Das Runde muss ins Eckige. Doch manche Partie des gepflegten Rasensports entwickelt sich zur Hetzjagd und das Stadion der Freundschaft wird zur Arena der Feindschaft. Wie Fußball der Nation dient und warum Meister der Herzen häufig von Meistern des Hasses angefeuert werden.
Trikot anziehen, Bier in die Hand, Nationalfarben in die Fresse und losgrölen. Fertig sind der Deutschland-Fan und das bekannte und immer wiederkehrende Bild von Fanmeile – einem Meer aus Papp-Fähnchen und schwarz-rot-doofer Bierseligkeit. Auf den ersten Blick scheint das ja alles harmlos und wie ein großes Fest zu sein. Ist es leider nur nicht. Wenn nach einem Sieg in irgendeinem Spiel nervhupend im Auto-Korso durch die Stadt gefahren wird, geht es nämlich neben dem Spaß und der großen Party auch um das Zugehörigkeitsgefühl zu etwas Großem. Zu einem Kollektiv: der Nation. Diese Sehnsucht nach der Gemeinschaft konnte in Deutschland ja lange wegen des blöden Nationalsozialismus nicht gezeigt werden – so zumindest die Meinung vieler.
Durch den fröhlichen Party-Patriotismus, der seinen Freistoß zur WM 2006 bekam, sei es wieder schick und möglich, stolze_r Deutsche_r zu sein. Und da es ja alle machen, und man ja sowieso total tolerant sei, wäre das alles auch gar kein Problem. Zudem könne ja ein bisschen Nationalstolz auch nicht schaden. Fröhliches Fahnenschwenken und Singen ist ja auch besser, als Menschen zu verprügeln. Doch manchmal führt ersteres zu zweitem.
It ́s just a game?
Fußball transportiert Stimmung und weckt Emotionen. Gekoppelt mit einer Menge Alk entladen sich diese dann hin und wieder. So kommt es weltweit im Zuge von Fußballspielen im und abseits des Stadions zu rassistischen, sexistischen und antisemitischen Beleidigungen und Gewalttaten. Dieses „spieltaggewöhnliche“ Verhalten steigt während großer Turniere an. Im Zuge des „Sommermärchens“ 2006 kam es in Deutschland beispielsweise zu tausenden Fällen von rassistisch motivierter Bedrohung und Körperverletzung. Allein in Berlin gab es 155 Vorfälle mit teils schwerwiegenden Folgen für die Opfer. Auch die häusliche Gewalt nimmt laut einer englischen Studie zu. Bei der Niederlage der englischen Nationalmannschaft gegen Deutschland im Achtelfinale der WM 2010 stieg die Rate häuslicher Gewalt in England unmittelbar um 31,5 Prozent im Vergleich zum gleichen Tag im Vorjahr an. Von einer großen, harmlosen Party kann also keine Rede sein. Mit dem eifrigen Stolz auf den eigenen Verein oder Nation geht immer gleichzeitig die Abwertung der anderen Gruppe einher. Der Wettbewerb auf dem Rasen wird zur eigenen Herzensangelegenheit. Der patriotische 12. Mann knöpft sich dann schon mal selbst den „Gegner“ vor.
Unvergessliches Stadionerlebnis
Doch nicht nur während großer internationaler Turniere kommt es zu Ausschreitungen. Antisemitische und rassistische Ausfälle im Stadion gehören auch im Fußball-Alltag nicht der Seltenheit an. Sie kommen überall vor. So wurde der jüdisch geprägte Verein Tottenham Hotspur durch das imitierte Zischen von Gas der gegnerischen Anhänger Ziel von Anfeindungen. Der ehemalige Lazio-Stürmer Paolo Di Canio „feierte“ seine Tore gar mit einem Faschogruß. In Paris jagten 2006 ca. 150 für ihre Gewalttätigkeit berüchtigte Fans von Paris St. Germain Anhänger des israelischen Vereins Hapoel Tel Aviv.
Stadionwelt Germany
Bis in die 1990er Jahre trat Rassismus ziemlich offen und unverblümt in deutschen Stadien auf. Aufgrund von „Standortnachteilen“ und „schlechtem Image“ wurde der Profi-Fußball zunehmend von einer oberflächlichen anti-rassistischen political correctness erfasst. Lippenbekenntnisse auf Plakatkampagnen dienen der immer weiter fortschreitenden Öffnung hinsichtlich eines zahlungskräftigeren Publikums sowie der kommerziellen Vermarktung des Produkts Bundesliga. Nach Studien über die weite Verbreitung rassistischer Ressentiments quer durch alle Gesellschaftsschichten kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass unter Fußballzuschauer_innen rassistische Ressentiments im Kern abnehmen. Diese sind weiterhin fest verankert, werden jedoch nicht mehr im Stadion als offene Schmähung artikuliert, sondern meist durch karnevalesque Spielkommentare über die „kulturellen Andersartigkeiten” ausländischer Spieler. Ein auf Biologie begründeter, abwertender Rassismus gegenüber dem „Anderen” wird durch einen kulturalistischen und leistungsorientierten Rassismus ersetzt: Der Engländer spielt nun mal einen härteren Stil, wogegen die Italiener sich sehr gern mal fallen lassen und viel wehklagen und diskutieren, heißt es da. Dennoch gehört es zu jedem Spielkommentar gegen z.B. Brasilien über „heißblütige Sambaspieler vom Zuckerhut“ oder von einem „rassigen Spiel“ zu reden. Fußball-Bundestrainer Joachim Löw wusste beispielsweise in einem Interview zu berichten, dass „die Afrikaner enorme Vorteile haben, weil sie genetisch bedingt eine unglaubliche Ausdauer, Schnelligkeit und körperliche Präsenz mitbringen.“ Eine Steilvorlage für jede_n Alltagsrassist_in.
Nicht versteckter Rassismus kommt eher im Umfeld des Stadions und in den unteren Ligen vor. Da wird noch wie in guten alten Zeiten offen gepöbelt und gemobbt. In den Kurven stehen Alltagsrassist_innen neben Stolzdoofen und Nazis. Letztere nutzen eh verstärkt Fußball vor allem im ländlichen Raum, um gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren. ängste werden gezielt geschürt und die gemeinsame Identifikation mit dem Verein führt teilweise zur Normalisierung der Anwesenheit von Rassist_innen und deren Parolen im Stadion. Beispiele lassen sich genug finden: Affengeräusche bei nicht-weißen Spielern, verbaler U-Bahnbau nach Auschwitz nicht nur gegen jüdisch- traditionelle Vereine, NSU-Rufe und Liebesbotschaften an Beate Zschäpe bei Partien gegen „linke“ Clubs bis hin zu Feiern des Ergebnisses durch gleichzeitiges Rufen von „Sieg“, wo gelegentlich ein „Heil“ hintendran zu hören ist.
It’s a man man’s world
Zudem bietet das Stadion so manchen übrig geblieben Höhlenmenschen Unterschlupf für überkommene und konservative Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität. Hier kann „Männlichkeit“ noch richtig ausgelebt werden. Alles, was nicht in das Schema des männlichen Härteideals passt, wird abgewertet. Schlechte Spieler werden als „Mädchen“ oder „schwul“ bezeichnet. Der ehemalige Nationalspieler Paul Breitner hat dies auf den Punkt gebracht. Für ihn seien „Frauen, die gegen den Ball treten, schlichtweg unästhetisch. Frauenfußball ist geschmacklos“. Neben dieser offen sexistischen Kackscheiße tritt ebenso oft und offen Homophobie auf. Homosexualität im Fußball ist nicht mit dem Bild von Männlichkeit vereinbar. Absurderweise gehören ständiger Körperkontakt durch Umarmungen, zusammen auf dem Rasen rumrollen und sich anspringen „dazu“, offene Homosexualität hingegen ist mit Angst belegt und führt zu Intoleranz und Angriffen. Homophobie und Sexismus werden meist gar nicht als Problem wahrgenommen, sondern als Teil einer spezifischen Fankultur. Kein Wunder, spiegelt und reproduziert diese ja auch nur die gesellschaftlichen Verhältnisse. Spieler_innen auf Grund ihrer Herkunft, Religion oder Sexualität anzugreifen, gehört für viele, meist männlich und deutsch dominierte Fankurven zum Spektakel eines Fußballnachmittags dazu. Was privat nicht gesagt werden kann oder darf, wird in der Masse und meist unter Alkeinfluss möglich.
Let’s kick it!
Was kann man also unternehmen, wenn man Fußball eigentlich ganz cool findet? Bleibt für emanzipatorische Menschen nur Mikado? Oder sich an dem schwarzen itlalienischen Fußballspieler Mario Balotelli orientieren, der aufgrund andauernder rassistischen Beleidigungen gesagt hat: „Wenn mich jemand auf der Straße mit einer Banane bewirft, werde ich denjenigen umbringen“? Beide Alternativen erscheinen nicht sehr sympathisch. Entweder-Oder macht nur dann Sinn, wenn sich entweder voll oder ganz gegen rassistische, sexistische oder antisemitische Mistkacke gestellt wird. Möglichkeiten den Scheiß abzupfeifen, gibt ́s viele. Eintracht Frankfurt-Präsident Peter Fischer sagte kürzlich, als er auf die Nazi-Problematik angesprochen wurde: „Das braune Pack sollte jede anständige Kurve selbstständig aus dem Block prügeln.“ Ihr entscheidet. Vom Banksitzen tut eh nur der Arsch weh. Sport frei! Von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus!
Zum Weiterlesen:
Das Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF)
„Nur Fussball? Ein Nachtritt“ Broschüre der gewantifa zur WM 2010