Interview mit K.I.Z. – „Nach dem Atomschlag wird man eventuell nicht mit einem Feigenblatt durch die Gegend hüpfen“

Wir trafen Maxim, Tarek, Nico und Sil-Yan von KIZ, um über ihr aktuelles Nummer 1-Album, das Leben nach dem Kapitalismus, nervige Interviews, Sprachpolitik und Ironie zu reden.

SaZ: In der Vorbereitung auf das Interview hatten wir uns auf ein Streitgespräch über Gewaltverherrlichung und Sexismus eingestellt. Und dann sahen wir Euer Video zu „Hurra die Welt geht unter“ und wurden erst mal so richtig sentimental. Das Video hat die ganze Sehnsucht auf ein anderes Leben aufflammen lassen, in dem niemand mehr auf Parkbänken schlafen muss, man nur drei Stunden zu arbeiten braucht, Kinder mit „Monopoly“, Konkurrenz und Geld nichts mehr anfangen können und Pässe im Feuer schmelzen, wie es im Lied heißt. Wann habt ihr diese Sehnsüchte nach dem ganz Anderen das erste Mal gespürt?

Sil-Yan: Meine Mutter kommt aus Ungarn und ich bin in Berlin geboren und hab viel Zeit in Ungarn verbracht. Ich konnte also erleben, was es heißt, wenn man nicht von einem Pass eingeschränkt wird. Wenn man das dann weiter spinnt, dass man das auf der ganzen Welt haben könnte, ist das eine schöne Vorstellung. Und wenn man dann sieht, wie die Realität ist, macht einem das schon ganz schön Angst.

Maxim: Ich hab dieses Sich-Eine-Bessere-Welt-Ausmalen eigentlich immer bescheuert gefunden, weil es erst mal überhaupt nichts damit zu tun hat, was man real erfährt. Es ist ja erst mal das Gegenteil einer Kritik, sich einfach mal was Schöneres auszudenken. Ich fand es immer sinnlos, anderen ein Paradies als Möhre mit ’ner Angel vor den Kopf zu halten. Hm, jetzt haben wir aber diesen Hit. Aber der Song ist auch eher aus dem Gedanken entstanden, dass immer wenn man eine politische Diskussion mit Leuten führt, irgendwann der Punkt kommt, dass die fragen: ‚Aber was würdest Du denn anders machen?‘ Die hören einem gar nicht zu – ‚Ich hab doch gerade das kritisiert, dann ist doch klar, was daraus folgt‘. Irgendwie war der Song so bisschen eine Antwort auf die Frage.

SaZ: Für uns ist der Song auch eher eine Kritik an den Verhältnissen mit dem Zusatz, dass das, was danach kommt, so spartanisch und komisch das teilweise ist, noch besser ist als der Horror, in dem wir jetzt leben. Eben: Hurra, DIESE Welt geht unter. Wobei die Dinge, dass da jetzt unbedingt ein McDonald’s brennen muss, dass wir alle keine Kleider mehr tragen, für unser Essen jagen und fischen sollen und ein Apfel endlich wieder wie ein Apfel schmeckt, eher komisch sind. Gerade, weil ihr ja eigentlich eine schöne Lust am Luxus für alle zeigt.

Maxim: Ich glaub, dass da jetzt dieses Urwald-feeling drin steckt, kommt daher, dass man sich diese Weltuntergangsszenarien angeguckt hat. Wo man sich immer ausmalt, wie das Ende aussehen würde und das Ende wäre natürlich immer ’ne totale Katastrophe. Deswegen muss man so krass dafür sein, wie es jetzt ist. Daher kommen die Sachen – wir stellen uns aber nicht vor, dass es besonders schön wär, die ganze Zeit draußen zu schlafen.

Nico: Und wir haben jetzt auch nicht einfach politische Themen abgehakt in dem Lied, sondern da kommen halt auch Dinge drin vor, die witzig oder Quark sind – nach dem Atomschlag wird man eventuell nicht mit einem Feigenblatt durch die Gegend hüpfen.

SaZ: Ihr sagt irgendwo, ihr wolltet auch Songs schreiben, die 14-jährige hören, die nicht auf den Klassenausflug fahren, weil die Eltern sich das nicht leisten können. Ist das Eure Realität gewesen? Und habt ihr Euch darüber auch politisiert?

Sil-Yan: Ja, das war bei mir Realität. Ich kenne es sogar, mit Hunger ins Bett zu gehen. Wurde dann besser, irgendwann war es auch so, dass, man sich die neuesten Markenturnschuhe mit Ach und Krach leisten konnte.

Maxim: Ich weiß nicht, man wollte sich halt die Welt erklären und hat sich informiert. Aber wir waren jetzt nicht in irgendwelchen Gruppen. Das hat nicht unserem Umfeld entsprochen und ich fand’s persönlich auch ganz schön anstrengend. Leute, die andere danach bewerten, welche Wörter die benutzen und sich nicht anzuschauen, was jemand genau sagt, sondern drauf zu achten, ob er das passende Vokabular benutzt. Ich hab das oft von oben herab wahrgenommen, wie viele links politisierte Leute gesprochen haben, vor allem über Leute mit weniger Bildung.

SaZ: In den letzten Jahren gibt es ja durchaus ein gewachsenes Selbstbewusstsein von Leuten in der Linken ohne Bildungsbürgerelternhaus, die keinen Bock haben auf Unikids, die das gelernte Vokabular an ihnen ausprobieren und sich geil überlegen fühlen…

Maxim: …na vor allem, ich bin ja dann auch zur Schule gegangen und dann fand ich es immer erschreckend, dass die ganzen Leute mit den schlauen Wörtern total dumme Sachen gesagt haben. Das hat mich dann viel mehr aufgeregt. Ich dachte, boah, die müssen alle voll schlau sein….

Tarek: …ja, es ist auch so komisch, wenn man den Eindruck hat, dass die einen bevormunden wollen. Ich hatte es neulich erst, ich wäre homophob und das ist einfach vollkommen lächerlich. Ich will mich vor so einem gar nicht rechtfertigen, vor irgendeinem Studenten, der mir erzählen will, dass ich was gegen Schwule habe. Wo mein Lieblingsonkel schwul ist. Auch glaube ich nicht, dass ich schon mal ’ne Frau schlecht behandelt habe oder meinte, das oder das dürfe eine Frau nicht tun. Deswegen hab ich auch überhaupt keine Lust mich mit irgendwelchen studierten Vollidioten auseinanderzusetzen, die noch nie Armut erlebt haben. Oder von Nazis gejagt oder angespuckt wurden, wenn man mit der Freundin am U-Bahnhof steht. Deswegen finde ich auch die Interviews immer so bißchen komisch, wenn gefragt wird, was meint ihr jetzt hier zur Marktwirtschaft oder so. Bei mir kommt das halt aus der Erfahrung, aus Dingen, die ich erlebt habe. Deswegen geht es in meinen lines vor allem um Rassismus, das hab ich erlebt. Ich bin da nicht so belesen. Nicht, dass Rassismus nicht jeder erkennen kann, aber wenn da jetzt ein Student kommt, der Teil der Mehrheitsgesellschaft ist, dann will ich mir nicht von dem irgendwelche Vorwürfe anhören oder will nicht von dem Rassismus erklärt bekommen. Da denk ich, halt Deine Fresse, was willst Du mir darüber erzählen!

SaZ: Aber gäbs da nicht ein Drittes? Also, wenn da jemand ankommt und sagt ‚Ich erkläre jetzt mal‘, dann ist das doch das Problem. Darauf könnte man doch antworten ‚Lass das bevormunden und erklären, aber wenn Du ein Argument hast, dann brings‘.

Maxim: Das ist abstrakt, ich finde es immer absurd, wenn Leute einem das erklären wollen.

Tarek: Es sind ja auch meist gar nicht die Linken, die einem Rassismus erklären wollen, sondern halt echt so weiße, biertrinkende Deutsche.

Maxim: Um es auf den Punkt zu bringen: Wir hatten dazu immer eine gewisse Distanz. Ich erinnere mich an Diskussionen, als ich so 17, 18 war mit so Antifa-Boys und Girls und ich meinte, dass ich irgendwo in Schöneweide war und da so Nazis waren und da hab ich mit denen halt einfach mal gequatscht, weil’s mich interessiert hat, was so ein Nazi so denkt. Und die Antifas waren kurz davor mich zu verprügeln. Das waren so Punkte, hä, gerade wenn man die Nazis als Feind ausgemacht hat, gerade dann muss man doch verstehen, was die dazu gebracht hat. Klar kann ich jemand den Stempel „Rassist“ aufdrücken, aber es ist doch viel wichtiger, zu verstehen, was dahintersteckt und was eigentlich Rassismus ist. Die Leute mit den Stempeln können es ja gar nicht richtig kritisieren, die sind nur konsequentere Verfechter des Grundgesetzes in dem Moment.

SaZ: Ihr habt ja schon nervige Interviews angesprochen: Ihr wart ja überall: taz, Faz, MoPo, Welt….

Sil-Yan: Fraztazmphrzsatzmop…

SaZ: …nervt doch langsam auch, oder?

Maxim: Ja, die ersten zwei Wochen hatten wir unfassbar viel Interviews, dieses Album wurde als sehr ernst aufgefasst und daher wurden die Gespräche dann auch sehr ernst geführt. Wir waren seit Jahren aus dieser Interview-Routine raus und auf ernste Fragen kannst du halt nicht tausendfach variieren wie bei lächerlichen Antworten und daher haben wir relativ oft gefühlt das gleiche erzählt. Man kommt sich voll bescheuert vor: Man ist ja Künstler und will was Originelles machen. Jetzt hat man was Politisches gemacht und muss plötzlich was Richtiges sagen. Nicht, dass wir da nicht auch manches Gutes gesagt hat, ach ne, eigentlich nur Perfektes! Aber es hat eher die dauernde Wiederholung genervt, nicht die Tatsache, dass es politisch ist. Aber im Grunde geht es doch um Promo.

SaZ: Echt, auch bei uns 🙁

Maxim: (lacht) Ja, auch bei euch. Ich denke ja schon, dass Straßen aus Zucker nicht wegen der unfassbar starken Auflage gewählt wurde, sondern eher aus Sympathie.

SaZ: 180.000, Alter!

Maxim: Echt? Krass, das wusste ich nicht.

SaZ. Und trotz der nervigen Promo sitzen wir hier auf ’ner Kreuzberger Terrasse und machen ein Interview. Gibt es denn noch was zu sagen?

Maxim: Ach immer. Einfach weiter Fragen stellen.

SaZ. Gut. Was uns auch bei anderen Künstlerinnen und Künstlern durch den Kopf geht: Wie verhält sich das so: Jeden Abend die gleichen Songs, aber trotzdem noch eine messsage rüber bringen wollen. Nutzt sich das nicht ab?

Maxim: Ich glaub gar nicht, dass sich das widerspricht. Live zu spielen macht halt schon auch krass Spaß.

Nico: Mal sehen, wie es uns mit den neuen Songs geht, die haben wir ja noch nicht so oft gespielt. Aber auf dem „Sexismus gegen Rechts“-Album hatten wir so ein persönliches Lied über unsere Kindheit und das live vor Leuten zu spielen ist dann natürlich schon noch was anderes. Das war dann schon ergreifend, da waren wir ehrlich berührt.

Tarek: Neulich wurden wir gefragt, welche Songs man den am liebsten spielt und ich habe eine ganz verworrene Antwort gegeben. Das ist auch schwierig. Wenn du einen Song wie „Hurensohn“ performst und weißt, viele kennen den nicht, bei einem Festival oder so, gibt dir das auch eine große Genugtuung, einfach die Leute zu provozieren. Aber der Song hat sicherlich nicht so eine lange Halbwertzeit wie „So alt“, wo man quasi sein Herz ausschüttet vor lauter fremden Leuten. Das werde ich in zehn Jahren immer noch mit Gänsehaut spielen.

SaZ: Wenn da diese Welt noch nicht untergegangen ist, wie ihr ja auf dem Album behauptet. Aber wie steht es um die Welt eigentlich. Ist alles so schlimm, dass nicht mal mehr KIZ ironische Texte machen kann, sondern ernsthaft wird?

Tarek: Ich fand die Welt immer schon fürchterlich.

Nico: Auf dem aktuellen Album findet trotzdem sehr viel Ironie statt.

Maxim: Ja und wir hatten jetzt auch nicht den Anspruch, dass die Leute jetzt aufgerüttelt werden müssen durch ein ernstes Album – von uns. Das halten wir für Blödsinn. Wir hatten das Bedürfnis, vielleicht auch den Mut, das einfach mal auszuprobieren.

Tarek: Unsere dummen Fans sind immer noch dumm und die schlauen immer noch schlau.

SaZ: Nochmal zurück, wo wir schon mal kurz waren. Wenn vorhin gesagt wurde, man hört sich von manchen die Kritik nicht an: Wer dürfte denn zum Beispiel sagen ‚Ich mag es nicht, wie in KIZ-Songs Frauen dargestellt werden‘?

Nico: Das kann jeder sagen. Jede Zeile irgendeines Albums der letzten sieben Jahre wird mal jemand beleidigt haben.

Maxim: Man beklagt sich natürlich nur da, wo es einen Rechtstitel dazu gibt. Die sagen nicht: Ich hab keinen Bock, dass mich wer unterdrückt, sondern ich wurde rassistisch beleidigt. Rassismus ist dann der Rechtstitel, mit dem die Beleidigung angegangen wird.

SaZ: Aber da gibt es doch auch kluge Kritik, die nicht auf den Rechtstitel abfährt und einfach nur sagt: „Ich hab keinen Bock auf Rassismus oder Sexismus in der Welt!“. Und dann hör ich das Wort „Hurensöhne“ oder ganz oft funktioniert die Machtgeste darüber, dass, wenn der Typ gedisst werden soll, halt „die Alte gefickt wird“…

Maxim: …es werden auch Männer gefickt. Und Männern wird vorgeworfen, dass sie keine großen Schwänze haben.

SaZ: Aber das sagt ihr doch über Euch?

Tarek: Ja, in einem Song. Wir sagen auch, dass wir alle miteinander Sex haben…

SaZ: Und wie läufts so?

Maxim: …und wir sagen noch viel mehr. Die Sache ist, wir sind halt die einzig wahren Battle-Rapper, weil wir alle platt machen.

SaZ: Aber manche Menschen werden doch von der Gesellschaft mehr platt gemacht als andere und die könnte man doch aussparen?

Maxim: Kann man, muss man aber auch nicht. Der Punkt ist der: Ich wehre mich dagegen, dass die das zur Ursache machen, dass Leute sagen: Rapper rappen über Geld und Autos und deswegen wollen alle Geld und Autos und am Ende noch den Kapitalismus. Da geh ich nicht mit. Wenn das Leute doof finden, mich nicht zu ihrer Party einladen und wir nicht beste Freunde werden – gekauft.

SaZ: Und wie geht ihr mit Leuten um, die eigene Rassismus-Erfahrungen haben und sagen, sie wollen so was nicht auch noch von Euch im Radio hören?

Maxim: Klar, kann man das doof finden. Ich würde auch nie sagen, es ist richtig klasse, Schimpfwörter zu benutzen. Gar nicht. Ich würde mir nur wirklich wünschen von Leuten, zu erkennen, was Rassismus wirklich ist und wie das mit dem Staat zusammenhängt oder unserer Art zu Wirtschaften. Und nicht zu sagen: ‚Du hast ja recht, aber mit den Wörtern kannst du das nicht sagen‘. Das finde ich den falschen Ansatz, die bleiben dabei nämlich stehen.