Sweet Talking: The toten Crackhuren im Kofferraum

The toten Crackhuren im Kofferraum (T.C.H.I.K.) Bei einem solchen Bandnamen muss eindeutig mehr dahinterstecken als Rumgeblödel und Tanzmusik. Oder vielleicht doch nicht? Was Lulu, Nura und Doreen vom Arbeiten vs. Harzen halten, wie die Tour im Vorprogramm von K.I.Z. gelaufen ist und warum sie keinen Bock mehr haben über Nazis zu reden. Hier im Interview.

Saz: Wir müssen euch ja gestehen, dass wir gerade ganz schön aufgeregt sind, mit so berühmten Leuten wie euch zu reden!
Lulu: Ach so nen quatsch, es kennen uns zwar wirklich mittlerweile viele Leute, aber ich muss immer noch zu ’nem Mindestlohn rumackern.
Saz: Na ja, bekannt zu sein bedeutet eben nicht automatisch, auch reich zu sein. Aber z.B. den Song „Ich und mein Pony“ kennen ja echt fast alle Leute.
Das ist uns klar geworden, als wir uns am Mittwoch noch mal getroffen haben und ein bisschen rein gehört haben. Deshalb wollten wir euch fragen: Warum habt ihr das zweite Album so gemacht, wie ihr es gemacht habt? Wie habt ihr euch musikalisch weiterentwickelt? Was habt ihr anders gemacht?

Lulu: Ich weiß nicht. Wir wollten uns gar nicht weiterentwickeln. Wir haben da gar nicht drüber nachgedacht, ob wir uns überhaupt entwickeln. Textlich ist das meiste ja von mir. Jetzt im Nachhinein denke ich, dass ich ein bisschen wütender war als sonst. Auf Männer allgemeinen. Es geht ja auch eigentlich nur um Männer. Ich hab mich auf jeden Fall getrennt, ich hab mich mit meinem Vater gestritten. Das sind alles Sachen, die Einfluss genommen haben. Und ich hab keine Wohnung gefunden. Deswegen war ich auch ein bisschen wütend. Aber ich hab nicht darüber nachgedacht, ob ich etwas krass anders mache als beim letzten Album. Das war eigentlich genau so unorganisiert und durcheinander wie da auch. Nur, dass wir vielleicht mehr selbst gemacht haben. Beim letzten mal war es ja so, dass wir auch ein paar Sachen von anderen genommen haben, also von anderen haben produzieren bzw. haben schreiben lassen. Das haben wir jetzt auch machen lassen aber nicht so viel.
Saz: Also war das mehr die Musik oder die Texte?
Lulu: „Geniale Asoziale“ zum Beispiel hat ein guter Freund von uns geschrieben. aber es war jetzt nicht so, dass irgendwer für uns geschrieben hat. Man merkt auch schon, dass er uns kennt. Er war auch mit uns auf Tour und hat das eben genau für uns geschrieben. Eigentlich hab ich doch immer alles alleine geschrieben. Zumindest alles, was ich alleine gesungen hab. Die Features hab ich selber schreiben lassen.
Saz: Du hast gerade den Song „Geniale Asoziale“ erwähnt. Den finden wir ziemlich cool. Wir von der Straßen-aus-Zucker-Redaktion machen uns auch immer Gedanken, wie wir so über die Runden kommen, ohne uns zu sehr mit Arbeit zu stressen. ist „Geniale Asoziale“ eure Antwort auf die Gesamtscheiße, in der wir so leben? Wie habt ihr das empfunden?
Lulu: Nun, das ist eher ein Drüber-lustig-machen. Von Künstlern wird ja immer gesagt, „Was soll`s? Ihr kriegt ja sowieso das Geld in den Arsch gesteckt! Ihr müsst ja eh nur chillen.“ Das ist so das gängige Klischee, dass man ja eigentlich nichts macht. Ab und zu schreibt man halt ein Lied, wenn man besoffen irgendwo rumliegt. Und darüber haben wir uns lustig gemacht. Das war ja tatsächlich eine Zeit lang so aber jetzt machen wir das nicht mehr.
Saz: Aber ist rumhartzen eure Antwort darauf? Du hast gerade erzählt, dass du für den Mindestlohn arbeitest. Wie macht ihr das mit Jobs und Musik?

Lulu: Ja ich arbeite für den Mindestlohn. Musik zu machen ist nun mal leider ein ziemlich teures Hobby und vor allem auch, was Zeit angeht. Du hast einfach keine Zeit, dir eine richtige feste Stelle zu suchen. Das ist einfach so, weil du flexibel sein musst und dann kriegst du halt meistens nur die Kack-Jobs. Ich bin ja eigentlich froh, dass ich auch was habe. Vor allem, dass ich was habe, von dem ich weiß, dass ich auch wieder anfangen kann, wenn ich mal einen Monat lang nicht arbeiten kann. Aber das ist eben auch das Ding, dass ich nichts verdiene.
Nura: Du arbeitest eben, um dein Hobby zu finanzieren.
Lulu: Aber harzen will ich nicht mehr. Das habe ich ein Jahr lang gemacht und es war voll anstrengend. Du wirst auch ständig kontrolliert und hast alte Männer vor der Tür, die reinkommen wollen und du sagst „Nein“ und bekommst dann 20% weniger.
Nura: Dann lieber Zeugen Jehovas, die vor der Tür stehen.
Lulu: Die nehmen mir wenigstens nicht direkt mein Geld weg. Das mit dem Hartzen war auf jeden Fall ganz schön Ass und dann bieten sie dir auch immer nur so Scheißjobs an. Wenn sie dir wenigstens eine Weiterbildung anbieten würden. Aber um eine Weiterbildung zu kriegen, musst du erst Millionen Formulare ausfüllen, auf die du gar keinen Bock hast und die du auch gar nicht verstehst und eine Job-Alternative kriegst du nicht. Nur so Beschäftigungstherapien. Deswegen hab ich gesagt, dass ich darauf scheiße, von weniger lebe und arbeiten gehe. Eigentlich ein blöder Deal.
Nura: Die suchen dir ja auch nichts Passendes. Hauptsache du machst irgendwas. Entweder du nimmst es oder du hast Pech. Also musst du es nehmen, auch wenn es gar nicht dein Ding ist.
Lulu: Also ich musste mal im Call-Center einer Krankenkasse arbeiten. Da sollte ich Eltern anrufen, deren Kinder so eine Augenarzt-Untersuchung in der Schule gemacht haben. Da musst du so was sagen wie: „Die Befunde liegen jetzt vor. Die darf ich Ihnen aber leider nicht verraten. Kommen Sie doch mal zu einem Beratungsgespräch zur Krankenkasse.“ Ich hab dann gesagt, dass ich das nicht mache. Das ist so asozial. Ich will das nicht machen. Das ist einfach Verarsche. Dann meinten die vom Amt nur wieder: „Job abgelehnt. 20% weniger. Sorry.“ Das war mir dann zu blöd.
Saz: Aber Arbeit ist ja auch nicht die tollste Lösung!
Nura: Arbeit ist nie die Lösung!
Lulu: Also ich finde arbeiten für mich schon gut. Ich mag vor allem so monotone Sachen. Einfach, weil ich da nicht nachdenken muss. Das ist für mich auch ein bisschen entspannend. Aber ich brauch das auch. Ich weiß, wenn ich zu Hause rumliege und nichts mache, dann kriege ich den Arsch auch nicht hoch, um was Nützliches zu machen. Deswegen brauch ich das Arbeitengehen schon ein bisschen, um mich vom Kopf her wach zu halten. Eigentlich würde ich auch viel lieber in der Sonne liegen und chillen aber dann werde ich wahrscheinlich für immer in der Sonne liegen und chillen. Und nichts anderes mehr machen.
Nura: Oder du wirst Prinzessin.
Lulu: Aber dann muss ich Kinder kriegen. Und dann muss ich mich bei Top Shop einkleiden lassen.
Nura: Oder du musst dich adoptieren lassen von diesem Sachsen-Anhalt-Typen.
Saz: Was für ein Sachsen-Anhalt-Typ?
Nura: Dieser Prinz Anhalt von keine Ahnung. Ich hab seit neustem einen Fernseher.
Lulu: Der alte Eklige! Ein richtig perverser alter Mann.
Nura: Der Typ macht grade irgendeine kranke Sendung mit Mädels, die Prinzessinnen werden wollen. Manche Leute kaufen sich diesen Titel und die bekommen ihn einfach geschenkt. Und als ich gestern Fernsehen geguckt habe, waren grade zwei Mädels im Finale. Und die sollten sich dann die Haare auf der einen Seite abrasieren lassen und das Emblem von Sachsen-Anhalt auf sprühen lassen. Und da war diese Lory Glory, die irgendwie krass bekannt ist und noch eine andere Alte. Und die eine hat das dann auch wirklich gemacht. Und der Knaller: In der nächsten Sendung entscheidet er erst, welche er nimmt. Und die eine so: „Nee, das mach ich nicht. So sieht eine Prinzessin nicht aus.“ Und er nur so: „Doch! So sieht für mich eine Prinzessin aus.“ Das wäre auch noch eine Möglichkeit. Ich hab die eine Seite ja schon abrasiert. Dann mach ich euch alle zu Co-Prinzessinnen. Oder wir heiraten einfach.
Lulu: Darfst du uns dann auch adoptieren? Darfst du den Titel weitergeben?
Nura: Ja ich muss mich ja dann fortpflanzen. Mit euch.
Saz: Du meinst, wenn man einmal jemanden einschleust, kann man das auch weitergeben?!
Nura: Dann wirst du auch auf coole Partys eingeladen, weil du nichts kannst.
Saz: Ihr seid ja relativ viele Leute in der Band. Wir bei der Saz-Redaktion wissen, dass das mit vielen Diskussionen verbunden ist und versuchen immer, einen Konsens zu finden. Wie läuft es bei euch mit der Entscheidungsfindung? Gibt es da klare Hierarchien oder versucht ihr, einen gemeinsamen Nenner zu finden?
Lulu: Also ich bin der Chef. Ist wirklich so. Wir haben am Anfang versucht, alles gemeinsam zu entscheiden aber es funktioniert einfach nicht. Wir haben es ein halbes Jahr lang versucht und in diesem halben Jahr haben wir wirklich nichts gemacht, weil immer irgendwer meinte: „Nee, kein Bock drauf!“. Das funktioniert einfach nicht. Jetzt bin ich halt der Chef.
Nura: Aber das funktioniert super, weil jeder die Aufgaben hat, in denen er gut ist. Stefania ist super im Organisieren, Jeanette kann sich super Choreographien ausdenken, Lulu verteilt die Aufgaben und macht selbst gar nichts.
Saz: Und was machst du, Nura?
Nura: Ich bin die Prinzessin! Nein. Ich bring immer Humor in die ganze Gruppe. Und manchmal leg ich auf. Das kann ich ganz gut. Aber es klappt voll gut so. Wir sind ein gutes Team.
Saz: Ihr hattet also am Anfang den Anspruch, im Konsens zu entscheiden und habt das dann aufgegeben?
Lulu: Am Anfang waren wir eben auch 16 Leute. Die Mädels kamen aus allen Schichten und aus allen Ecken. Jedes Mädchen, das wir auf der Straße getroffen haben, war automatisch in der Band. Deswegen hatten wir alle nie die gleichen Interessen. Es ist jetzt immer noch schwierig. Wir würden nie auf den Punkt kommen. Wir hätten kein einziges Lied auf der scheiß CD, wenn nicht irgendwer mal entscheiden würde, wie wir was machen.
Nura: Es gibt immer eine, die einen Song total toll findet und eine andere mag ihn eben nicht. So läuft das immer. Doreen hat dann irgendwelche Lieblingslieder, die ich nicht so toll finde und ich hab dann andere Lieblingslieder.
Saz: Und kann eine Person sagen: „Das finde ich jetzt scheiße. Da mach ich nicht mit.“? Gibt es die Möglichkeit?
Lulu: Also es gibt ein Lied, das Doreen total scheiße findet, bei dem ich sie nicht zwinge, mitzutanzen. Aber sonst finde ich das auch doof, so was zu machen. So eine Ausrede lasse ich eigentlich nicht gelten. Das Gute ist auch: Je öfter man den Blödsinn hört, desto eher gewöhnt man sich dran oder findet etwas auch gut. Kennt ihr die Band Anajo? Die machen so ganz langweilige Bla-Bla-Akustik-Scheiße. Aber ich hab’s mir ein paar mal angehört und dann war’s auch okay. Dann war ich auch Fan und hab die Texte mitgesungen. Ich bin da leicht zu kriegen.
Saz: Ihr habt gerade gesagt, dass ihr am Anfang 16 Leute ward. Wie seid ihr dann geschrumpft?
Lulu: Ach die sind alle von alleine gegangen. Das ging auch relativ schnell. Den meisten war es einfach zu anstrengend. Viele der Mädels wollten auch selbst gerne im Mittelpunkt stehen und sich das Rampenlicht teilen zu müssen, war für viele nicht cool.
Saz: Seid ihr vorsätzlich eine Mädchen-Band?
Lulu: Auf jeden Fall. Wir wollten ja eigentlich wie die Pussycat Dolls sein. Nur in normal. Als normale Menschen mit normalen Pickeln und normalen Arschgrößen.
Saz: Waren die Pussycat Dolls auch so viele?
Lulu: Die waren auch sieben, glaube ich.
Saz: Es ist ja auffällig, dass ihr nur Frauen in der Band seid. Bis auf drei Musiker. Ihr werdet deshalb auch als Riot-Girl-Band dargestellt.
Lulu: Ich glaube das haben wir einfach selbst geschrieben und irgendwann haben es einfach alle übernommen. Das ist das Geile. Du kannst über deine Band eigentlich alles schreiben, was du möchtest. Es gibt immer so viel faule Journalisten, die das einfach nachschreiben.
Nura: Das war bestimmt deine Mama.
Saz: Gleichzeitig habt ihr aber mal in der Märkischen Allgemeinen gesagt, dass es bei euch vor allem darum gehen würde, Boys kennen zu lernen und Bier zu schnorren. Geht es euch wirklich nur darum?
Lulu: So hat ja eigentlich alles angefangen. Deswegen haben wir uns ja gegründet. Jedes Mädchen steht auf so süße Rockstar-Boys. Und wir eben auch. Und wir wollten uns die eben klarmachen. Ich hab mich nicht damit zufrieden gegeben, einfach schreiend vor der Bühne zu stehen. Ich wollte dann schon richtig in den Backstage und alles mal abchecken. Aber ich wollte auch nicht einfach nur gevögelt werden. So Groupie-mäßig wollte ich auch nicht sein. Ich wollte cool dazugehören. Und nicht einfach nur die Beine breit machen. Dann musst du einfach eine Band gründen. Jedes Mädchen, das sonst in den Backstage kommt, muss eigentlich ran. Das ist gängig so.
Nura: Jetzt läuft es andersrum. Wie ist noch mal das Sprichwort mit dem Hasen? Jetzt läuft der Hase andersrum?! Irgendwas mit dem Hasen war das doch. So läuft der Hase jetzt? Der Hase läuft auf jeden Fall. Wir teilen auch immer fair auf. Jede mindestens fünf. Unter sechs nicht.
Saz: Ihr ward ja auch mit K.I.Z. auf Tour. Die haben oftmals krass sexistische Texte. Es hat den Anschein, dass das Publikum die Ironie, die dahinter steckt, nicht versteht. Wie habt ihr das empfunden, als ihr mit Ihnen auf Tour wart?
Lulu: Naja du kannst dir deine Fans eben nicht aussuchen. Es gibt immer ein paar Pleppos. Dagegen kannst du nichts machen. So ist das natürlich auch bei K.I.Z., weil sie eben mit vielen Klischees spielen. Und es gibt einfach zu viele dumme Menschen. Denen kannst du ja nicht verbieten, auf’s Konzert zu gehen. Als Mädchen-Band war es schon schwierig. Aber das war eigentlich auch klar. Wir wussten, was auf uns zukommt. Das erste, was wir auf der Bühne hörten, war „Ausziehen!“. Damit rechnest du halt. Das ist schon lange her aber am ersten Abend hab ich auf jeden Fall geweint, das weiß ich noch. Mit dem Hass, der uns da entgegen geschlagen ist, habe ich dann doch nicht gerechnet. Wir wurden bespuckt, es sind Bier-Becher geflogen. Aber auch Geld. Nicht, weil sie uns bezahlen wollten, sondern weil sie uns wehtun wollten. Es gab nichts Hartes und auch nur Plastik-Becher, deswegen haben sie Geld geworfen. Das war richtig hart. Ich habe mich am nächsten Tag fast nicht auf die Bühne getraut. Aber ich musste ja dann. Das hat echt Überwindung gekostet.
Saz: Wie seid ihr damit umgegangen?
Lulu: Wir haben Schnaps getrunken und dann ging’s wieder. Was willst du machen? Du kannst ja nicht einfach nach Hause fahren. Dann wäre ich ja voll die Lusche. Ich weiß noch, dass Tarek von K.I.Z. oben saß und meinte: „Das ist so assi, was da draußen abgeht.“. Ich glaube er hat sich auch ein bisschen geschämt. Das ist halt nicht nur bei Hip Hop so. Das ist allgemein so. Wenn du auf Fritz im Radio läufst, dann hören dich eben viele Leute und dann ziehst du alle Sorten von Menschen an. Da sind dann auch so Dorf-Prolls dabei, die sich eigentlich lieber kloppen wollten.
Saz: Seid ihr mittlerweile gewappnet, falls so was noch mal passieren sollte?
Lulu: Ja. Ich glaube, ich würde das nicht mehr so sehr an mich rankommen lassen. Wir können ganz gut damit umgehen, wenn uns jemand scheiße findet. Was relativ oft passiert. Das ist schon okay.
Nura: Immer mit Humor nehmen! Und einfach sagen: „Jetzt kommt noch ein Song!“.
Lulu: Ich finde ja auch viele Bands scheiße. Denen würde ich das auch gerne sagen.
Saz: Euch wird in dem Kontext ja auch häufig vorgeworfen, ihr würdet Männerphantasien bedienen. Ihr hättet ja auch die Möglichkeit, in euren Texten und auf Konzerten auf solche Vorfälle zu reagieren
Lulu: Wir wollen nicht immer mit dem Zeigefinger rumrennen, ich fühle mich einfach nicht dafür verantwortlich, die Leute darauf hinzuweisen, dass das jetzt Scheiße ist. Wenn ich die doof finde, gehe ich weg, und dann ist gut. Wenn ein Typ dir blöd kommt, und du gibst ihm zu verstehen, dass er sich gerade einfach nur lächerlich macht, ist das doch am effektivsten.
Saz: Der Themenschwerpunkt der SAZ ist ja gerade Rassismus. In der letzten Woche waren wir viel in Marzahn-Hellersdorf, um uns solidarisch mit den Flüchtlingen, die dort in einem Heim untergebracht werden sollen, zu zeigen. Ist Rassismus für euch ein Thema, mit dem ihr euch beschäftigt?
Lulu: Das Thema begleitet uns ständig. Wenn Nura mit uns zu Konzerten fährt machen wir uns jedes Mal Gedanken drüber. Es ist natürlich ’n großer Unterschied, ob wir in einem linken Jugendzentrum spielen oder auf irgendeinem Stadtfest, zu dem dann jeder Dödel kommen kann. Da ist die Wahrscheinlichkeit dann schon sehr groß, dass Nazis auf der Matte stehen und was Dummes sagen.
Nura: Wenn dann irgendein Idiot in der ersten Reihe steht und durch blödes Glotzen verunsichern will, dann kontern wir das, in dem wir versuchen, einfach noch mehr Spaß zu haben.
Lulu: Dadurch, dass wir kein Lied haben, in dem so klar gesagt wird, „Nazis sind Scheiße“ kommen eben manchmal auch Freiwild-Fans und solche Leute auf unsere Konzerte. Die denken dann, wir wären gar nicht politisch, einfach weil sie sich nicht mit uns beschäftigt haben. Wir finden es so selbstverständlich gegen Nazis zu sein, dass wir das nicht permanent betonen müssen. Wir hatten bei manchen Konzerten schon Zwischenfälle mit Rassisten, denen wir dann auch deutlich unsere Meinung gesagt haben – einmal bin ich im Streit mit einem rassistischen Hausmeister vor lauter Wut die Treppe runter gefallen.
Saz: Das heißt, dass ihr Konfrontationen schon nicht aus dem Weg geht.
Lulu: Nein, wenn ich was mitkriege, dann schreite ich auf jeden Fall ein. Ich bin zwar keine, die dann gleich ihre Fäuste schwingt, da ich da realistisch gesehen eher den kürzeren Ziehen würde, aber wenn ich was Scheiße finde, dann sage ich das auch.
Saz: Nura, du hast ja vorhin gesagt, dass deine Strategie im Umgang mit dummer Anmache ist, dass du dann einfach noch wilder drauf losspielst.
Nura: Was sollte ich sonst machen? Wenn ich rumheulen würde, würde mir das nix bringen. Aber es gab schon Momente, in denen ich in den Backstage gegangen bin und mich dann bei den anderen ausgekotzt habe. In solchen Momenten sind dann die anderen aus der Band da.
Lulu: Schweiz war auch krass, weißt du noch?
Nura: Ja, da wurden wir aber alle rassistisch angemacht. Stefania sieht z.B. auch südländisch aus, wir sehen ja alle nicht so deutsch aus. Wir unter uns machen manchmal Witze, z.B. über die Brille von Christin. Aber wir kennen uns alle gut und wollen uns nicht mit irgend welchen Sachen verletzen. Du musst halt aufpassen, dass die Leute nicht denken, sie könnten das mit dir machen. Die anderen sind bei uns in der Band immer da. Wenn irgend etwas ist, gehe ich immer sofort zu den anderen, und sage, Hey, der hat das und das gerufen, und dann gehen wir gemeinsam los (lacht).
Lulu: Dann ziehen wir unsere roten Jacken an und dann geht’s ab, Baseballschläger! Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, das ist so ’nen Männerding, weil sie nicht wissen, wie sie die Frau anmachen sollen. Dann suchen sie sich was möglichst doofes raus. Männer denken ja eh immer wenn sie betrunken sind, dass sie einen beleidigen müssen und Frauen das dann geil finden würden.
Saz: unsere letzte Frage: in dem Video zu Klaus…
Lulu: ach, alles klar…
Saz: flüchtet ihr vor einem Kaugummi und rennt auf der Flucht durch die Stelen des Holocaust-Mahnmals. Ihr kontextualisiert das nicht, sondern nehmt nur die Stelen als Kulisse. Wir waren davon etwas irritiert. Findet ihr das Setting nicht etwas unpassend?
Lulu: wir haben da jetzt schon oft etwas dazu gesagt. Wir haben auch echt überlegt, ob wir das machen können, es gibt dazu ein Interview in der Berliner Zeitung mit dem Architekten. Er ist auch der Meinung, dass es ja ein Mahnmal sei. Da wird ja nicht aktuell getrauert, sondern man soll sich da erinnern, man soll da auch spielen und es ganz normal in seinen Alltag mit einbeziehen. Eigentlich ging es uns hauptsächlich um die Architektur, das triste und graue darzustellen, eigentlich ging es uns gar nicht um die Bedeutung. Gegenfrage: Findet ihr es nicht ok?
Saz: Wir finden grundsätzlich die Art des aktuellen Mahnmals nicht gut. Weil es eben die Möglichkeit gibt, dass man da so lustig drauf rumhüpfen kann. Und die ganze Mahnmalbauerei in Deutschland folgt aus unsere Sicht eben der Devise: wir bauen einfach ein Mahnmal, und dann ist die ganze Geschichte erledigt. Und wir denken, dass man das Klaus-Video, wenn man die Stelen darin erkennt, nicht schauen kann, ohne an den Holocaust zu denken. Eben weil das Mahnmal ja doch für etwas steht.
Doreen: Es hat halt einfach gut gepasst vom optischen.
Nura: Es sollte gar nicht respektlos gemeint sein.
Saz: Wie geht es jetzt – nachdem ihr letztes Jahr beim Bundesvision Song Contest aufgetreten seid – weiter bei euch?
Lulu: Eigentlich wollten wir den gewinnen und danach zum Eurovision. Aber dann gewinnen wir halt was anderes. Ganz viel gewinnen steht auf dem Plan, egal was!