Warum Verfassungsschutz und Bespitzelung gut zu parlamentarischer Demokratie und Marktwirtschaft passen
Alle Jahre schwappt die Forderung, den Verfassungsschutz abzuschaffen, auch mal in linksliberale Kreise. Gerade nachdem permanent neue Details über die rassistische Mordserie des NSU bekannt wurden, schäumte z.B. der vorzeige- liberale Journalist Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung: „Wäre der Verfassungsschutz ein normaler Gewerbebetrieb, dann hätte ihn die Gewerbeaufsicht wegen schwerer Mängel schon zugesperrt.“ Und selbst Ortsgruppen der SPD fordern: „Verfassungsschutz auflösen“ und verweisen darauf, dass Geheimdienste allgemein nicht gut zu einer demokratischen Gesellschaft passen würden. Den Verfassungsschutz wollen wir auch abschaffen. Aber die Vorstellung, es gebe ein Widerspruch zwischen Verfassungsschutz und repräsentativer Demokratie in der Marktwirtschaft, die halten wir doch eher für ein Märchen.
Die Hauptfunktion jedes Geheimdienstes im Innern ist in einer Marktwirtschaft recht klar: Er soll rausfinden, ob die, die zur kostenlosen Essensausgabe in der Stadt gehen müssen, weil Hartz IV nicht reicht oder die ein Leben in ständiger Konkurrenz nicht lebenswert finden, die Änderung ihres Zustands planen. Damit meinen wir nicht, dass der Verfassungsschutz jetzt nur für die Bekämpfung der Linken zuständig ist. Keineswegs. Dass das in der realen Praxis so ist, liegt eher daran, dass der Verein nach dem Zweiten Weltkrieg von, na ja sagen wir mal freundlich, streng konservativen Personen gegründet wurde – wenn auch Alt-Nazis im Gegensatz zu BND, BKA und Auswärtigem Amt auf Grund der Kontrolle der Alliierten eher in der Minderheit waren. Doch die meisten dürften in der Verfassung eher Fesseln ihres Handelns gesehen haben und pflegten diese Tradition munter weiter. Gerade der NSU-Skandal hat gezeigt, welche Strömungen im Verfassungsschutz noch immer dominant sind. Denn wie muss man auch drauf sein, wenn man den ganzen Tag Leute, darunter Freund_innen und Bekannte, für den Staat bespitzeln will? Na also. Wir wollen aber nicht ausschließen, dass irgendwelche Staatsschützler_innen auch mal auf die Idee kommen könnten, dass Nazis nachrichtendienstlich bekämpft und nicht unterstützt werden sollten. Aus richtigen Gründen dürften die da nicht drauf kommen, sondern deswegen, weil eine Nazi-Mordserie das Image Deutschlands doch enorm schädigen kann. Die ist gar nicht gut für den Export. Um Menschen und Rassismus geht es da leider eher nicht.
Es ist also nicht so, dass es nur gegen Linke gehen muss. Aber gerade in Zeiten, wenn nicht mehr alle sagen: „Juhu, der Standort Deutschland ist so knorke, dem wollen wir lebenslang dienen“, wird das doch wichtig. Die meisten sagen das noch, aber in Spanien und Griechenland zeigt sich, wie schnell sich das drehen kann. Und damit das nicht dreht oder allzu sehr dreht, dafür braucht es eben in der repräsentativen Demokratie auch Geheimdienste. Wenn immer weniger Menschen all die schönen Vom-Tellerwäscher-zum- Millionär-Geschichten des Kapitalismus glauben. Und sich partout nicht mehr „erinnern“ können, dass sie, wie es im Politikunterricht aufgetischt wird, einst auf der taufrischen Wiese einen angeblichen „Gesellschaftsvertrag“ unterschrieben haben, der dafür sorgt, dass ihre Lebenszeit mit immer- währender Konkurrenz und Bespitzelung durch die Geheimdienste der Welt versüßt wird. Wir „erinnern“ uns auch nicht mehr daran, dass wir angeblich mal zustimmten, dass wir vom schönen Leben durch Privateigentum abgeschnitten sind. Und mit Privateigentum ist nicht gemeint, dass der Staat sich darum kümmern wird, wenn jemand Dein Tagebuch klaut. Sondern da geht es um den Schutz des geldbringenden Privateigentums und der Fall einer Kassierin von Kaiser’s namens Emmely, die 2009 recht berühmt wurde, weil ihr wegen eines eingesteckten Pfandbons im Wert von 1,30 Euro nach 31 Jahren gekündigt wurde, zeigt, wie prinzipiell es dem Staat damit ist. Oder eine Zwangsräumung einer Wohnung, bei der Helikopter und Hundertschaften eingesetzt werden, mit deren Kosten man die Wohnung kaufen und für den Zwangsgeräumten mit ’nem Whirlpool ausstatten könnte. Für all die Emmelys und noch viel mehr Menschen, die irgendwann nicht mehr dran glauben, dass diese Gesellschaft für sie da ist und irgendwie der Staat für sie sorgt, gibt es den Geheimdienst. Damit alles so bleibt, wie es ist. Dafür muss der Staat genau Bescheid wissen, wer sich alles für das eigene Leben mehr vorstellt als Arbeit, Freizeit, die sich anfühlt wie Arbeit und Nicht-Arbeit, die Hartz IV heißt.
Dieser Text ist aus unserer Broschüre „Geheimdienst gib Handy! Was wir am Verfassungsschutz kritisieren und warum der Geheimdienst nichts an der Schule zu suchen hat.“ (als PDF runterladen) Hier gibt’s eine Übersicht aller Texte.
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Dieser Text ist aus unserer Broschüre „Geheimdienst gib Handy! Was wir am Verfassungsschutz kritisieren und warum der Geheimdienst nichts an der Schule zu suchen hat.“ Eine Übersicht aller Text findet ihr hier.