Von Torten und Turnschuhen

Was wir von bedingungslosem Grundeinkommen und Degrowth halten

Stell dir eine Gesellschaft vor, in der die Menschen frei vom Zwang sind ihre Arbeitskraft zu verkaufen, frei davon Aufgaben zu erledigen, die sinnlos sind und frei davon Dinge zu produzieren, die sie sich nie im Leben selbst leisten können. In dieser Gesellschaft wäre Arbeit die solidarische Umsetzung von allem, was an gesellschaftlichen Tätigkeiten als nötig oder erwünscht ausgehandelt würde: von einer bedürfnisorientierten Herstellung der Güter, über das Kümmern um Kinder, die Versorgung kranker oder alter Menschen bis hin zur Gestaltung kulturellen Lebens.
Weil die Menschen viel weniger arbeiten müssten – die fortschreitende Technisierung jenseits eines Verwertungszwangs macht’s möglich – bleibt in unserer angestrebten Gesellschaft mehr Zeit für Dinge, die wir gerne machen: Feiern, Politik machen oder am See abhängen.
Behalten wir unsere angestrebte Vorstellung im Kopf und stellen zwei gegenwärtig populäre Konzepte auf den Prüfstand, die sich ebenfalls eine von Lohnarbeit unabhängige Versorgung der Menschen oder eine Reduzierung von Arbeit auf die Fahnen geschrieben haben: Das „Bedingungslose Grundeinkommen“ (BGE) und Degrowth-Ansätze.

Was ist das für 1 bedingungsloses Money?

Das Spektrum der Grundeinkommensbefürworter_innen ist vielfältig. Es gibt verschiedene Modelle, die quer durch alle politischen Lager diskutiert werden. Schnell wird klar, dass sich ein BGE von zwei sehr unterschiedlichen Richtungen denken und begründen lässt.
Einerseits könnte das BGE zu einer Art besserer Armutsverwaltung für diejenigen werden, die keinen Arbeitsplatz (und kaum Aussicht auf einen) haben. Das BGE entspräche der Höhe heutiger Sozialleistungen und würde den Sozialstaat ersetzen. Durch den Abbau bürokratischer Strukturen wäre es günstiger und effizienter. Solche Modelle findet man bei vielen Parteien oder in wirtschaftsliberalen Kreisen. Sollte innerhalb des Kapitalismus tatsächlich einmal ein BGE eingeführt werden, wäre diese Variante am wahrscheinlichsten. Potenzial für ein selbstbestimmteres Leben gibt es bei diesem BGE-Modell jedoch so gut wie nicht. Seine geringe Höhe würde schlichtweg dazu führen, den Arbeits- zwang in die Menschen selbst zu verlegen, statt den Druck durch Jobcenter auszuüben.
Eine emanzipatorischere Ausrichtung hätte ein BGE andererseits dort, wo es existenzsichernd als persönlicher Teil am Reichtum aller gedacht und ausgezahlt würde. Modelle dieser Art zielen darauf ab, den generellen Arbeitszwang aufzuheben, so dass Menschen weniger arbeiten (müssten). Gewonnene zeitliche Freiräume könnten sie kreativ nutzen, um solidarische Strukturen aufzubauen oder politische Teilhabe zu stärken. Jedoch dürfte sich solch ein Modell kaum verwirklichen lassen: In kapitalistischer Konkurrenz haben Unternehmen notwendig ein Interesse daran, günstiger zu produzieren als andere Unternehmen und Staaten wiederum daran, erfolgreiche Unternehmen am eigenen Standort zu haben. Würde ein Staat ein hohes BGE einführen, liegt die Vermutung nahe, dass die Menschen deshalb nur noch bereit wären für hohe Löhne zu arbeiten. Ungeliebte Jobs würden dann für weniger Kohle von Menschen aus anderen Ländern übernommen, weil sie keinen Anspruch auf das BGE hätten. Und Unternehmen würden ihre Produktion vermehrt in Länder mit niedrigeren Löhnen und Steuern verlagern.

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für jeden Menschen erscheint zunächst verlockend. Einerseits wäre es aber gar nicht so bedingungslos, wie es klingt, sondern beispielsweise an die jeweilige Staatsbürgerschaft gekoppelt. Andererseits hätte seine Einführung keinen Einfluss darauf, ob die menschliche Arbeitszeit künftig eher auf die Gesundheitsversorgung aller Menschen verwendet würde oder doch auf die Entwicklung des nächsten Baumarkt-Werbespots. Die meisten BGE-Modelle wollen zwar mehr Teilhabe ermöglichen, dabei arrangieren sie sich jedoch mit den Spielregeln der Marktwirtschaft. Weder brechen sie mit dem Prinzip von Tausch und als gleichwertig vorgestellten Gegenleistungen, noch mit der Vorstellung, dass Konkurrenz ja doch irgendwie ganz belebend sei.
Es ginge also nicht darum, dass die Tortenfabrik allen gehört und alle gemeinsam entscheiden, was und wieviel gebacken wird. Ein BGE hieße im besten Fall nur, dass mehr Menschen ein kleines Stückchen von der Torte abbekämen, die aber weiterhin nur gebacken würde, damit die Tortenmanufaktur sie gewinnbringend verkaufen kann.

Liebling, ich kann den Kapitalismus nicht schrumpfen!

Vorweg: Wir können keine vollständige Übersicht aller Konzepte geben, die unter dem Label „Degrowth“ so kursieren. Die populärsten Ansätze wollen den Widerspruch zwischen der Welt als einem Ort begrenzter Ressourcen und dem ständigen Wachstum im kapitalistischen Wirtschaftssystem aufheben. Die Lösung: Wachstum wird wegreformiert. Meist gibt es dabei jedoch keine einheitliche oder klare Vorstellung davon, was „Wachstum“ eigentlich sein soll. Offiziell wird Wachstum an Hand des Bruttoinlandsprodukts gemessen, also an der jährlichen Gesamtsumme der Verbraucherpreise aller Güter und Dienstleistungen eines Landes. Diese Wachstumsziffer sagt allerdings weder etwas über die Höhe von CO2-Werten aus, noch ob deine Kopfhörer so hergestellt werden, dass sie auch mal mehrere Jahre funktionieren – wir kommen darauf zurück.
Als eine Möglichkeit zur Abkehr vom Wachstum wird aus Degrowth-Perspektive ein korrigiertes Verhalten erachtet. An Ausbeutung, Überproduktion oder Umweltverschmutzung sind in solcher Betrachtungsweise entweder gierige Unternehmer_innen schuld („Profit ist okay, Profitgier ist nicht okay!“) oder Konsument_innen, die ihren „Überfluss“ an Konsum nicht beschränken wollen und deren Bedürfnis nach billigen Steaks und jährlich neuen Smartphones gar nicht anders zu befriedigen sei als „unnachhaltig“. Ausgeblendet wird dabei, dass der Alltag für die meisten Menschen ohnehin bereits aus permanenter Bedürfnisbeschränkung und „den Gürtel enger schnallen“ besteht. Sie können es sich von ihrem Lohn schlicht nicht leisten, „fair“ gehandelte Kaffeebohnen oder Eier von weniger unglücklichen Hühnern zu kaufen.
Eine andere Degrowth-Überlegung ist, Wachstum durch verkürzte Arbeitszeiten zurückzufahren. Arbeitszeitverkürzungen könnten zwar potenziell eine revolutionäre Forderung werden, jedoch führen sie nicht automatisch zu geringerer Produktivität. Die Produktion ließe sich durch die Intensivierung der Arbeitszeit und eine zunehmende Technisierung auf gleichem Stand halten.

Davon abgesehen sind Forderungen nach einer Rücknahme des Wachstum innerhalb des Kapitalismus schlicht nicht umsetzbar: Das hier zum Übel erklärte Wirtschaftswachstum ist nicht ein Ziel, für oder gegen das die Gesellschaft, ein Unternehmen oder eine Regierung sich entscheidet. Ein Beispiel: Kann Adidas kein Wachstum verzeichnen, bedeutet das, es hat sein eingesetztes Kapital nicht erfolgreich zu Gewinn vermehrt. Will es aber nicht dauerhaft auf dem eigenen Marktfeld gegenüber Nike den Kürzeren ziehen, muss es eben Gewinne maximieren und reinvestieren. Die kapitalistische Wirtschaftsweise und ihre Gesetzmäßigkeiten sind nicht zwei verschiedene Paar Turnschuhe und deshalb muss sich Kapitalismus-Kritik gegen den Kapitalismus selbst richten. Erinnern wir uns an das Bruttoinlandsprodukt als Maß des Wachstums: Im Kapitalismus sind nicht Güter der Reichtum einer Gesellschaft, sondern das Geld, zu dem sie verkauft werden. Der Zweck kapitalistischen Wirtschaftens ist nicht die Versorgung der Menschen, sondern aus Geld mehr Geld zu machen. Daher landen im Kapitalismus auch so viele Waren, die nicht verkauft wurden, in den Müllcontainern von Supermärkten statt bei hungrigen Menschen.

Ist weniger wirklich immer mehr?

Halten wir fest: Einige der Ziele eines BGE und Degrowth kommen unserer eingangs formulierten Vorstellung eines guten Lebens für alle nahe. So fänden wir eine Abkehr von Profit als wirtschaftlichem Zweck, die Verringerung von Arbeitszeit, die generelle Aufhebung des Arbeitszwangs und einen weniger rücksichtslosen Umgang mit der Umwelt spitze! Wir finden aber keineswegs, dass Wachstum etwas per se Schlimmes oder gar das Grundproblem ist – im Gegenteil: Wachstum finden wir beispielsweise in den Bereichen von Pflege und Fürsorge toll!
In unserer Redaktion gehen die Einschätzungen darüber auseinander, inwieweit Konzepte rund um das BGE und Degrowth zumindest einen Beitrag leisten können, bestimmte „Normalitäten“ in Frage zu stellen. Im Rahmen des Bestehenden können sie zwar Maximalforderungen formulieren, Widersprüche zuspitzen und so Denkräume über Bestehendes hinaus öffnen: „Hey, es könnte ja auch ganz anders sein!“ oder „Probier’s mal mit Gemütlichkeit!“ statt „Harte Arbeit gehört zum Leben dazu!“ Solche Forderungen sind aus den dargestellten Gründen jedoch nicht durch Reformen erreichbar. Das gute Leben für alle braucht einen politischen und grundlegenden Bruch mit dem Kapitalismus.

Zum Weiterlesen:

Zur Degrowth-Bewegung:

Zwei Kritiken des BGE: