Interview mit Frank Spilker von den Sternen

In Hamburg ist im Laufe der letzten zwei Jahre viel passiert, vor allem über die Proteste der Lampedusa-Refugees und schließlich auch über Polizeigewalt und Gefahrenzonen wurde viel diskutiert. Wie wurde das von euch persönlich wahrgenommen, bzw. wie habt ihr euch solidarisiert?

Als Band waren wir nicht wirklich aktiv in der Zeit. Lampedusa ist natürlich ein Problem, das geht nicht nur Hamburg an, das ist ein europäisches Problem. Da sind Ideen gefragt, wie man die Leute darauf aufmerksam machen kann, was da passiert und dass es in die Medien gelangt. Selbst der Papst hat schon gesagt, dass das nicht geht, was da abgeht. Das ist ein relativer Mainstream-Protest. Ich finds trotzdem wichtig, den Leuten vor Ort zu helfen. Das muss man schon rein menschlich gesehen machen.
Es passiert aber auch viel, es gab da zum Beispiel beim Kampnagel-Sommerfestival ein Refugee Camp, bei dem sie die Flora nachgebaut haben und als vorübergehenden Wohnort deklariert haben usw.

Bei den Gefahrenzonen steigt man ja auch manchmal nicht durch. Also wir haben im Schanzenviertel diese Krawalltage, was ja früher auch in Kreuzberg war am 1. Mai. Das ist ja mittlerweile so, dass sich alle Leute entsolidarisieren mit den Randalierern, weil es so eine Eigendynamik gibt, also dass dann Leute von außerhalb kommen um das Viertel zu zerschlagen, was praktisch keinen Inhalt mehr hat. Mit diesen Gefahrenzonen ist es ein bisschen ähnlich, denn in ganz St. Pauli hast du Leute, die von außerhalb kommen und denken, sie können mal richtig die Sau raus lassen. Ich fand diesen Klobürstenprotest extrem originell, das war entlarvend für die Spießigkeit der Polizei.


Es gibt euch nun seit mehr als zwanzig Jahren, ihr habt neben Blumfeld und Tocotronic die Hamburger Schule mitgeprägt.
Was war das für euch für eine Zeit, in der ihr angefangen habt, Musik zu machen?

Zu der Zeit kam ein extremer Nationalismus auf, der mir unbekannt war und von dem man immer nur geahnt hat, dass er in nem Menschen schlummert. Man hatte die Wiedervereinigung als Gefühl dieser rechten Leute im Westen wahrgenommen, von wegen: „Wir haben gewonnen, jetzt sind wir wieder wer und jetzt dürfen wir wieder nationalistisch sein“. Und dann auch noch die Fußballweltmeisterschaft 1990. Das war die Grundlage für diese Schnauze, Deutschland-/ Halt’s Maul Deutschland! – Kolossale Jugend-Aktion, dieses T-Shirt.
Das kochte halt unwahrscheinlich hoch und man hatte das Gefühl, man muss sich irgendwie wehren oder schützen davor, weil es auch gewalttätig wird gegen Minderheiten.

Anfang der 90er, das war natürlich auch eine sehr bewegte Zeit. Punkrock, Indie, das, was man Hamburger Schule nannte, hat viele Leute mitgerissen. Ist unsere Zeit vielleicht eine Zeit, in der das abnimmt, in der diese Form von unmittelbar politischer und inhaltsvoller Musik nicht mehr so ein Bezugspunkt für junge Leute ist?

Ich bin Kind meiner Generation und stecke nicht mehr in der Szene drin. Die Bezugspunkte selbst ändern sich natürlich immer, ob es nun bestimmte Bands sind, AZs oder das Berghain. Und die Politisierung junger Menschen ist schließlich auch immer eine Frage des Antriebs. Dass man Rassismus, Ausgrenzung, Nationalismus in den 90ern so deutlich sehen konnte, das kleine Leute sich als Deutsche plötzlich ganz groß fühlten, das sorgte natürlich dafür, dass man sich auf eine ganz andere Art und Weise damit beschäftigte und damit auch Mehrheiten gewinnen konnte. Ich denke, dass die Sache mit Lampedusa auch dazu führen kann, dass junge Menschen sich politisieren, denn es ist so offensichtlich falsch und unmenschlich, dass Leute reagieren und betroffen sind.

War das dann für euch auch ein Grund, das in eure Musik mit aufzunehmen, gesellschaftskritische Texte zu schreiben und keine Liebeslieder?

In meiner Generation war es wichtig, dass man eben nicht alles so ganz deutlich sagt, sondern eher Symbole schafft, wo sich Leute anschließen können oder Platz haben für eigene Gedanken dazu, also nicht so diese „Das-ist-gut-und-das-ist-böse“-Zeigefingerlyrik.
Und das kann auch ohne Worte funktionieren, über Zeichen, Symbole, Kunst, elektronische Musik. Aber natürlich, die Art und Weise, wie ich schreibe, was wir gemacht haben, hat damit zu tun, wie wir die Welt sehen und was da an Gedanken politischer oder auch philosophischer Art stattgefunden hat. Man könnte das auch ganz anders machen, aber bei uns ist das dabei herausgekommen, diese Art zu schreiben, diese Art, die Welt zu sehen.

Unsere neue Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema Bildung. Schon in der Schule wird man darauf vorbereitet, sich zu verkaufen und in Konkurrenz zu setzen. Wie seid ihr damit umgegangen und könnt ihr jungen Menschen Strategien geben, wie man sich davon befreien kann?

Also grundsätzlich sollte man sich immer vor Augen halten, dass Schule ein Teil des Staates ist, wo Lehrer Staatsdiener sind, die Staatsinteressen verfolgen.
Ich seh das allerdings mittlerweile aus der Elternsicht, weil ich meine Kinder durch die Schule befördern durfte. Damit hab ich wohl viel mehr mitgekriegt, als zu meiner eigenen Schulzeit, wie das System funktioniert, also wie da auch sehr bewusst ausgegrenzt wird – insbesondere ausländische Schüler, die die Sprache nicht richtig beherrschen, die dann in Hamburg bis vor einigen Jahren die Möglichkeit hatten, in die Vorschule zu gehen, was nun allerdings abgeschafft wurde und man eigentlich gar nicht genau weiß, warum. Und im Endeffekt bleibt deren Integration auf der Strecke, vielleicht weil Geld gespart wird, vielleicht weil bewusst ausgegrenzt wird. Letzteres halte ich für sehr wahrscheinlich, denn man merkt überall, dass es darum geht, bestimmte Eliten zu erhalten. Hochbegabtenförderung zum Beispiel hat meist damit zu tun, dass die Eltern der Kinder bestimmten Eliten angehören. Einerseits Ausgrenzung, andererseits Elitenförderung und das hat natürlich überhaupt nichts mit Idealen wie Chancengleichheit zu tun. Andererseits ist es im Feld der Bildung ganz schwierig für eine radikale Opposition zu sagen, der ganze Staat ist scheiße und das muss alles weg, weil man das nich reformieren kann. Letztendlich bildet die Schule aus für den Wettbewerb im Kapitalismus mit Ellbogen, Selbstdarstellung und Heuchelei und wenn du dein eigenes Kind dort hast und siehst, dass es sich darin und später behaupten muss, ist es teilweise auch sinnvoll und dann muss man das irgendwie inhaltlich begleiten. Jetzt kenne ich eben auch die Lehrersicht, die teilweise Inhalte transportieren müssen, obwohl sie anderer Meinung sind und durch Verbeamtung Sachen akzeptieren müssen und nicht mitbestimmen können.

Bei Bands redet man ja gerne über Kunst und künstlerischen Anspruch aber wenig über Geld und Zahlen. Auf dem neuen Album gibt es aber auch Lieder wie „Innenstadt Illusionen“ zu dem Thema Miete und Kosten. Wie sieht das bei euch aus, könnt ihr von der Musik leben?

Der Grund, warum man wohl nicht darüber redet, ist, weil man dann solche Fragen nicht gestellt bekommt. Als würde derjenige, der soziale Schieflagen thematisiert in einer sozialen Not sein. Wir sind als Band ja recht erfolgreich. Dass das ganze Business schrumpft, geht natürlich an uns auch nicht spurlos vorbei. Mehr geht es darum, sich mal mit der Digitalisierung und den vermeintlich tollen Möglichkeiten im Internet zu beschäftigen, die aber für die Verelendung ganzer Berufszweige sorgen. Alle, die die Inhalte produzieren, sind im Arsch. Und alle, die die Kanäle in den Händen halten, verdienen sich dumm und dämlich. Mir geht es nicht darum, mich zu beschweren, dass mein persönliches Eigentum schwindet, sondern dass Journalisten und Musiker arbeitslos werden.
In Innenstadt Illusionen geht es dann darum, was die Leute mit ihrem Geld machen und dieses Geld wird eben zurzeit in Immobilien angelegt. Das ist natürlich dann ein sehr merkwürdiger Rückkopplungseffekt, wenn Leute, die sehr wenig verdienen, auch noch mit steigenden Mieten zurechtkommen müssen.

„Flucht in die Flucht“ – der Titel eures neuen Albums suggeriert erstmal Rückzug und Resignation. Rückzug ins Private als Antwort auf gesellschaftliche Missstände und dass man damit nicht mehr so gut umgehen kann?

Gibt es einen Rückzug ins Private, ich weiß es nicht. Diese Kapitulation gibt es für mich nicht so richtig, weil ich diese Biografie als Musiker habe und ein Rückzug ins Private würde bedeuten, einem anderen Beruf nachzugehen. Was ich mache, ist nicht privat sondern ne Kommunikation mit dem Außen. Es ist auch nicht wirklich das Thema der Platte, sondern geht in ästhetischer Hinsicht eher darum, diesen Ort des Realen zu verlassen in eine Art innere Welt. Flucht in die Flucht als Thema, das sind eher „ich geh in die Kneipe und schieß mich ab, weil mir der Tag auf den Sack gegangen ist“. Es geht nicht darum, Vorbild zu sein, sondern zu sagen, das gehört auch zum Leben. Es geht sehr viel um Druck, wo man den ausübt, wie man damit umgeht, wo Grenzüberschreitungen stattfinden, wo man sich wehren muss und Flucht in die Flucht ist dabei nur ein Thema von vielen.

Im Song „Wo soll ich hingehen?“ heißt es: „Wo kann ich hingehen, um ich zu sein?“ Was würdet ihr jungen Menschen antworten, wenn die den Text wortwörtlich nehmen und die Frage stellen, wo kann ich hingehen, um ich zu sein?

Als Frage kann man das durchaus wortwörtlich nehmen, ohne dass es Schaden anrichtet. Fragen zu stellen, bedeutet ja, dass es in anderen Leuten einen Gedankengang auslöst. Was ich bei diesem Stück immer dachte, ist, dass es eine Position jugendlicher Ungeduld beschreibt. Ich hoffe, dass Leute das verstehen, wenn ich der Sprecher dieses Liedes bin, obwohl es für mich mit beinah fünfzig vielleicht nicht so glaubwürdig ist, da ich mittlerweile wohl wissen sollte, wo ich hingehen soll. Aber wenn es vielleicht keinen Ort gibt, an dem man diesem Druck entkommt, dann gilt das auch für einen Fünfzigjährigen. Deshalb aber ist es als Frage formuliert, weil es jeden unterschiedlich betrifft. Also empfinde ich das überhaupt so und wenn ja, was gibt es für Alternativen für mich?

Du bist nach Hamburg gezogen, kommst nicht aus der Großstadt, wie hast du angefangen zu merken, dass es auch noch andere Sachen gibt, als mittags um zwölf zu essen, was waren für dich die Orte, wo du hingegangen bist, um ein bisschen mehr du selbst zu sein?

Das perfide ist ja auf dem Land, je kleiner der Ort, desto eher ist es so, dass der einzige Intellektuelle der Pfarrer ist. Bei uns war es eher so eine größere Kleinstadt, es gab bei Leuten Partys, wo intellektuell ein bisschen mehr passiert ist. Die sind so der Anlass gewesen. Ich war dann irgendwann in dieser Clique, die sich quasi selbst mit Kultur versorgt hat und das sind jetzt, 30 Jahre später, immer noch so komische Nerds, die da noch nich rausgekommen sind. Sie sind recht schrullig und der Rest ist in der Großstadt gelandet. Es ist schwierig, aber letztendlich hat sich Kultur oder auch so ein Geistesleben medial transportiert. Ich bin mit 17 schon in sämtliche Museen gefahren und Lesen und Musik, das geht von überall.

Wenn man aus der Provinz kommt, ist es natürlich wichtig, Leute zu finden, die einen mal mitnehmen ins Autonome Jugendzentrum, die irgendwie auch „anders“ sind.

Es ist schwer zu sagen, was aus einem geworden wäre, wenn man die Leute nicht gefunden hätte. Ja, vielleicht geht es genau darum, dass bestimmte Leute zusammen kommen. Was macht man, wenns die nicht gibt? Dann wäre man wahrscheinlich geflüchtet und hätte die ganze Welt abgesucht, um die zu finden – jedenfalls eher, als sich so komplett anzupassen. Man schaltet ja nicht komplett aus, was man so an Gedanken hat, die andere nicht sehen.

Also muss man die Unangepassten finden?

Auf jeden Fall muss man Leute finden, mit denen man auf einem Level reden kann. Dabei muss man nicht gleichgesinnt sein, man kann sich auch durchaus streiten.