Das WTF!-Bündnis besteht aus queerfeministischen, antifaschistischen und autonomen Gruppen sowie Einzelpersonen – Wir haben uns mit Sarah Bach, der Sprecherin des Bündnisses, über den jährlich stattfindenden „Marsch für das Leben“ und seine Hintergründe unterhalten.
SaZ: Für uns ist das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper eine Selbstverständlichkeit. Wofür gehen die Teilnehmer_innen beim „Marsch für das Leben“ auf die Straße?
Sarah: Das große Thema des Marsches ist die komplette Illegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Darüber hinaus wird ein Verbot von Sterbehilfe, Suizid etc. gefordert.
SaZ: Wer sind die Organisator_innen des Marsches, wer die Zielgruppe?
Sarah: Organisiert wird der Marsch aus der sogenannten „Lebensschutzbewegung“ heraus. Das Umfeld ist eine breite Querfront aus fundamentalistischen Christ_innen, Konservativen und neuen Rechten, gut vernetzt mit offiziellen Politikkreisen. Die Zielgruppe sind Menschen, die gerade im Rahmen der Krise alle möglichen Ängste haben. Davor, dass altbewährte Werte den Bach runtergehen, dass ihr Lebensstandard schlechter wird, dass gewohnte Familienmodelle auseinanderbrechen. Es werden Sicherheit, alte Werte, klare Linien und klare Feinde vermittelt.
SaZ: Wie wird beim „Marsch für das Leben“ und in der „Lebensschutzbewegung“ gegen Schwangerschaftsabbruch argumentiert?
Sarah: Das Hauptargument lautet: alles Leben steht unter dem Schutz Gottes und ist ein Segen Gottes. Dem hat sich der einzelne Mensch unterzuordnen. Dann gibt es verschiedene Argumentationsstränge. Da ist beispielsweise die primär völkische Argumentation, dass das deutsche Volk ausstirbt. Deutsche Frauen müssten demnach deutsche Kinder bekommen. Außerdem gibt es viele Argumente gegen die Zerstörung des konservativen Familienmodells und gegen eine vermeintliche Übermacht der Feminist_innen, Stichwort Genderismus.
SaZ: Ist der Marsch Teil eines rechtskonservativen Backlashs oder eher ein Aufbegehren neuer reaktionärer Strömungen?
Sarah: Abtreibungsgegner_innen gab es schon immer. Proteste von sogenannten Lebensschützer_innen waren in den 80er Jahren viel größer als heute. Dann schrumpfte die Szene, jetzt wächst sie wieder. Es gibt heute aber nicht mehr Menschen, die gegen Schwangerschaftsabbrüche sind. Aufgrund eines reaktionären Backlashs innerhalb Europas und dem Anstieg von Rechtspopulismus funktioniert nur die Mobilisierung viel besser, weil nicht mehr nur die klassischen Gehsteigberatungsfundis mit Leib und Seele gegen Schwangerschaftsabbrüche kämpfen. PEGIDA, die AfD oder die Neue Rechte hatten in letzter Zeit ein großes Mobilisierungspotenzial. Davon profitiert nun auch der „Marsch für das Leben“, der gleiche Themen anspricht und sich ein sehr bürgerlich-demokratisches Image gibt.
SaZ: Welche Rolle spielt die katholische Kirche in Bezug auf den Marsch und die damit verknüpften Themen?
Sarah: Viele Einrichtungen für Schwangerschaftsberatung werden von der katholischen Kirche betrieben. Die Beratung dort ist nicht neutral. Sie zielt von Beginn an darauf ab, dass die Schwangere die Schwangerschaft nicht abbricht. Die katholische Kirche ist eng mit dem „Marsch für das Leben“ vernetzt. So wird der Aufruf dazu von vielen Bischöfen unterzeichnet. Generell hat die Veranstaltung auch eine so breite gesellschaftliche Akzeptanz, weil sich ein großer Träger wie die katholische Kirche nicht dagegen ausspricht. Themen wie Abtreibung, die Pille danach etc. sind wichtige Themen innerhalb der katholischen Kirche.
SaZ: Wie sieht eure konkrete Bündnisarbeit aus?
Sarah: Wir mobilisieren bundesweit für die Gegenveranstaltung zum „Marsch für das Leben“, vor allem bei feministischen Gruppen in anderen Städten, bei Studierendenvertretungen und linken Gruppen. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Vernetzung dieser Gruppen untereinander. Dieses Jahr haben wir den Marsch durch Blockaden gehindert, nächstes Jahr wollen wir ihn ganz verhindern!
Weiterlesen:
Seite des Bündnisses: http://whatthefuck.noblogs.org
Eike Sanders u.a. (Hg): „Deutschland treibt sich ab“: Organisierter »Lebensschutz«, christlicher Fundamentalismus und Antifeminismus, 98 Seiten, EUR 7.80