Über rechte Ökonomiekritik und die Suche nach den Schuldigen
„Es ist doch nicht alles schlecht!“ Ein Satz, der ganz besonders dann nervt, wenn man etwas kritisiert hat, beschreibt recht gut die Einstellung, welche die meisten der hier lebenden Menschen zum kapitalistischen Wirtschaftssystem haben. Aus dessen Hauen und Stechen in der Konkurrenz wird der gesunde Wettbewerb, der das Geschäft belebe. Anstatt der Tatsache, dass es bei allem nur ums Geld geht, wird vom ehrlichen Handwerk, der Erfinderin mit den pfiffigen Ideen und dem Künstler, der das alles nur für die Kunst macht, erzählt. Kapitalismus, aber bitte ohne Krisen, Armut, Konkurrenz und Ausbeutung.
Oh, wie schön ist Panama
Diese „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“-Einstellung, die das Bild aufrechterhalten will, dass das hier die beste aller möglichen Welten sei, hat jedoch ein Problem: Die Realität. Ein Beispiel. Mir wurde mein Fahrrad geklaut. Für mindestens eine Woche hat das meinen Alltag bestimmt, man läuft in diesen Tagen unsicherer durch die Stadt, misstraut, hält die Tasche in der U-Bahn fester. In dieser Erfahrung steckt mehr Wahrheit über diese Gesellschaft als in jedem Sozialkunde-Schulbuch, denn hier zeigt sich die alltägliche Konkurrenz aller gegen alle, auf der unsere Gesellschaft basiert. Diese gibt es nicht zufällig und sie führt dazu, dass allgegenwärtiges Misstrauen mehr als berechtigt ist.
Die tägliche Abspaltung gib’ uns heute
Für jene, die trotzdem das große „Ja, ich will“ zu dieser Gesellschaft, zur kapitalistischen Marktwirtschaft und zum Staat aussprechen wollen, gibt es ein verlockendes Angebot. Ein Angebot, das die tägliche Erfahrung, dass das Leben nicht in der eigenen Hand liegt und dass man von Firma, Konjunktur und staatlichem Handeln bestimmt ist, ausklammert, um sagen zu können: „Eigentlich ist doch alles gut so“. Dieses Angebot besteht darin, „böse“ Menschen oder Institutionen für alle schlechten Erfahrungen verantwortlich zu machen. Und nicht das Prinzip des Wirtschaftens. Ziemlich praktisch: In vielen rechten Bewegungen werden alle Dinge, die man von der Marktwirtschaft nicht mag, abgespalten und gesagt, eigentlich wäre die eine richtig tolle Sache. Wären da eben nicht die… Die Jagd ist eröffnet!
Spaltpilz 1: Wären da nicht die Ausländer…
Die beliebteste Variante der Abspaltung ist es, das Böse außerhalb der Grenzen der „eigenen“ Nation zu verorten. Das können zum einen Arbeiter_innen sein, die in Deutschland „einfallen“ und hier die Preise kaputt machen würden. Diese Abspaltung, die von „osteuropäischen Dumping-Arbeitern“ faselt und zugleich in der „deutschen Wertarbeit“ ein deutsches Wesensmerkmal feststellt, ist auch das Revier des sogenannten völkischen Antikapitalismus: Der feiert „Völker“ und fürchtet eine „Vermischung“ dieser durch Migrationsbewegungen und „volksfremde“ Anhäufung von Geld als „arbeitsloses Einkommen“. Auf den Nenner lässt sich diese völkische Variante des „Antikapitalismus“ so bringen, dass sie gar nichts gegen Konkurrenz hat, diese sei vielmehr „gesund“. Aber all die Angewohnheiten des kapitalistischen Prinzips wie Krisen, Billiglöhne und Armut werden als eingeschleust wahrgenommen und sollen draußen gehalten werden. Tür zu, böse Seiten des Kapitalismus müssen draußen bleiben! Klingt bescheuert, ist aber so: Der Kapitalismus wird als staaten- und raumlos angesehen, der die „natürlichen“ Grenzen der Nation und der Volkswirtschaft zersetze. Das wirkt sich dann auch in der demokratischen Version in der Abschottung gegenüber Menschen aus, die aus anderen Ländern nach Deutschland zum Arbeiten kommen. Nicht, dass es keine ungleichen Lohnniveaus geben würde und viele Menschen aus anderen Ländern, die auch nur ihre Arbeitskraft verkaufen können, sich so billiger anbieten. Doch wer die Bedingungen kennt, unter denen hier die meisten Migrant_innen arbeiten, weiß, dass Profiteur_innen anders aussehen.
Nicht weit von der Vorstellung, die ausländischen Arbeitnehmer_innen würden dafür sorgen, dass ich weniger am Ausbeutungsplatz verdiene, ist das Feststellen eines ausländischen Prinzips des Wirtschaftens, welches der „deutschen Qualität“ gegenübergestellt wird. Oder man schaut in die USA und sieht da eine angeblich (noch) fremde Fixiertheit auf das schnelle Geld, während es hier um das Produzieren von Werten gehe und die „Sozialpartnerschaft“ in den Betrieben alle ein bisschen glücklicher macht.
Spaltpilz 2: Wären da nicht die Konzerne…
Diese Kritik geht oft mit der Vorstellung einher, dass kleine oder mittelständische Unternehmen gut seien, während all die Amazons, Googles, McDonald‘s „böse Kapitalisten und Ausbeuter“ darstellten. Diese würden den gewählten Volksvertreter_innen die Gesetze diktieren, interessierten sich nicht für Arbeits- und Umweltstandards und zerstörten gewachsene Strukturen vom kleinen Buchhändler und dem Restaurant, das noch auf die Zutaten achte. Diese Spielart der Kritik hat eine lange Tradition. Der Antikapitalismus von rechts verstand sich schon im 19. Jahrhundert als Verteidiger der als „gut und natürlich“ empfundenen feudalen Ordnung, gegen die Moderne und die Veränderung. Nicht, dass es keine Lobbyarbeit von Großkonzernen geben würde. Aber dass sie als heimliche Herrscher_innen das Geschick der Welt leiten würden, ist schon mal das erste Märchen, das zudem noch ein fettes Lob an Regierung und Parlament enthält. Denn diese sind keineswegs primär für das Wohl der Menschen da, sondern dafür, die Bedingungen für Investitionen zu verbessern und nur relativ dazu spielt die Herstellung der Funktionsfähigkeit der Bevölkerung eine Rolle.
Das zweite Märchen ist dann, dass kleine Betriebe mehr auf Arbeitsstandards achten würden. Dort finden sich aber häufig genug prekäre, nicht formalisierte und nicht versicherte Jobs wieder. Aber egal. Ob man im Imbiss, der von der ganzen Familie betrieben wird, oder bei McDonald‘s den Burger brät – Ausbeutung gibt es hier und da. Klar kann man dabei McDonald‘s oder Google kritisieren, aber eben nicht, weil sie als Großkonzerne angeblich an sich böse wären, sondern weil sie als Konzerne genau so zur kapitalistischen Produktionsweise gehören wie der Bäcker ums Eck.
Spaltpilz 3: Wären da nicht Banken und das Geld-/Finanzwesen…
Eine andere Spielart der alltäglichen Abspaltung im Kapitalismus stellt die Bankenkritik dar. Auch hier wird wieder ein Märchen erzählt, das von den produktiven Unternehmen, die soviel Nützliches herstellen. Dagegen: Banken, Geld, Zins, fiese Gesellen! Dabei stellt Geld nichts anderes als eine notwendige Folge der Produktion „von Nützlichem“ unter Marktbedingungen dar. Waren im Kapitalismus brauchen um tauschbar zu sein etwas Drittes, in welchem sie ihren Wert vergleichen können. Wer so das Geld – zum Beispiel in Tauschringen – ersetzen, aber sonst Marktmechanismen nicht anrühren will, ist auf dem Holzweg. Das Kapital würde sich dieses Dritte für den Vergleich automatisch neu suchen. Geld als Tauschmitteln gehört also zum Kapitalismus. Ohne Banken und ihre Kredite würde es auch alle Maschinen in den Fabriken nicht geben, für kapitalistische Unternehmen macht es keinen Sinn, das Geld, das sie für Maschinen und Arbeiter_innen brauchen, selber im Safe liegen zu haben. Dafür braucht es das Geldkapital – dieses vom guten „schaffenden“ Kapital zu scheiden, macht einmal keinen Sinn und hat zudem oft tödliche Folgen für Jüd_innen, die historisch irrtümlich vielerorts mit dem Geldwesen assoziiert wurden und werden.
Und nun?
Die Suche nach den Schuldigen ist im Kapitalismus endlos, denn es gibt sie einfach nicht. Und ist darüber hinaus saugefährlich für die, die als Schuldige ausgemacht werden. Dazu steht sie der Hoffnung, dass etwas besser wird, völlig entgegen. Was kann man aber tun? Niemand hat gesagt, es würde einfach werden: Die kapitalistische Produktionsweise, die sogenannte freie Marktwirtschaft, hat auch deswegen all ihre Krisen so gut überstanden, weil sie es geschafft hat, die ganze Welt und alle Entscheidungen darin in abstrakte Sachzwänge zu verwandeln. Alles scheint natürlich und ohne Alternative. Daran dockt dann auch die Kapitalismuskritik von rechts an. Durch die Konstruktion simpler Abspaltungen, die leichter zu vermitteln sind als notwendig kompliziertere Kapitalismuskritik, wird das Böse immer in „den Anderen” gesucht: die Ausländer_innen, die Banken, der Zins, you name it! Wer hingegen all die fürchterlichen Folgen der Marktwirtschaft wie Hunger und Verelendung nicht will, der muss schon die Grundrechenart dieser Gesellschaft abschaffen – damit aus der Menschheit noch einmal etwas Vernünftiges wird.
Zum Weiterlesen:
Merlin Wolf (Hrsg.): Irrwege der Kapitalismuskritik, 2017, 16 Euro.
Einführung in die Kapitalismuskritik der Gruppen gegen Kapital und Nation: „Die Misere hat System“
Andreas Exner, Stephanie Grohmann: „Bye bye Zinskritik… Über die Grenzen der Tauschkreise und den Unsinn der Freiwirtschaft“, erschienen in Streifzüge 33/2005
Michael Barthel, Benjamin Jung: „Völkischer Antikapitalismus. Eine Einführung in die Kapitalismuskritik von rechts“, erschienen 2013 bei Unrast, 87 Seiten, 7,80 Euro.