Fack ju Schweinesystem

Warum Schule scheiße bleibt, auch wenn wir fürs Leben lernen (würden)
Fack ju Göthe gehört zu den erfolgreichsten in Deutschland produzierten Filmen. Eine Fortsetzung ist in Planung. Offensichtlich verhandelt er das Thema Schule auf eine Weise, die viele Menschen anspricht. Die Hauptaussage des Films: Schule hat nix mit dem Leben der Schüler_innen außerhalb davon zu tun. Das ist nämlich: Fuck you! Die Schule hingegen: Goethe! Aber ist das wirklich das Problem?

Wer unterrichtet wen?
Die Hauptperson, der Wanna-Be-Teacher Herr Müller, kommt gut an, weil er im Gegensatz zu den echten Lehrer_innen die Lebensrealität seiner Schüler_innen kennt: Die Streberreferendarin muss sich Vokabeln wie „YOLO“ in ihren Taschenkalender notieren und ist auch sonst so uncool, wie man nur sein kann. Herr Müller dagegen raucht im Hallenbad, klaut Schüler_innen ihre Pausensnacks und wird wegen seines nicht-kartoffeldeutschen Äußeren von Schüler_innen als „Bruder“ erkannt. Insoweit wird ein Problem erst mal halbwegs treffend beschrieben: Lehrer_innen in Deutschland sind in der Regel: deutsch (Pass), Mittelklasse (sozialer Background) und „weiß“ (werden in der Regel nicht rassistisch diskriminiert). Deshalb haben sie wenig Ahnung vom Alltag und den Schwierigkeiten vieler ihrer Schüler_innen.

Selber schuld?
Ganz anders beim coolen Herrn Müller. Nachdem er seine Liebe zum Lehrerberuf entdeckt hat, will er, dass sie etwas fürs Leben lernen. Und das Wichtigste, was man in der Schule lernen soll, ist: Ordne dich ein, sonst hast du ein Scheiß-Leben. Auf einer Exkursion wird den Schüler_innen an klischeetriefenden und abwertenden Beispielen gezeigt, was passiert, wenn man sich nicht in das Zwangssystem Schule einfügt.
Dazu wird eine Familie besucht, die Hartz IV bezieht. Die Lehre: Wer in der Schule nicht mitspielt, sitzt sein Leben lang vor der Glotze und weiß nichts mit sich anzufangen.
Das klingt erst mal einleuchtend, weil uns diese Begründung jeden Tag begegnet und irgendwie schlüssig erscheint: Die meisten Leute mit einem Schulabschluss kommen irgendwie über die Runden. Ganz schwer, überhaupt irgendeinen Job zu finden wird es für die, die keinen Abschluss gemacht haben. Also: selber schuld?
„Fack ju Göthe“ sagt „selber schuld“ und wiederholt damit eine gemeine Lüge. Armut und soziale Ausgrenzung sind aber nicht das Ergebnis mangelnder individueller Anstrengungen, sondern zwangsläufiger Bestandteil einer Gesellschaft, die Menschen nach ihrer Verwertbarkeit sortiert. Der Film tut so, als bekämen alle gute Jobs, wenn nur alle gut in der Schule wären. Aber nur weil mehr Schüler_innen einen guten Schulabschluss machen, heißt das ja noch lange nicht, dass auf einmal auch mehr gut bezahlte Jobs da sind. In der Konkurrenzgesellschaft heißt das allein, dass alle auf höherem Bildungsniveau gegeneinander um Ausbildungs- und Studienplätze und Jobs konkurrieren. Und diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mitkommen, noch krasser abgehängt und ausgegrenzt werden. In der aktuellen Diskussion darum, dass ein Abi heutzutage nichts mehr wert ist, weil angeblich „zu viele“ Schüler_innen eins machen, wird genau das deutlich. Es geht nicht darum, irgendwas zu lernen – es geht darum, mehr zu lernen als die anderen, weil man sich dadurch bessere Chancen erhofft.

Everybody can make it?
Gleichzeitig ist das Argument, dass Lebenschancen und Bildungsabschlüsse zusammenhängen, natürlich auch nicht ganz falsch. Während im Film aber ein schlechter Abschluss zu einem beschissenen Leben führt, ist es in der Realität umgekehrt: Die Schule ist eine Begründungsmaschine für die ungleiche Verteilung von Reichtum und Chancen in unserer Gesellschaft. Im Kapitalismus wird um alles konkurriert: Studien- und Ausbildungsplätze, Wohnungen, Jobs. Von allem muss irgendwie zu wenig da sein, damit der Laden am Laufen bleibt. Schule tut so, als wäre dieses Hauen und Stechen, diese ungleiche Verteilung, irgendwie gerecht und hätte irgendeinen Sinn. Sie vermittelt den Eindruck, als könnten wir uns selbst aussuchen, was für ein Leben wir haben wollen. Everybody can make it? In einer Gesellschaft, in der von allem zu wenig da ist, führt eifriges Fingerschnipsen und Vokabeln lernen auch nicht dazu, dass ein schönes Leben für alle möglich wird. Es heißt nur, dass ich mich noch mehr stressen muss, um dann die Hoffnung zu haben, meine Chancen auf irgendeinen Drecksjob zu erhöhen. Und garantiert ist noch nicht einmal das.

Für das schlechte Leben lernen?
Es ist natürlich Zeitverschwendung, sich mit Sachen zu beschäftigen, die keine Sau interessieren und nix mit uns zu tun haben. Leider ist es aber auch keine Lösung, wenn die Schule sich einfach stärker an der Lebensrealität orientiert, solange die so scheiße bleibt, wie sie eben ist. Goethe lesen müssen, obwohl es einen nicht interessiert? Scheiße! Lernen, wie man im Vorstellungsgespräch seinem zukünftigen Chef in den Arsch kriecht, obwohl der so ein Vollpfosten ist und der Job, den man machen soll, sinnlos und langweilig? Auch scheiße!
Sinnvolles Lernen ist nur in einer sinnvollen Gesellschaft möglich. Es darf also nicht darum gehen, die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen der schlechten Gesellschaft anzupassen, sondern die Gesellschaft den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Menschen. Also kein Herr Müller, der auch noch die 10b für das schlechte Leben zurichtet, sondern ein gutes Leben für alle.
Fack ju, Schweinesystem!

Zum Weiterlesen:
Jakob Hayner: „Der neue deutsche Volkskörper“