Über Wege in die befreite Gesellschaft
Liebe Zuckerbäcker,
auch ich halte den Kommunismus für die perfekte Gesellschaftsform und
habe Euer Blatt mit Interesse gelesen.
Es enthält aus meiner Sicht einige logische Brüche, deren Diskussion
hier zu weit führen würde, aber einen sehr wesentlichen Aspekt, der so
gut wie gar nicht berücksichtigt wird, möchte ich hier
ansprechen:
Wie können die Trumps, Höckes, Erdogans, Winterkorns, Ackermanns,
Honeckers, Merkels, usw. dieser Welt dazu bewegt werden, ihre
Machtgier über Bord zu werfen und ihre überdurchschnittlichen
Fähigkeiten in den Dienst der gemeinsamen (kommunistischen) Sache zu
stellen? Sie werden – egal in welchem System – immer nach einer
herausragenden Position streben und dafür ihre intellektuellen
Fähigkeiten und ihre Skrupellosigkeit einsetzen.
Und wie können die Anhänger der Trumps, Erdogans, Höckes, usw, deren
intellektuelle Fähigkeiten nicht ausreichen, um zu erkennen, dass
durch gemeinschaftsorientiertes Denken und Handeln der größte Vorteil
für alle entsteht, auf diesen Weg gebracht werden?
Kommunismus setzt kollektive Vernunft voraus. Die ist aber nur in sehr
kleinen abgegrenzten Kreisen tatsächlich vorhanden. Wie soll diese
Kollektive Vernunft weltweit völkerübergreifend erreicht werden?
Ich bin gespannt auf Eure ‚Schulungskonzepte‘.
Viele Grüße
H
Liebe*r H,
vielen Dank für deine Nachricht und entschuldige unser langes Schweigen.
Du hast da eine nicht ganz einfach zu beantwortende Frage gestellt, über die wir lange diskutiert und uns die Köpfe zerredet haben und dann am Ende zu dem Schluss gekommen sind, dass es leider wohl keine Antwort und schon gar keine „Schulungskonzepte“ geben kann.
Trotzdem wollen wir dir zumindest unsere Gedanken zum Thema mitteilen. Diese Gedanken sind immer wieder auf einen Satz zurückgekommen, der eine Antwort bilden könnte:
Wir wollen eine Gesellschaft bauen, in der Scheißverhalten sich einfach nicht mehr lohnt. Das mag vielleicht banal und oberflächlich wirken, beinhaltet aber schon vieles, so glauben wir. Bertolt Brecht bezeichnete den Kommunismus als „das Einfache, das schwer zu machen ist“ und verwies damit auf den Widerspruch zwischen Utopie und politischer Praxis, auf die „Mühen der Ebene“.
So verhält es sich mit deinem Schreiben. Alle Menschen zu überzeugen, dass der Kommunismus funktioniert, ist sicherlich schwierig oder unmöglich und die ’sozialistische Weltrepublik‘ wird sich auch nicht von heute auf morgen einführen lassen. Eine Möglichkeit ist sicherlich der gewaltvolle Umsturz, eine Revolution.
Die wollen wir aber nicht aus dem Grund, weil’s dann endlich schön knallt und dann von einem Tag auf den anderen alles anders wird, sondern weil wir davon ausgehen, dass es einen grundlegenden Bruch mit der derzeitigen Gesellschaft braucht. Damit kann man aber auch bereits im Hier und Jetzt anfangen. Sei es in Beziehungen, in WGs, in Politikgruppen oder auf Arbeit. Man kann Strukturen bilden, die sich auf Solidarität und nicht auf Konkurrenz bilden. Man kann mit Menschen respektvoll umgehen und sich nicht den herrschenden Normen von Sexismus und Rassismus unterwerfen. Man kann militant und widerständig handeln und der vielbesungene Sand im Getriebe sein und den kapitalistischen Alltagswahnsinn so gut es geht stören. Das alles kostet Mut und Kraft und geht nur gegen Widerstände. Es scheint uns aber – gerade auch unter gegenwärtigen gesamtgesellschaftlichen Kräfteverhältnissen – eine sinnvolle Möglichkeit. Vielleicht sogar eine erfolgreiche. Im besten Fall sogar eine vernünftige.
Apropos Vernunft. Den Aspekt machst du ja stark. Ein Punkt ist uns dabei wichtig und der kommt bei dir vielleicht etwas zu kurz: Vernunft existiert nicht unmittelbar. Sie ist nichts unabhängiges, überzeitliches oder übernatürliches, sondern immer in die Verhältnisse eingebettet.
Aktuell ist es für Besitzer_innen von Produktionsmitteln durchaus vernünftig, andere Menschen auszubeuten, im Kommunismus macht das keinen Sinn mehr. Mit dem Ende des Kapitalismus wird auch der Begriff der Vernunft, wie wir ihn im Jetzt kennen, verschwinden. Daran arbeiten wir.
Liebst
Straßen aus Zucker