sorgen, oder?
Trotzdem ist es eigentlich komisch: Da verwertet unser Wirtschaftssystem tagein tagaus unsere Arbeitskraft. Gleichzeitig zockt es aber ziemlich unbemerkt die Energie und Zeit unserer Mitmenschen ab, die sich um uns kümmern und für uns sorgen. Klar, wir bekommen auch Hunger, wenn wir anstatt für einen Lohn zu arbeiten mit unserer Gang ein cooles Baumhaus bauen. Aber dabei entscheiden wir selbst, was wir mit unserer Zeit und Energie machen. Bei der Erwerbsarbeit ist das anders. Den Lohn bekommen wir ja gerade dafür, dass jemand anderes darüber entscheiden darf, was wir den Tag über anstellen. Und weil wir dabei Dinge erledigen, die uns mehr oder weniger unwichtig sind, wir mit Menschen zusammenarbeiten, die wir nicht mögen, wir gegeneinander konkurrieren müssen – darum sind viele Menschen von der Arbeit nicht nur erschöpft, sondern auch gestresst und deprimiert.
Und wenn wir dann bei der Sorgearbeit nicht nur an den tatsächlichen Haushalt, sondern an unsere Stimmungen (gewissermaßen unseren Psycho-Haushalt) denken, wird schnell klar, dass wir es hier nicht mit einem Bereich zu tun haben, der nix mit Lohnarbeit zu tun hat. Unsere Bedürfnisse nach Erholung, Essen, Wärme und Trost entstehen zu großen Teilen unmittelbar aus dem Umstand, dass wir lohnarbeiten müssen.
Der große Unterschied
Ihr ahnt sicher schon, dass diese Sorgearbeit nicht gleichmäßig auf alle Menschen verteilt ist. Meistens ist es nämlich so, dass die emotionale Reproduktionsarbeit von Frauen geleistet wird. Zwar ist es in vielen Gesellschaften auch üblich, dass Menschen dafür bezahlt werden (z.B. Krankenpfleger_innen oder Kindergärtner_innen und auch das sind damals wie heute in der Regel Frauen), aber der allergrößte Teil wird eh unbezahlt und zu Hause gemacht. Im Kapitalismus vermischt sich an dieser Stelle die Trennung von Lohn- und Reproduktionsarbeit mit dem Geschlechterverhältnis. Denn obwohl Frauen häufiger einer Erwerbsarbeit nachgehen als noch vor einiger Zeit (zumindest war das in der BRD der 1950er anders), ist doch die Aufteilung der Repro-Arbeit nahezu unverändert. Dabei müssen wir nicht mal nur auf die Hetero-Liebesbeziehungen schauen um das festzustellen, auch in Freund_innenkreisen sind es dann doch ganz oft die Frauen, die sich um das Geburtstagsgeschenk kümmern, das alle gemeinsam schenken oder diejenigen, die nachts zum Trösten auf der Matte stehen, weil das Tinder-Date der Freundin mal wieder nicht so gut lief. Oder die nach Polizeigewalt mal nachschauen wie’s den Leuten hinter der coolen Fassade damit eigentlich so geht. Sieht man einmal genau hin, ist es erstaunlich, was Frauen oft auf dem Schirm haben (müssen).
Da passt es gut, dass diesen nachgesagt wird, sie seien emotional intelligenter als Männer. Der kräftige, rationale Mann sei dagegen von Natur aus wie geschaffen für die Arbeit auf dem Bau oder am Computer. Andere trösten, ihnen zuhören, putzen, Kinder versorgen und einkaufen sei eher was für Frauen. Solche Behauptungen lassen historisch gewachsene Verhältnisse als normale Folge vermeintlich natürlicher Veranlagungen erscheinen.
Andererseits wird manchmal behauptet, Frauen übernähmen freiwillig und gerne den überwiegenden Teil der Reproduktionsarbeit. Daran ist natürlich richtig, dass die meisten, zumindest in der BRD, wohl nicht zur Sorgearbeit gezwungen werden. Falsch ist die Behauptung aber trotzdem, weil sie die Wirkmächtigkeit von Geschlechterrollen und -verhältnissen ausblendet. Alle Menschen sind geprägt von Erwartungen an ihr Verhalten, ihre Äußerungen und ihre Gefühle – aus der Familie, der Schule, dem Freundeskreis. Wer schon einmal in einer Kita beobachtet hat, wie einfach die Rollenaushandlung beim Vater-Mutter-Kind-Spielen abläuft, weiß wie hartnäckig das Geschlechterverhältnis und die dazugehörigen Rollenbilder sind.
Hier kann man gut sehen, wie nützlich Sexismus für’s Kapitalverhältnis sein kann: Die unentlohnte Sorgearbeit im privaten Haushalt wird an Frauen delegiert. Die Abwertung von Weiblichkeit finden wir also bei der Unterscheidung von Reproduktions- und Lohnarbeit wieder. Entlohnung geht immer mit gesellschaftlicher Anerkennung einher. Und so lassen sich die Arbeit im Haushalt, die emotionale Sorge und die Erziehung der Kinder – alles notwendige Dinge für den Erhalt von Arbeitskraft! – weitgehend unentlohnt unsichtbar machen. Haushalt, Fürsorge und Kinderbetreuung werden als Privatsache behandelt. Daran merkt man: Die Verteilung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit findet entlang von Geschlechtergrenzen statt.
Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht?
Was bedeutet das für uns? Sollen wir aufhören, füreinander zu sorgen? Wollen wir weniger Gefühle oder fordern: Männer in die Reproduktion, Frauen in die Produktion?
Nein, ganz bestimmt nicht. Die Welt ist so schon kalt genug, wir wollen viel mehr Mitgefühl für all die Menschen um uns herum. Aber wir sind alle gezwungen zu arbeiten und unsere Arbeitskraft zu verkaufen und zu reproduzieren. Im Kapitalismus ist also die Sorge füreinander vom Zwang zu arbeiten beherrscht. Gemeinschaftlichkeit – eigentlich eine super Sache! – ist gleichzeitig Reproduktionsarbeit und dabei in der Regel auch noch abgewertet. Das Intimste, was Menschen miteinander teilen, ist gleichzeitig grundlegend durch das Kapitalverhältnis gestaltet und strukturiert. Das ist paradox und lässt sich blöderweise nicht einfach auflösen. Aber wir können zumindest in unseren Beziehungen, in der Politgruppe, im Freundeskreis immer wieder Selbstverständlichkeiten in der Aufgabenteilung hinterfragen und sie dann anders organisieren. Ansonsten bleibt uns nur den Kapitalismus samt und sonders zu Fall zu bringen, denn Hell knows I‘m miserable in Capitalism.
Zum Weiterlesen:
– Kitchen Politics (Hg.): Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit, 2014, 9,80 Euro.
– Sarah Speck: Verspannte Frauen, Coole Männer, Phase 2, 49, http://phase-zwei.org/hefte/artikel/verspannte-frauen-coole-maenner-500/
– Netzwerk Care Revolution, https://care-revolution.org
– Sonja Engel: Sichtbarkeit produzieren!, http://phase-zwei.org/hefte/artikel/sichtbarkeit-produzieren-495/
– Jungle World-Debatte zum Thema, https://jungle.world/artikel/2014/12/take-care