„Ich wollte trotzdem kritisch und subversiv bleiben“

Straßen aus Zucker sprach mit Pyro One über sein neues Album, politischen vs. klassischen Rap und die Schönheit utopischer Blasen. Enjoy!

Saz: Am 22. November ist dein neues Album „Ausgezogen aus Nimmerland“ erschienen. Vielleicht hast du Lust, kurz zu erzählen, was dieses Album von deinen anderen unterscheidet? Was war beim Entstehungsprozess anders?

Pyro: Was die Leute angeht, die daran mitgearbeitet haben, hat sich nicht viel geändert. Ich mache das immer mit Leiji zusammen. Er produziert zusammen mit Beat 2.0 fast hundert Prozent meiner Sachen und macht auch meine Artwork. Was dieses Mal vielleicht ein bisschen anders war, war, dass ich die beiden mit einem textlichen Pamphlet genervt habe. Wir haben bisher zwei Alben und dazwischen noch einige Sachen gemacht. Ich wollte einmal Bilanz ziehen, was wir gemacht haben, was gut lief und wo es vielleicht eine Baustelle gibt, an der wir nochmal arbeiten müssen. Zum Beispiel ist es bei mir oft so, dass mir Leute sagen, dass sie das live total gut finden, was für mich ja gut ist. Aber ich merk, dass es bei den Platten immer so eine Diskrepanz zu den Live-Geschichten gibt. Ich wollte also versuchen, beim Schreiben der Songs ein bisschen klarer zu werden, sodass es wirklich nur ein Thema oder eine Emotion pro Song gibt und das Ganze nicht so kryptisch ist. Wir haben uns auch ein neues Mic besorgt, damit die Stimme besser raus kommt. Und dann haben wir eigentlich wie immer losgelegt. Der Anfang ist immer, dass ich dem Ganzen so einen Überbegriff gebe. In diesem Fall war es Nimmerland.

Saz: Auf deinem Debütalbum „Tränen eines Harlekins“ finden sich unter anderem Tracks wie „Feuer“, die sehr wütend wirken. Dein aktuelles Video zu „Deplatzierte Glückskinder“ kommt hingegen weit weniger zornig daher. Würdest du sagen, dass du „braver“geworden bist?

Pyro: Nö. Das ist so eine Sache: „Krawall“ ist beispielsweise ein Song, der mir ein bisschen hinterher läuft. Wenn ich live spiele und sage, dass ich gerne ein paar neue Sachen spielen würde, kommt sofort: „Krawall“. Aber ich bin eben keine Jukebox. Und ein paar Themen bleiben zwar relevant aber sie erschöpfen sich. Ich kann nicht jedes Mal einen Song machen, in dem Bullengewalt thematisiert wird. Also ich könnte schon aber das wäre auf Dauer nicht so spannend. Und es war schon ein Ansatz, das Album nicht braver aber zumindest einen Tick eingängiger zu machen. Dass man die Botschaften eher so in den Subtext packt und dass es die Leute nicht so abschreckt, weil sofort der Extremismus-Stempel auf die Sachen kommt. Ich wollte aber trotzdem kritisch und subversiv bleiben aber die Leute sollen es hören und verstehen können, ohne eine linke Sozialisation hinter sich zu haben.

Saz: Was hat dich während der Arbeit an dem Album inspiriert oder beschäftigt?

Pyro: Hauptsächlich meine Biographie. Die Tatsache, dass ich jetzt in der Lohnarbeit angekommen bin. Dass ich jetzt auf einer vollen Stelle arbeite und dass es daher immer ein Jonglieren ist zwischen Zeit, die man für die Subkultur und die Musik hat und Zeit, die einfach für den Lohnerwerb draufgeht. Und dazwischen gefangen zu sein. Eine andere Überlegung ist, was übrig geblieben ist, von dem, was man sich vielleicht ganz am Anfang vorgestellt hat. Also vor dem Studium, nachdem man aus der Schule raus war oder sogar noch während der Schulzeit. Welche Ideen man hatte, wie man später mal sein Leben bestreiten wollte. Das alles kreist über diesem Nimmerland-Thema. Es hat sich viel bei mir geändert aber ich bin cool damit und kann auch durchaus mit der Arbeit umgehen. Aber natürlich hab ich auch Bock, die Musik zu machen und dafür Zeit zu finden. Das beißt sich ganz oft.

Saz: Hat Rappen für dich auch etwas Politisches?

Pyro: Ja, eindeutig. Rap-Musik war schon immer politisch und wurde ganz lange in der Öffentlichkeit als nicht-politisch wahrgenommen. Und dann lag der Fokus immer auf diesem unpolitischen, konventionellen Kram. Aber es gab ja schon immer politische Rapper und Rapperinnen, bei denen nicht nur die Sprache und die Musik, sondern auch inhaltliche Texte eine Rolle gespielt haben. Rappen ist auch ein einfaches Instrument, weil du dafür erstmal nichts brauchst, du musst keine Anschaffungen machen und brauchst auch kein Instrument lernen.

Saz: Wir bei Straßen aus Zucker haben uns in unserer aktuellen Ausgabe mit der jüngeren Geschichte des Rassismus in Deutschland und seinen verschiedenen Erscheinungsformen auseinandergesetzt. Ist das ein Thema, das dich beschäftigt?

Pyro: Auf jeden Fall. Ich würde sogar sagen Rassismus sowie alle Formen von Diskriminierung. Ich arbeite mit Kindern in Hohenschönhausen, die eher deutsch sozialisiert sind. Aber auf Grund ihrer Familienhintergründe sind sie total benachteiligt und in allem, was später auf sie zukommt, haben sie denkbar schlechte Startchancen. Rassismus und andere Formen von Ausgrenzung begegnen mir auch in meinem Alltag. Wir haben mit TickTick Boom viele Sachen für das Flüchtlingscamp am O-Platz gemacht und haben, wenn wir über die Soli-Zwecke bei Konzerten selbst entscheiden durften, immer versucht, es dorthin zu spenden. Da passiert gerade ganz viel, was unbedingt zu unterstützen ist.

Saz: Du hast gerade schon TickTick Boom angesprochen. Du bist ja auch ein Teil dieses Zusammenschlusses. Ihr habt letztes Jahr eine Zecken-Rap-Gala in Berlin und Hamburg organisiert, habt im Sommer auf der Fusion gespielt und du hast vor einiger Zeit ein Video veröffentlicht, das sich auch auf TickTick Boom bezieht. Wie ist da der derzeitige Stand? Was habt ihr für die Zukunft geplant?

Pyro: Es gibt im Januar und Februar wieder jeweils eine Zecken-Rap-Gala in Hamburg und Berlin. Und wir haben uns entschieden, dass wir den Begriff Zecken-Rap-Gala nur für diese zwei Abende benutzen, weil diese von uns organisiert sind. Bei den anderen Shows ist es eine normale Gig-Anfrage. Und am 16. Januar kommt dann das TickTick Boom Album. Es wird eng aber das sollte stehen. Daran wird gerade fleißig gestrickt.

Saz: Für dein neues Album hast du mit einigen Künstler_innen zusammengearbeitet z.B. den Kaputt Krauts und Kobito. Gibt es Artists, mit denen du unbedingt mal zusammenarbeiten möchtest?

Pyro: Es gibt jetzt niemanden, den ich auf einem Zettel habe, mit dem ich unbedingt was machen müsste. Im Deutschrap gibt es natürlich ein paar, auch aus dem konventionellen Bereich, bei denen ich jetzt nicht traurig wäre, wenn es eine Möglichkeit zur Zusammenarbeit geben würde. Aber ich weiß, dass das meistens ziemlich unrealistisch ist. Viele brauche ich gar nicht anfragen, weil wir dafür einfach zu klein sind. Und natürlich gibt es auch bei den Amis Leute, mit denen ich auf jeden Fall arbeiten würde. Das wäre dann aber der normale Musikbetrieb, was bedeutet, man müsste Features einkaufen und so einen Quatsch. Daran habe ich überhaupt kein Interesse. In der Regel möchte ich die Leute, mit denen ich zusammenarbeite auch ein bisschen kennen. Da besteht dann neben der musikalischen auch eine menschliche Sympathie. Deswegen sind die Features und Zusammenarbeiten bisher immer aus dem gleichen Dunstkreis entstanden und damit bin ich auch völlig zufrieden.

Saz: Stell dir folgendes Szenario vor: Am Abend spielst du noch auf einem TickTickBoom Konzert und am nächsten Tag wird neben Dir in der U-Bahn eine Person homophob oder rassistisch beleidigt. Ist es nicht sehr ernüchternd zu merken,dass die Utopie, die Du dir mit deinen Freund_innen aufbaust, nicht die Realität ist? Wie gehst du damit um?

Pyro: Das ist ja die Funktion einer Utopie. Ich glaube man muss auch so realistisch sein, um sich davon nicht kaputt machen zu lassen. Natürlich haben wir oder habe ich nur kleine Wirkungskreise aber die Antwort darauf, dass eine Utopie eben nicht die Realität ist, kann ja nicht sein, es sein zu lassen. Man kann nur immer wieder probieren, darauf aufmerksam zu machen, Leute anzustupsen und ein Bewusstsein zu schaffen. Da geht es auch darum, dass ich in der Bahn meine Klappe aufreißen würde. Das hat aber nichts mit mir als Künstler zu tun, sondern mit mir als Mensch, weil es einfach meine Überzeugung ist. Und wenn Leute zum Beispiel über die Musik Anhaltspunkte finden, sich mit Themen tiefer gehend auseinanderzusetzen, dann ist ja schon mal ein bisschen was gemacht. Das geht auf vielen unterschiedlichen Gebieten. Das kann Musik, eine Demo oder eine Zeitung sein. Also das ist nicht unbedingt ernüchternd, weil man es eigentlich schon weiß. Ich erwarte jetzt nicht, dass sich alle gegen Nazis engagieren, wenn ein Song gemacht wird, der die Naziproblematik thematisiert.

Saz: Du befindest dich eben immer in so einer Blase, wenn du nur mit deinen Leuten unterwegs bist.

Pyro: Und deswegen ist es so schön, dass es diese Blasen gibt. Ich finde das, was wir bei TickTick Boom machen musikalisch uneingeschränkt vorzeigbar und das basiert vor allem auf freundschaftlicher Ebene. Wir sehen uns in verschiedenen Konstellationen öfter mal. Die Fusion war für mich dieses Jahr beispielsweise Urlaub und Musik in einem. Alle TickTick boom-Leute geballt auf einem Haufen ist natürlich richtig schön.

Saz: Gerade im Hip-Hop Bereich spielen Homophobie und Sexismus immer noch eine große Rolle. Wie kannst du dich innerhalb der Szene davon distanzieren? Hörst du nur politisch korrekte Musik?

Pyro: Nein, weil ich neben meinem politischen Bewusstsein auch eine musikalische Sozialisation habe und die hat über klassischen Ami-Hip-Hop und Deutsch-Rap-Klassiker stattgefunden. Deswegen höre ich mir auch konventionellen Rap an. Und da passieren auch spannende Sachen. Es gibt da durchaus bekannte Leute, die nicht uneingeschränkt vertretbar sind. Das ist ganz oft so, dass ich die Platten höre und denke, dass die eigentlich ganz gut ist und dann gibt es einen Song oder einen Part, bei dem ich denke: „Och nee, scheiße! Geht nicht klar!“. Dann kommt eben eine Sache, die mich den Künstler oder die Künstlerin nicht für voll nehmen lässt. Ich habe Interesse an diesem ganzen Rap-Kram und den Battle-Geschichten. Aber ich steige aus, wenn es auf so eine gewisse Ebene geht, auf der sich dann nur noch über die Mutter des jeweils anderen ausgelassen wird. Da kriege ich dann zu viel. Und meine Abgrenzung ist im Prinzip die, dass es wenige Überschneidungen zu diesem Bereich gibt. Sollte es dann zu Anfragen aus diesem Bereich kommen, muss ich mir überlegen, ob das für mich klar geht und wenn es nicht klar geht, sage ich eben ab. Das ist bei Konzerten noch einfacher. Bei irgendwelchen Mediengeschichten wie Platten-Besprechungen oder dem Zeigen von Videos ist es dann schon schwieriger, weil es ja auch unser Anliegen ist, in den Bereich einzuwirken. Ganz viele Leute, die auch Hip Hop hören, haben vielleicht gar nicht die Chance, das breite Spektrum kennenzulernen, weil die Medien so eindimensional berichten und nur den klassischen Kram zeigen. Und dann finde ich es schon okay, wenn mein Video unter einem Kollegah-Video auftauchen würde. Ich hätte damit keine Schwierigkeiten. Aber es ist halt schade, dass der Fokus fast nicht da ist. Deswegen ist es gut, dass wir uns so abgrenzen und im Endeffekt entscheiden wie man etwas machen will und mit wem.

Saz: Gibt es noch etwas, das du loswerden willst?

Pyro: Platte checken! Natürlich freut es mich, wenn die gehört wird.