1. August 1955
Horst Schrübbers, durch dessen Wirken als Staatsanwalt im Nationalsozialismus zahlreiche Menschen im KZ umkamen, wird Präsident des 1950 gegründeten Bundesamts für Verfassungsschutz und bleibt das bis 1972. Der Verfassungsschutz ist vielfach mit alten SS-, SA-, NSDAP-Mitgliedern besetzt, was aber zu sagen erst kein Skandal mehr ist, nachdem alle tot oder hochbetagt sind. Im Vergleich zum BND, Auswärtigen Amt und BKA, die teilweise aus Naziorganisationen hervorgegangen sind oder bei denen zumindest zur Hälfte alte SS-, SA-, NSDAP-Mitglieder eingestellt werden, war der Verfassungsschutz stärker unter Kontrolle der Alliierten – so dass besonders belastete alte Nazis über Tarnfirmen beim Verfassungsschutz arbeiteten, mit Hilfe von Innenministerium und Finanzämtern.
24. Dezember 1959
Die neu eingeweihte Kölner Synagoge wird mit Hakenkreuzen und der Parole „Deutsche fordern Juden raus“ vollgeschmiert, was eine Welle von fast 500 antisemitischen Anschlägen allein im folgenden Monat auslöst. Bundeskanzler Adenauer verharmlost diese als „Flegeleien“, noch heute meint das Bundesarchiv auf seiner Homepage, die Anschläge hätten den „Ressentiments gegen Deutschland neue Nahrung verliehen“. Der Verfassungsschutz streut die – unbelegte – Information, die DDR stecke dahinter, kann sonst aber nichts zu den Täter_innen mitteilen.
9. November 1969
Eine Bombe des Verfassungsschutzmitarbeiters Peter Urbach geht im Jüdischen Gemeindehaus München hoch. Wahrscheinlich wurde sie von Antisemit_innen aus der Linken gelegt. Vorher hatte Urbach schon bei Demos von Staats wegen Brandsätze an Demonstrant_innen verteilt, auch der RAF liefert Urbach die Bomben, so dass die Süddeutsche Zeitung mutmaßt: Ohne „die staatlich geförderte Tatkraft seines Agenten Urbach wäre die RAF womöglich gar nicht entstanden“.
4. Juni 1974
Ulrich Schmücker, Mitglied in linken Gruppen und Geheimdienstspitzel, wird, nachdem es Anzeichen gab, dass er kein V-Mann mehr sein wollte, erschossen aufgefunden. Was dahinter steckt, wurde nie geklärt, nur eins fand sich 15 Jahre später: die gesuchte Tatwaffe. Im Tresor des Verfassungsschutzes. Am 28. Januar 1991 stellt die Vorsitzende der 18. Strafkammer, Ingeborg Tepperwien, das Verfahren im „Mordfall Schmücker“ wegen der massiven „Mitwirkung und Einwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz“ ein.
25. Juli 1978
Der Verfassungsschutz versucht einen Mitarbeiter in die RAF zu bekommen und zündet dafür eine Bombe am Celler Gefängnis – bekannt wird das alles 1986 als „Celler Loch“, aber auch nur als Zufall, davor galt es viele Jahre als „Terroranschlag“ der RAF.
Sommer 1978
Pünktlich zum Ferienbeginn erscheint in allen großen Zeitungen eine Anzeige, in der die SPD-geführte Bundesregierung alle Reisenden „informiert“: „Seien Sie nicht überrascht, wenn Sie zum Beispiel politisch interessierte Franzosen oder Italiener fragen, warum es bei uns nicht kommunistische Briefträger, Lokomotivführer oder auch Lehrer geben soll“. Die richtige Antwort wurde freundlicherweise auch gleich mitgeliefert: „Wenn Sie auf ‚Berufsverbote’ angesprochen werden, sollten Sie wissen: Es gibt bei uns kein Berufsverbot.“ Der sogenannte Radikalenerlass von 1972, um den es hier ging, sorgte dafür, dass 3,5 Millionen Personen überprüft wurden und 10.000 Berufsverbote ausgesprochen wurden. Die Praxis war in Europa einzigartig, das bislang letzte Berufsverbot wurde im Jahr 2007 über einen antifaschistisch aktiven Heidelberger Lehrer verhängt.
22.-26. August 1992
Rassistische Pogrome in Rostock. Der Inlandsgeheimdienst dreht derweil Däumchen, gießt die Gummibäume und fragt sich, wo das neue Faxgerät hingestellt werden soll. Die Polizei versucht erst gar nicht, die Pogrome zu stoppen, schlägt aber derweil Linke, die gegen die Pogrome demonstrieren, zusammen. Dafür muss ja immer Zeit sein.
1994
Helmut Roewer, der selber in als rechtsextrem eingestuften Verlagen publiziert, wird Verfassungsschutz-Präsident in Thüringen. Roewer berichtet darüber im Untersuchungssauschuss des Landtags: „Wie ich Verfassungsschutz-Präsident wurde? Es war an einem Tag nachts um 23 Uhr, da brachte eine mir unbekannte Person eine Ernennungs-Urkunde vorbei, in einem gelben Umschlag. Es war dunkel, ich konnte sie nicht erkennen. Ich war außerdem betrunken. Am Morgen fand ich den Umschlag jedenfalls noch in meiner Jacke.“
1998
Ermittlungen gegen die Antifaschistische Aktion Passau wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Nach 3 Jahren, in denen die gesamte linke Szene verängstigt wurde und in Gänze durchleuchtet war, wird das Verfahren eingestellt. In einer Presseerklärung teilt die Staatsanwaltschaft München in schonungsloser Sprache den schockierenden Sachverhalt mit, dass „der Hauptzweck der Antifaschistischen Aktion Passau in der Durchsetzung politischer Ziele wie dem Kampf gegen die ‚bestehende kapitalistische Weltordnung’, gegen Unterdrückungsmechanismen wie Nationalismus, Rassismus und Sexismus’“ bestand.
26. Januar 1998
In einer Garage des Jenaer „Garagenvereins an der Kläranlage e.V.“, die drei stadtbekannte Nazis benutzen, wird eine Bombenwerkstatt mit vier fertigen Rohrbomben und 1,3 Kilo TNT-Sprengstoff gefunden. Der V-Mann und Nazi Thomas Starke hatte den Sprengstoff besorgt und dann die Polizei zur Garage geführt. Obwohl die Polizei mit diesem Wissen die Durchsuchung durchführte, wollte man niemanden festnehmen. Man kam nur einmal so vorbei – ohne Haftbefehl. Die späteren Mitglieder des NSU flohen, naja, besser, gingen dann einfach wieder weg. Die Beamten hingegen übernahmen die Zerstörung der gefundenen Beweismittel, obwohl diese eigentlich bis zum Ende des Verfahrens aufbewahrt werden müssen.
1998-2011
Nationalsozialistischer Untergrund und die Verbindungen zum Staatsschutz. Alles nachzulesen bei Wolf Wetzel: „Der NSU-VS-Komplex und das System der Pannen…wie “tief ” reicht der Staatsanteil am Nationalsozialistischen Untergrund/NSU“. Das Buch ist im April 2013 im Unrast Verlag erschienen und kostet 12 Euro.
Außerdem checkt mal den Blog: http://haskala.de/tag/nsu/
2011 ff.
Fleißige, sehr fleißige Bienchen vernichten beim Verfassungsschutz Akten.
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Dieser Text ist aus unserer Broschüre „Geheimdienst gib Handy! Was wir am Verfassungsschutz kritisieren und warum der Geheimdienst nichts an der Schule zu suchen hat.“ Eine Übersicht aller Text findet ihr hier.