So der ängstlich-erstaunte Titel eines Workshops auf dem evangelischen Kirchentag. Warum sich inzwischen auch die Kirche mit dem Kampf für eine Gesellschaft auseinandersetzen muss, in der mehr möglich ist als zwischen zwei starren Geschlechterrollen zu wählen, und warum es so viele Leute gibt, die sich dagegen wehren – auch wenn es ihnen und allen anderen darin besser gehen würde.
Viele Leute haben auch heute noch ziemlich starre Vorstellungen oder sogar Vorschriften im Kopf, was eine Frau und was ein Mann ist, und wie sich diese zwei Geschlechter zu verhalten haben. Zwar hat die Ansage, dass es nicht zwei, sondern viele Geschlechter gibt, und jede_r von uns sich selbst das passende aussuchen darf, inzwischen die breite Öffentlichkeit erreicht. Das heißt jedoch nicht, dass sie schon überall selbstverständlich geworden wäre. Für viele ist das Konzept von zahlreichen, nicht natürlichen, sondern in erster Linie gesellschaftlich gemachten Geschlechtern noch neu – und ruft Verunsicherung und oft auch Abwehr hervor.
Alles anders, alles neu?
Aber fangen wir am Anfang an: Gender-Politik öffnet und erweitert das Denken über Geschlecht und ermöglicht damit mehr Freiheit für alle Menschen, vor allem denjenigen, die auf Grund ihres Geschlechts benachteiligt werden. Am Beginn stand der Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen, also gegen die vielen Verbote (z.B. wählen, studieren und arbeiten zu gehen), die allein wegen ihres Geschlechts existierten. Obgleich viele Forderungen bereits erkämpft worden sind, müssen sich noch immer Menschen gegen geschlechtsbezogene Vorurteile, Benachteiligung und Gewalt wehren. Heute werden daher zunehmend Positionen laut, die noch weiter gehen und jede Vorstellung von Geschlecht ablehnen. Sie fordern nicht nur, dass ihr biologisches Geschlecht die Menschen nicht davon abhalten darf, sich so zu kleiden, zu bewegen und zu fühlen, wie sie möchten, sondern die Kategorie „Geschlecht“ insgesamt abzuschaffen, weil man auch die wissenschaftlichen Grundlagen des biologischen Geschlechts als fragwürdig und gesellschaftlich gemacht erkannt hat.
Hierüber gibt es – auch im SaZ-Kollektiv – Debatten. Diese drehen sich aber nicht mehr um die Frage, ob starre Geschlechterrollen aufgelöst werden sollen oder nicht, sondern darum, wie konsequent die Kategorie „Geschlecht“ angegriffen werden muss. Ist es notwendig, im Sinne all derer, die sich keinem der etablierten Lager zuordnen können oder wollen, mit dem Reden über Geschlecht komplett Schluss zu machen, oder ist es realistischer und ausreichend, die Wahlmöglichkeiten zahlreicher und durchlässiger zu machen?
(K)eine Bewegung?
Ganz anders sieht es bei denen aus, die gern eine Gesellschaft hätten wie in den 50ern: klare Aufgabenverteilung und keine Verwirrung durch die Möglichkeit, anders zu sein als es das Klischee verlangt.
Die Anti-Gender-Bewegung hat verschiedene Gesichter, und sie sind allesamt hässlich.
Da wären zunächst die selbstzufriedenen alten Männer, die in ihren Kolumnen bewusst und leider nicht ohne Erfolg die Mehrheitsmeinung zu beeinflussen versuchen. Der organisierte Arm der Bewegung besteht aus einer Reihe von Gruppen und Interessenvertretungen, die sich gegen den Feminismus und seine Errungenschaften bzw. häufig noch allgemeiner gegen die Modernisierung der Gesellschaft richten. Dieses Netzwerk kann als gesellschaftliche Bewegung mit entsprechender Infrastruktur bezeichnet werden. Ihr fehlt jedoch eine gemeinsame Identität, die durch die allgemeine Ablehnung des Feminismus nur ansatzweise gegeben ist. Zudem sind die Ziele der Bewegung nicht eindeutig. Viele der Gruppen kämpfen gegen schwule und lesbische Menschen bzw. deren Gleichstellung mit der „normalen“ Bevölkerung, weil dadurch angeblich die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie bedroht sei.
Diese versuchen wiederum andere der Gruppen zu schützen. Meistens haben sie dabei jedoch ausschließlich die Rechte der Väter im Sinn, die angeblich vor Gericht benachteiligt würden. Viele dieser Aktivist_innen sind der Bewegung der Maskulinisten zuzurechnen und meist recht einfach daran zu erkennen, dass sie die erweiterten Rechte und Möglichkeiten von Frauen mit dem Quatsch-Begriff „Femokratie“, also der angeblichen existierenden Herrschaft der Frauen, belegen. Teilweise haben sie personell und inhaltlich Überschneidungen mit dem extrem rechten Milieu. Ihr Mobilisierungspotenzial ist allerdings ebenso begrenzt wie das Spektrum ihrer Aktivitäten, die sich meist auf das Rumpöbeln im Internet beschränken. Immer wieder gelingen ihnen aber auch medienwirksame Inszenierungen: wenn besorgte Eltern gegen einen progressiven Sexualkundeunterricht an Schulen demonstrieren oder aufgebrachte Konservative gegen die sogenannte Homo-Ehe auf die Straße gehen, dann steckt dahinter die Hetze dieser Gruppen.
Der häufigste Denkfehler dieser Anti-Gender-AktivistInnen ist die Übertragung der eigenen Weltsicht auf das vermeintlich feindliche Lager der Feminist_innen und Gender-Theoretiker_innen. Weil sie selbst Männer und Frauen als zwei verfeindete Lager begreifen, die gegeneinander um Zuwendung, Aufmerksamkeit und Vorrechte konkurrieren, fürchten sie sich vor den „Angriffen“ der „Femokratie“.
Dabei plant keine Feministin der Welt, alle Männer unter Zwang in rosa Tüll-Kleider zu stecken (zugegeben eine reizvolle Vorstellung), während die Maskulinisten durchaus Kleiderordnungen im Kopf haben. Stattdessen geht es darum, für Frauen, Männer und alle Geschlechter dazwischen und jenseits davon die Möglichkeit zu schaffen bzw. zu verteidigen, sich so zu verhalten, wie sie möchten.
Und davon hätten alle was: mit veränderten Strukturen in der Gesellschaft insgesamt hätten nicht zuletzt auch männlich sozialisierte Menschen viel mehr und andere Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Wenn auch Jungs nicht irgendwelchen Rollenmustern von Härte etc. entsprechen müssten, wäre sehr viel mehr Glück in der Welt. Vor allem aber müssten Menschen, deren biologisches oder gefühltes Geschlecht oder sexuelle Orientierung von der primär heterosexuell-männlichen Norm abweicht, weniger Angst haben und würden nicht mehr permanent genötigt, ihr „Anderssein“ zu erklären oder gar zu rechtfertigen.
Boys will be boys?
Zusammen bilden die Anti-Gender-Gruppen eine angeblich schweigende Mehrheit, die sich zur unterdrückten Minderheit stilisiert. In Wahrheit sind sie es, die andere zu unterdrücken versuchen, und dabei sind sie alles andere als schweigsam. Jedoch ist derzeit die Lautstärke ihres Geschreis erfreulicherweise meist größer als ihr realer gesellschaftlicher Einfluss.
Wer den Backlash gegen die Gender-Bewegung verstehen will, sollte sich allerdings nicht allein auf diese ohnehin ätzenden Typen konzentrieren, sondern auf die Frage, weshalb sie so viel Aufmerksamkeit bekommen.
Dazu ist es notwendig, grade auch mit Leuten über Geschlechterrollen zu diskutieren, die sich selbst als „unpolitisch“ begreifen. Häufig stößt man bald auf Argumente wie: „Aber wenn es unendlich viele Möglichkeiten gibt, dann sind doch alle verwirrt und das ist dann auch kein Fortschritt.“ Dahinter steckt Verunsicherung, aber auch die Verteidigung von Vorrechten, gegen die nur geduldige Aufklärung hilft. Das funktioniert am besten wenn man sich klar macht, dass viele Leute sich gar nicht bewusst oder in böser Absicht gegen die Erkenntnis wehren, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Häufig steckt hinter der Ablehnung das Bedürfnis nach Orientierung in einer komplizierten Welt, die verunsichert und mit einer eindeutigen Identität viel leichter auszuhalten ist – eben weil es dann in unzähligen Situationen viel einfacher ist, zu entscheiden, wie ich mich verhalten muss. Das ist aber kein Grund, verständnisvoll zu nicken, wenn man auf einer Party zugelabert wird, dass die klassische Familie bedroht sei, wenn auch Birgit und Ayesha gemeinsam eine gründen dürfen.
Nur getroffene Hunde bellen
Es ist zweifellos noch viel zu tun, bis die Kategorie Geschlecht durchlässig genug ist, um niemanden mehr in der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu behindern. Die Heftigkeit der Reaktionen auf die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte zeigt jedoch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Dinge sind in Bewegung gekommen, nur deshalb kreischen all diejenigen so laut, die wollen, dass alles wieder so wird wie es früher angeblich mal war.
Zum Weiterlesen:
Blog über Geschlechter-Stereotype in Videospielen und Pop-Kultur allgemein: http://feministfrequency.com
Lilly Lent / Andrea Trumann, Kritik des Staatsfeminismus. Oder: Kinder, Küche, Kapitalismus, 2015, 120 Seiten, 7,90 Euro. Klick!
Ute Planert: „Antifeminismus im Kaiserreich“. Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität, 1998, online.