Und was kommt dann?
1968 kam es zum Generalstreik in Frankreich. Überall protestierten die Menschen, der Präsident war ins Ausland geflohen und außer der Polizei arbeitete kaum noch jemand. In den Betrieben und Unis wurde stattdessen über eine bessere Zukunft diskutiert. Ein Plan, um die Gesellschaft wirklich umzustürzen, kam dabei aber nicht heraus. Die Leute gingen bald wieder ihrer „normalen“ Arbeit nach – doch diese kurze revolutionäre Situation inspirierte weltweit Viele. So auch die Arbeiter_innen des britischen Unternehmens Lucas Aerospace, das zu Beginn der 1970er Jahre stark von der Krise der britischen Wirtschaft betroffen war. Denn dort wurden zum großen Teil militärische Flugzeugkomponenten produziert und die Regierung wollte die militärischen Ausgaben kürzen. In dieser Situation standen die Arbeiter_innen von Lucas Aerospace scheinbar vor zwei schlechten Alternativen: Entweder für mehr militärische Ausgaben pro- testieren – oder die Abschaffung ihrer Jobs hinzunehmen.
Doch die Arbeiter_innen waren schon vorher organisiert. Sie hatten den französischen Generalstreik miterlebt – und sie hatten in militanten Auseinandersetzungen Erfahrungen damit gemacht, verbesserte Arbeitsbedingungen mit gesamtgesellschaftlicher Emanzipation zu verbinden. Sie entschieden sich gegen die vorgeblichen Alternativen und für etwas Neues. Es entstand die Idee, fortan einfach „sozial nützliche Produkte“ herzustellen! Über die basisgewerkschaftliche Struktur wurde zuerst ermittelt, welche vorhandene Maschine was produzieren konnte. Und dann wurde überlegt: Was können wir mit unseren eigenen Fähigkeiten und mit den Maschinen Sinnvolles anstellen?
So entstand der „Lucas Plan“: Es wurden 150 alternative Produkte diskutiert und einige Prototypen entwickelt. Die Vorschläge reichten von medizinischem Gerät über Solarzellen und Windräder bis hin zu Transportsystemen. Sie reagierten einmal auf aktuelle Ereignisse so wie z.B. Bremssysteme – nach einem großen Busunglück war rausgekommen, dass nur zehn Prozent der britischen Busse gute Bremsen hatten. Ein andermal wurde ein Fahrzeug für Menschen mit Behinderung entwickelt. Diese Initiativen wurden im ganzen Land diskutiert. Die Leute von Lucas Aerospace machten sich aber keine Illusionen. Sie wussten, dass es nicht nur andere Produkte braucht – sondern eine andere Gesellschaft: „Es ist etwas grundsätzlich verkehrt an einer Gesellschaft, die das technologische Niveau erreicht hat, um das Überschallflugzeug Concorde zu konstruieren und zu bauen, die aber nicht genug einfache städtische Heizungen bereitstellen kann, um die Rentner zu schützen, die jeden Winter an Unterkühlung sterben.“
Mit ihrem „Lucas Plan“ erreichten die Arbeiter_innen viel mehr als nur einen Plan dafür, „nützliche Dinge“ für den Kapitalismus herzustellen. In Gesprächen mit Konzernleitung und Regierung versuchten sie zwar, die eigenen Vorschläge auch als marktwirtschaftlich vernünftig zu verkaufen. Doch gleichzeitig stellten sie auch die Eigentumsordnung in Frage! Und sie versuchten, diesen Ansatz auf andere Betriebe auszuweiten. Ihr Kampf hatte lokal begonnen – und schließlich wurde weit über den Betrieb hinaus darüber diskutiert, warum die Produktion von Heizungen vernünftiger ist als die von Kriegsgerät. Auf diese Weise wurden zwei wichtige Dinge sehr deutlich: Erstens, dass es bei (und während) der Produktion von Dingen nicht um Mehrwert, sondern um Bedürfnisse von Menschen gehen sollte. Und zweitens, dass es gar nicht schwer ist, all diese Dinge herzustellen. Es ist alles dafür vorhanden!
Bei Lucas Aerospace gab es leider kein Happy End: Die Fabrikleitung blieb bei ihrer eigenen Kosten-Nutzen-Rechnung und wollte den Laden schließen. Streiks dagegen waren nicht erfolgreich. Auch die Ausweitung des „Lucas Plans“ hatte wenig Erfolg. Zwar gab es große öffentliche Aufmerksamkeit, aber nur Wenige in anderen Betrieben versuchten Ähnliches und waren an einer Vernetzung interessiert.
Doch was wäre gewesen, wenn den Streikenden in Frankreich 1968 viele solcher „Lucas Pläne“ zur Verfügung gestanden hätten? Was, wenn ausgefeilte Konzepte über die Kapazitäten der Produktion für die Bedürfnisse der Menschen auf einen revolutionären Generalstreik treffen? Klar ist: Wenn man weiß, was man mit dem ganzen herumstehenden Kram und mit dem Können und Wissen im eigenen Betrieb wirklich Sinnvolles anstellen kann, dann kann man sofort in Austausch mit anderen Betrieben treten und übergreifend eine bedürfnisorientierte Produktion beginnen. Das ist zwar noch keine ganz andere Gesellschaft, aber zumindest ein möglicher Beginn. Klar ist auch: Das kann scheitern. Aber zumindest gäbe es nach dem Generalstreik erstmal mehr gute Heizungen– und ein größeres Verständnis dafür, warum es nicht nur neue Heizungen, sondern eine ganze neue Gesellschaft braucht!
Zum Weiterlesen:
– Ausführlich zum Lucas Plan, hier eine Doku
– Was passiert nach der Revolution: Eine detaillierte Durchsicht für die Region Großbritannien von den Angry Workers of the World (auf englisch)
– René Viénet: Wütende und Situationisten in der Bewegung der Besetzungen, 4 Euro auf klassenlos.tk
– Angry Workers of the World über den Lucas Plan
– Peter Nowak (Hrsg.): Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht, 2014, 8 Euro