Ein Interview mit einem Gründungsmitglied der Antifa Gençlik
1987 gründete sich in Berlin die Antifascist Gençlik (Jugendantifa), eine Gruppe, in der sich vorrangig Migrant_innen organisierten, um den Rassismus in Deutschland zu bekämpfen und sich selbst vor Übergriffen zu schützen. Nachdem 1992 der Neonazi Gerhard Kaindl, Landesschriftführer der Deutschen Liga für Volk und Heimat, durch eine Messerattacke starb, geriet die schon vorher stark unter Repression stehende Gruppe ins Fadenkreuz des Staates und wurde zerschlagen. Wer Kaindl erstochen hat, wurde nie geklärt. Wir sprachen mit Ercan über die Motive zur Gründung der Gruppe und die Möglichkeiten, den rassistischen Zuständen etwas entgegenzusetzen.
SaZ: Wie entstand die Antifa Gençlik?
Ercan: Ich war seit dem Länderspiel gegen die Türkei 1983* in der Antifa Westberlin und später beim Antifa-Infoblatt organisiert. Ende der 80er Jahre versuchten wir dann eine Antifa-Bewegung im Berliner Bezirk Kreuzberg aufzubauen. Wichtig war vor allem der Moment, als sich Faschisten zum 100-jährigen Hitler- Geburtstag groß angekündigt hatten. Migranten wollten deswegen zur Sicherheit an dem Tag ihre Kinder nicht zur Schule lassen. Da sagten wir: Das geht so nicht, wir müssen unsere Räume verteidigen.
Ich hatte in der Türkei damit schon Erfahrungen gesammelt, wir mussten im Kampf gegen die faschistische Gruppe „Graue Wölfe“ unsere Straße, den Stadtteil, die Stadt verteidigen, sodass wir beschlossen haben: Wir besetzen Kreuzberg. Viele beteiligten sich und da haben wir gesehen, wie groß das Potential gerade unter Jugendlichen war.
Wie sah die Bedrohung durch Rechte in Kreuzberg aus, gegen die ihr Euch organisiert habt?
Die Gefahr bestand vor allem durch die Republikaner, die Polizei-Partei, wie wir sie nannten, weil Polizisten überdurchschnittlich in der Partei vertreten waren und auch der damalige Berliner Vorsitzende Polizist war. Die haben damals die Themen der Faschisten wieder aufgegriffen und in die Gesellschaft gebracht. Aber es gab auch immer wieder Rumgegröle gegen Migranten, Schmierereien im Bezirk. Durch Vernetzung mit anderen Gruppen in Nürnberg, Köln, Hamburg usw. haben wir dann auch Gewalttaten mitbekommen, von Jagden auf „Ausländer“, mit denen wir hier in Berlin vor 1990 noch nicht konfrontiert waren. Aber die Wahlerfolge der Republikaner haben vor allem das Gefühl bei mir und bei uns verursacht: Du bist hier nicht gewollt. Damals 5 Millionen Menschen sollten sich ungewollt fühlen. Das verstärkte sich dann nach dem Mauerfall. Die „das-Boot-ist-voll“-Debatten zeigten, dass auch „Intellektuelle“ meinten: Wir wollen euch nicht hier! Und unser: „Nein, wir wollen bleiben“, hat auch Ebenen von Wut und Gewalt hervorgebracht, weil es andere Handlungsmöglichkeiten ja nicht gab.
Aber warum nicht in die Antifa Westberlin gehen und dagegen gemeinsam angehen, warum habt ihr eine neue Gruppe gegründet?
Es gab da so einen Fall in einem Gespräch in einer WG. Da meinte ein Genosse: „Wir brauchen eure Wut und euren Mut und ihr unsere Klugheit“. Da sagt dir jemand ins Gesicht: Du bist dumm. Ich bin Linker, der ist Linker und dann sowas. Da gab es dann auch Diskussionen in der nicht-migrantischen Linken, ob es nicht doch sowas wie „Rasse“ gebe. Da dachten wir: Seid ihr bescheuert? Und auch beim gemeinsamen Handeln, beim Demo-Organisieren usw. zeigte sich eine Arroganz uns gegenüber. Da machte es Sinn, sich neu zu organisieren.
Gab es da Reaktionen von nicht-migrantischen Linken?
Ja, es sind auch einige zur Antifa Gençlik gekommen, die nichts mit diesem Rassismus zu tun haben wollten. Später hat auch die Person, die diese Aussage in der WG gemacht hat, die Kritik eingesehen. Aber dieses Gedankengebäude: Da kommen Menschen aus anderen Ländern und wir sagen denen mal, wo’s langgeht, war fest verankert. Dieses rassistische „Wir“ und „Die“ zeigte sich auch in der Sache, dass ich immer definiert wurde: „Das ist unser ausländischer Freund“. „Arschloch“, hab ich denen gesagt, ich bin der Ercan, ich definier mich selber. Wenn ich sage: „Ich bin Ausländer“, dann bin ich „Ausländer“. Dann haben sie gesagt: „Mitmensch“. Nein! Oder „Mensch mit Migrationshintergrund“. Nein! Ich lebe jetzt seit 35 Jahren hier in Berlin und seitdem versuche ich ein Individuum zu werden. Ich merke immer noch diese koloniale Attitüde, die dafür sorgt, dass Leute, die von irgendwo anders kommen, die hier nicht gewollt sind, kein Selbstbewusstsein bekommen. Mit Selbstbewusstsein meine ich: „Leute, ich bin hier, ich lebe hier, ich bleibe hier, ich werde gemeinsam mit Euch die gesellschaftlichen Probleme angehen, zusammen handeln“. Eine andere Ausprägung der kolonialen Attitüde ist: „Diese hilfebedürftigen, armen Migranten, denen müssen wir helfen“. Sehr viele Flüchtlinge, die hier herkommen, die brauchen keine Hilfe und erst recht kein Mitleid, die brauchen menschliche Wärme und die Möglichkeit, soziale Beziehungen und Netzwerke aufzubauen. Wenn wir das ermöglichen, handeln die selbst. Wir müssen niemandem sagen, was sie machen sollen, die handeln selber. Und wenn wir Linken das nicht schaffen, wer soll das sonst schaffen? Sobald wir aber auf die Ebene gehen „Ihr Deutschen, wir Türken“, verlieren wir als Linke. Leider haben auch in der Antifa Gençlik als Reaktion auf die koloniale Attitüde einige diese schwachsinnige „Wir sind schwarz, ihr seid weiß“-Trennung aufgemacht, haben „Deutsche“ generell scheiße gefunden. Mit einer kleinen Gruppe haben wir versucht dagegenzuhalten und dann hast du Diskussionen und Leute sagen: „Die Deutschen sind scheiße“ und du sagst „Nein, hört auf mit den Trennungen“ und dann bist du ein Schleimer bei den Deutschen. Da fehlte linkes Bewusstsein und teilweise hat in der Antifa Gençlik dann auch eine Straßengangmentalität mit Gewaltverherrlichung Oberhand gewonnen. Das war eine große Niederlage.
Wie habt ihr euch denn organisiert, was für Aktionen hat die Antifa Gençlik durchgeführt.
Nach dem Mauerfall gab es ja eine starke Zunahme von Rassismus, im Osten lief es ökonomisch schlecht und da hieß es eben auch ganz oft: „Wir werden es schaffen, wenn diese Ausländer nicht mehr da sind“. Das ging dabei durch alle Medien, aber eben nur durch die deutschsprachigen. Die Migranten, die „Nicht-Gewollten“ die haben diese Zeitungen meistens nicht gelesen und das daher auch nicht unbedingt mitbekommen. Wir haben dann eine türkisch-deutsche TAZ-Einlage organisiert, die zwar eine große Hilfe für die deutschen Leser war, aber die „Nicht-Gewollten“ hat sie wieder nicht erreicht. Danach haben wir mit dem Antifa-Infoblatt zusammengearbeitet, um gezielt Migranten zu erreichen – auch auf Türkisch-Deutsch und die Leute haben das eben auch gelesen, weil da „Antifa Gençlik“ stand.
Ihr trefft euch auch jetzt noch einmal im Jahr, seid ihr noch immer in linken Zusammenhängen organisiert?
Klar, manche sind in Gewerkschaften organisiert, andere beim Antifaschistischen Infoblatt oder in anderen antirassistischen Strukturen.
Wie schafft man es, gemeinsam zu handeln und sich zu organisieren ohne Leute auszuschließen?
Der Alltagsrassismus führt dazu, dass Selbstbewusstsein verloren geht. Da geht man nicht einfach bei Politgruppen vorbei. Überall wird man ständig gefragt „Woher kommst Du, was machst Du?“, als würden die Leute über einen Kugelschreiber sprechen. Dabei geht es darum, voneinander zu lernen. Wir glauben ja oft, wir würden alles wissen, aber eigentlich wissen wir gar nichts. Ich weiß zwar wie es ist, vor 30 Jahren Flüchtling gewesen zu sein. Aber wie es heute ist, dass weiß ich nicht. Ich muss die Flüchtlinge in Hellersdorf oder am O-Platz erstmal besuchen, mit ihnen reden, ein Bewusstsein dafür entwickeln wie es ihnen geht. Wir können verändern, was in unseren Kollektiven passiert, wir können Gemeinsamkeiten aufbauen. Wir alle müssen bestimmen, was in unserer Gesellschaft passiert.
[* SaZ: Änlässlich dieses Länderspiels meinte der Berliner Innensenator Heinrich Lummer, der Unterschied zwischen Türken und Deutschen „fängt beim Geruch an“ und forderte die massenhafte Abschiebung der türkischen Einwohner_innen Berlins – „Grundrechte hin oder her“. (Zitate aus: Der Spiegel 2/1984, online unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13516766.html)
Zum Weitersehen und -lesen:
ak wantok (Hg.), Antifa Gençlik. Eine Dokumentation (1988-1994), Unrast Verlag 2014.
Raul Zelik: Friß und Stirb trotzdem. Roman zu einem Leben auf der Flucht.
Buch: Antifa – Geschichte und Organisierung, Schmetterlings- Verlag 2012, 10 Euro