„… nix gemeinsam bis auf das Deutschlandtrikot!“

Deutschland geil finden, Feminist_innen hassen, Homosexuelle dissen – menschenfeindliche Einstellungen gibt es viele. Aber warum ist das eigentlich so und was genau verbindet all diesen Mist miteinander?
Ob es nun heißt, „die Griechen“ seien faul, Mädchen nicht so gut in Mathe, oder Homosexuelle nicht ganz normal – Ideologien findest du fast überall. Sie alle bauen auf einem falschen Verständnis unserer Gesellschaft auf. Sie liefern falsche Erklärungen für Dinge, die wir täglich wahrnehmen und die wir uns auf den ersten Blick nicht anders erklären können. Deshalb sind sie nicht bloße Wahnideen, die gar nix mit der Wirklichkeit zu tun haben, sondern knüpfen an unsere Lebensumstände an. Nur halt falsch. Wäre das nicht so, wer würde sie denn dann noch ernst nehmen?

Genau beobachtet, aber trotzdem nix gecheckt
In Griechenland geht es zum Beispiel seit der Krise vielen Leuten wirtschaftlich sehr schlecht. Oft wird dafür aber nicht unser bedürfnisfeindliches Wirtschaftssystem verantwortlich gemacht, sondern die angebliche Faulheit der Griech_innen. Für die zutreffende Feststellung, dass es in Griechenland viel Armut gibt, werden also vereinfachende und falsche Erklärungen gefunden. Dabei bleibt es aber nicht unbedingt. Ideologien schaffen sich ihre Wirklichkeit auch selbst. Zum Beispiel, wenn es um Geschlechterrollen geht. Wenn Männern und Frauen auf Grund angeblich natürlicher Unterschiede verschiedene Rollen zugewiesen werden, hat das durchaus Auswirkungen. Beispielsweise gilt Fußball in Deutschland ganz klar als Jungen-Sport. Wenn du im Park einen Blick in den Fußballkäfig wirfst, werden die Auswirkungen ganz schnell offensichtlich. Da stehen dann zehn Typen und vielleicht ein Mädchen. Ganz abgesehen von den direkten Anfeindungen, denen sich Mädchen und Frauen ausgesetzt sehen, wenn sie auch mal bolzen wollen, werden viele schon allein durch gesellschaftliche Erwartungen davon abgehalten. Das durch Ideologie hergestellte Ungleichgewicht muss dann wiederum herhalten, um den Sexist_innen recht zu geben. Ein Teufelskreis.

100% natürlich?
Dieses Beispiel lässt sich gut verallgemeinern. Man kann sagen, dass Ideologien häufig auf bestehenden Ungleichheiten gründen. Diese werden aber nicht weiter hinterfragt, sondern auf natürliche oder sonst wie unveränderbare Faktoren zurückgeführt und dabei (unbewusst) erneuert. Von Menschen gemachte und daher änderbare Zustände werden zu Gegebenheiten erklärt, mit denen man sich abfinden muss.

Das ist doch pure Ideologie!
Okay, wir reden hier schon die ganze Zeit von „Ideologie“ – aber was meinen wir eigentlich genau damit? Wir würden sagen: Denkweisen, die auf einem falschen Verständnis der Gesellschaft aufbauen. Ideologie ist also eine allgemeine Bezeichnung für Phänomene wie Rassismus, Sexismus und Ähnliches. Also etwas, mit dem Du, wir und alle anderen Menschen Tag ein Tag aus zu tun haben. Zum Teil verinnerlichen wir ideologische Denkweisen dabei ohne es zu merken. So ist es zum Beispiel möglich, sexistische Bilder im Kopf zu haben, auch wenn man sich nicht als Sexist_in versteht.
Wir finden es lohnt sich, sich die Funktionsweisen und Ursachen von Ideologie näher anzusehen. Wer weiß, wie Ideologie funktioniert, kann sie schließlich auch besser durchschauen. Daher hier noch einige unserer Überlegungen.

Who is to blame?
In ideologischen Erklärungsmustern werden häufig Einzelne für Missstände verantwortlich gemacht, anstelle von gesellschaftlichen Strukturen. Dass wenige Menschen immer reicher und viele Menschen immer ärmer werden, soll dann z.B. nicht daran liegen, dass der Kapitalismus eine schlechte Gesellschaftsform ist, die eben genau dazu führt. Schuld sind angeblich einige wenige, die zu „gierig“ und nicht „verantwortungsvoll“ sind. Diese Sicht auf die Dinge hat eine gesellschaftsstabilisierende Wirkung: Im Großen und Ganzen sollen wir weitermachen wie bisher und bloß nicht auf den Gedanken kommen, grundlegend etwas zu ändern. Wenn es allzu offensichtlich schief läuft, wird eben der Politiker oder die Top-Managerin ausgetauscht.

„Er hat aber angefangen!“
Viele Ideologien dienen außerdem dazu, Opfer zu Tätern zu machen und Täter zu Opfern. Das ist doppelt fies. Erst werden Menschen diskriminiert, dann werden ihnen die Folgen dieser Benachteiligung auch noch selbst in die Schuhe geschoben. Dass Frauen weniger verdienen und seltener Chef werden als Männer, wird dann nicht darauf zurückgeführt, dass sie in unserer Gesellschaft diskriminiert werden, sondern darauf, dass sie angeblich nicht so gut arbeiten würden. Umgekehrt stellen sich Menschen als Opfer dar, die selbst aktiv daran beteiligt sind, andere zu diskriminieren. Wenn mal wieder eine rassistische Bürgerinitiative Angst und Schrecken unter Menschen verbreitet, die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen, berufen sie sich häufig auf ihre angeblich „berechtigten Sorgen und Ängste“. Sie tun also so, als ob sie selbst diejenigen wären, die Angst haben müssten und nicht diejenigen, die mit ihrer Hetze Angst verbreiten.

Jetzt drängt sich die Frage auf: „Aber wie kommen die Leute auf solche Ideen? Rassismus und Co. fallen ja nicht einfach vom Himmel.“ Ideologien sind jedenfalls nicht einfach Lügen, die sich irgendwelche fiesen Typen ausdenken, um uns die Wahrheit vorzuenthalten. Gründe, warum sich viele Leute für so einen Quatsch begeistern, finden sich in der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft aussieht.

Wir sind wir und wir sind die Guten!
Im Alltag stehen wir alle permanent im Wettbewerb zu Anderen. Egal ob es jetzt um das Aussehen oder um eine Wohnung geht, um eine vernünftige Ausbildungsstelle oder um das Bestehen einer Prüfung, überall werden wir bewertet. Immer heißt es, den Anforderungen zu genügen oder du hast Pech gehabt. Und genau hier versprechen Ideologien Abhilfe. Es gibt nämlich ein Element, das sie alle verbindet. Fast alle Ideologien basieren darauf, dass bestimmte Gruppen konstruiert werden. Die eigene Gruppe und die „anderen“. Selbstverständlich ist die eigene Gruppe immer die Gute. Wer ihr angehört, weiß, dass er_sie etwas wert ist. Daran kann auch der verlorene Job nichts ändern. Und wenn wir schon mal beim verlorenen Job sind: Die Aufwertung der eigenen Gruppe geht immer einher mit der Abwertung der „anderen“. Diese werden dann (fast) immer auch für diverse Probleme verantwortlich gemacht.
Ebenfalls im Zusammenhang damit hat ein Großteil der beliebten Ideologien noch was zu bieten. Sinnstiftung nämlich. Auch in diesem Fall erscheint das eigene Leben irgendwie besser, wenn man Teil eines großen Ganzen sein kann. Leistungen bringen für die Nation, Verbreitung des wahren Glaubens, Rettung der Familie, … Und auch hier gilt: Wenn was schief läuft, sind die „Anderen“ schuld. Außerdem bieten Ideologien Orientierung. Ganz banal. Sie erklären alltägliche Erfahrungen auf scheinbar schlüssige Weise. So geben sie einen gewissen Halt in einer komplizierten und verunsichernden Welt, die sich so leicht nicht verstehen lässt.

„Das ist alles?“, fragst du? „Gibt es da nicht noch weit mehr Ursachen?“ Klar, gibt es noch andere Gründe, warum Alex stolzer Deutscher ist und Claudia Homosexuelle hasst, aber diese hier scheinen zentral. Oder anders gesagt: Diese hier treffen auf fast alle Ideologien zu, so unterschiedlich sie sonst auch sind.

Was tun?
Alle Ideologien helfen Menschen dabei, sich in einer schlecht eingerichteten Welt zurecht zu finden. Dabei stehen sie eng im Zusammenhang mit unbefriedigten Bedürfnissen. Bedürfnissen nach Orientierung, nach Wertschätzung und nach Sinn im eigenen Leben. Im Kapitalismus steht es um die Befriedigung dieser Bedürfnisse schlecht. Daher tendieren viele Leute dazu, Erklärungen in Ideologien zu suchen, die ihnen zumindest ein wenig von dem versprechen, was sie sich erhoffen. Aber was soll man denn dagegen tun? Der Menschheit einfach „die ideologische Brille“ abnehmen und – schwuppdiwupp – ist alles ganz klar, funktioniert leider nicht. Wir können versuchen, Ideologien schon heute zu erkennen und zu kritisieren. Aber so etwas wie eine Ideologiefreiheit kann es erst in einer vernünftig eingerichteten Gesellschaft geben. Also in einer Gesellschaft, in der die Menschen bewusst und selbstbestimmt ihr Zusammenleben gestalten. In einer Gesellschaft, in der wir zusammen statt gegeneinander arbeiten, um die Bedürfnisse aller bestmöglich zu befriedigen. Erst einmal muss also unsere bedürfnisfeindliche Gesellschaft aka Kapitalismus weg, dann gibt es auch eine Chance, Ideologien endgültig loszuwerden. Das soll nicht heißen, dass mit der Überwindung des Kapitalismus alles gut wird. Aufklärung ist und bleibt absolut notwendig. Aber es braucht eben auch Veränderungen, die auf die Struktur der Gesellschaft abzielen. Denn so lange die Welt falsch eingerichtet ist, werden Menschen sie sich auch falsch erklären.