„Ich glaub es tut ganz gut, sich auch mal ein bisschen selbst zu überlisten.“

Interview mit Schorsch Kamerun und Meense Reents von den Goldenen Zitronen vor ihrem Auftritt auf der Soli-Party für die Fight Racism Now! – Kampagne

Strassen aus Zucker: Eure Bandgeschichte wird von Anderen ja häufig in zwei Phasen eingeteilt; die „Fun Punk“ Jahre zu Anfang, und eine „ernstere Phase“ so ab 1990. Seht ihr selber diese zwei Phasen auch, und gab es bestimmte Gründe, weshalb ihr angefangen habt, offen politische Texte zu machen?

Goldene Zitronen: Natürlich sehen wir das nicht so! Wir haben keine Initialzündung erlebt, dass wir jetzt plötzlich politische Menschen geworden wären. Ich würde sogar sagen, dass wir in den 80ern noch stärker in politischen Umgebungen gespielt haben. Viele unserer ersten Konzerte waren z.B. in der Hafenstraße oder man spielte noch mehr in autonomen Jugendzentren. Es gab einfach noch mehr Szene.
Und rein von den Inhalten her – pfffffff. Das hat verschiedene Gründe.
Dieser FunPunk-Moment ist natürlich einer, den man aus der Entfernung nur noch schwer verstehen kann. So was findet heute in Hamburg als ein Schlager-Move-Event statt. Aber es war auch so ein Reflex aus so einem antiautoritären Verhalten. Sich platt lustig machen über Spießertum und eine bestimmte bürgerliche Enge u.s.w.

SaZ: Also gar nicht die linken Spießer jetzt?
GZ: Die linken Spießer gabs da noch nicht, würd ich sagen. Natürlich gabs die, aber die hat man vielleicht noch nicht ganz so benannt. Die Subkulturen waren noch nicht ganz so different.
Was wir dann ab 91 wollten, war zu den Ereignissen, die im „wiedervereinten Vaterland“ stattfanden, expliziter was sagen. Und explizitere Texte zu machen, die auch länger sein sollten. Weil wir gemerkt haben: So sloganhafte Geschichten, die reichen einfach nicht mehr. Das war vielleicht auch schon ein Grund, warum wir in den 80er Jahren diese vereinfachten politischen Geschichten nicht mittragen wollten. Also: Nicht nur „Bullenschweine!“ und so. Das war uns einfach irgendwie zu wenig.

SaZ: Vor 20 Jahren gab es ja einige musikalische Kommentare zu dem Wiedervereinigungstaumel und den Pogromen. Würdet ihr sagen, dass sich im Verhältnis von Popkultur und Politik grundlegend etwas geändert hat? War das damals noch stärker ein Thema?

GZ: Find ich schon! Ich glaube, die Oberfläche war schon ein bisschen deutlicher. In der Politik hat sich ja an den Daten und Fakten gar nicht so viel geändert, nur die Dinge sind irgendwie so in die Hintergründe verschoben worden. Das macht man ja sehr clever: Es verschieben sich ja nicht nur Grenzen nach Außen, auch solche Auffälligkeiten versucht man ja irgendwie aus der Schusslinie zu nehmen. Und ich würde aber schon sagen: Die direkten Reaktionen aus der Pop-Kultur sind ein bisschen schlapper geworden.
Ich hab gestern noch die Zeitung gelesen, die der „das bisschen Totschlag“-Platte beilag. An deren Spirit merkt man schon dass der ganze antifaschistische Diskurs viel breiter war Anfang der 90er. Also: so wirkt das auf mich. Ich habe das nur als Außenstehender verfolgt damals.

Hier sind wir ja auf einem klassischen linken Soli-Konzert…

Gar nicht so klassisch, finde ich, weil das hier ja eher so ein klassischer Club-Kontext ist. Hier spielen ja auch selten Bands, eigentlich.

Ich meine jetzt: Dass es für eine politische Kampagne ist.

Für uns ist das Eingebunden-Sein in politische Zusammenhänge so ein kontinuierliches Gefühl. Man muss das natürlich ein bisschen streuen, du kannst nicht ständig nur in solchen Zusammenhängen spielen. Das geht einfach nicht als Band. Aber wir werden immer wieder angefragt oder machen auch selber Dinge, die sich dann z.T. natürlich verschieben.
Es kommt immer darauf an, wo man gerade so dran ist, Stichwort Gentrifizierungs-Themen oder Recht-auf-Stadt-Geschichten usw., die sind so n bisschen mehr in unserer Nähe im Moment. Was natürlich teilweise auch ein Problem ist. Das Thema der Party heute Abend verlässt meinen direkten Augenkreis auch manchmal. Das hat damit zu tun, wo man sich gerade so aufhält.

Was ist der erfolgsversprechendere Weg die Regierung zu stürzen: Eine BlackBlock-Demo und Flugblätter verteilen oder eher Interventionen im Kulturbereich?

Keiner stürzt hier irgendwelche Regierungen, ich mein: Tschuldigung!
Das ist eine Polemik, die ist ja ganz lustig und die ist ja auch richtig, aber… .
Noch in den 80er Jahren nahm man das Wort Revolution wirklich so in den Mund, dass man geglaubt hat, dass es da irgendwas gibt an dem wir gerade so dran sind. Das glaubt doch im Moment keiner, das könnt ihr mir nicht erzählen. Die Regierung gehört selbstverständlich genauso gestürzt wie zu dem Zeitpunkt wo dieses Lied entstanden ist.

In Teilen der Linken gibt es gerade wieder einen größeren Optimismus in Zusammenhang mit der Krise, den Aufbrüchen in Nordafrika. Würdet ihr diesen Optimismus nicht so teilen?

Doch, das würde ich schon sagen! Aber ich finde, dass man jetzt andere Feindbilder hat. Jetzt sind es die Bankengeschichten und Occupy, aber ich habe das Gefühl, dass niemand „unsere Regierung“ meint. Wir meinen natürlich schon auch ein arrogantes Europa.
Aber das muss man vielleicht erklären: Dass wir in den 80er Jahren noch eine gewisse Repression empfunden haben. Die findet jetzt gerade nicht statt. Also die findet auch statt, aber… die Ziele sind weicher und subtiler geworden und ein bisschen weggerückt. Das gilt ja für alles: Nicht nur wir sind gezwungen, flexiblere Menschen zu sein, sondern auch die Ziele sind schlechter zu treffen.

Ein politisches Anliegen was ihr ziemlich direkt ansprecht, vor allem auf dem „Lenin“-Album, ist die Bekämpfung von Rassismus und Ausgrenzung von Menschen aus dem „starken Europa“. Was war eure Motivation dafür, und findet ihr es nicht auch schwierig, aus einer „weißen“ Perspektive über Rassismus und Ausgrenzung zu reden, obwohl man selbst gar keine Erfahrungen damit gemacht hat?

Hm. Tja. Aber was war jetzt noch mal die Alternative dazu? Nix sagen und nix machen? Oder wie? Das ist alles immer sehr komplex. Zur Zeit erleben wir ja z.B., dass sich viele von uns „Kartoffeln“ über Griechenland erheben…

Eine Alternative haben wir auch nicht. Aber wir haben bei der Vorbereitung unserer Ausgabe zum Thema Rassismus viel über das Problem nachgedacht, weil wir z.B. gern einen Artikel schreiben würden „was tun, wenn man mit Rassismus konfrontiert ist?“, dazu aber eigentlich nicht in der Lage sind, eben weil wir selbst gar keine Rassismus-Erfahrung haben.

Wahrscheinlich muss man fragen: welche Aktiva sind möglich, oder? Aktive Flüchtlingshilfe zum Beispiel ist doch eine ganz direkte Sache, die OK ist. Das hat ja dann nix mit „Kartoffel“ zu tun…

Aktuell wird ja viel darüber diskutiert, ob es nicht vermessen ist, für andere Leute zu sprechen.

Immer schwierig, stimmt schon. Man kann natürlich auch distanziert-kühl die Lage analysieren, und teilweise machen wir das ja auch in unseren Texten. Also das da schon auch mit Abstand oder mit einer Kunstsprache ein Sachverhalt in ein 3-minütiges Lied gegossen wird, das ist ja eine andere Form als einen journalistischen Text zu schreiben. Dann kann man sich schon auch Einiges erlauben.
Wir haben an uns auch eine eigene Geschichte an der wir uns reiben, und wir wollen natürlich nichts wiederholen. Da rutschen wir natürlich z.T. in gewisse Abstraktionen rein. Was ich aber auch richtig und gut finde ehrlich gesagt. Das hält die Band auch am Leben. Auch wie wir musikalisch agieren, das ist ja auch irgendwie eine Sprache die mit Freiheit zu tun hat, zumindest so wie wir uns geben. Natürlich bleiben wir trotzdem eine männliche Rockband. Also es gibt so viele Probleme ja trotzdem… Eine weiße, männliche Rockband, darf die überhaupt das Maul aufmachen?

Einige von euch treten ja auch gern mal im Blümchenkleid auf; ist das für euch hauptsächlich Spaß oder seht ihr da auch eine politische…

Klar, wir sind voll im Gender-Diskurs! Also ehrlich gesagt… man merkt das ja manchmal nur an sich selbst, wie so was funktioniert. Manchmal entlastet das schon die Rock-Pose einfach so, ganz platt ausgesprochen. Aber jetzt da gleich wieder ne große inhaltliche Komponente reinbringen… das muss man vielleicht gar nicht unbedingt. Das wäre dann auch vielleicht platter, als es einfach zu tun. Und würde es auch wieder langweilig machen. Ich glaub das tut dem Ganzen ganz gut, sich auch mal ein bisschen selbst zu überlisten.

Auf der normalen gesellschaftlichen Ebene finden wir es spannend, dass „Frauen“ sich sehr wohl männlich kleiden können, „Männer“ hingegen nicht weiblich…

Ja, das ist aber auch eine sehr enge Auslegung des Themas. Es gibt ja auch Kulturkreise wo Männer ganz normal keine Hosen anhaben, oder… Männer kleiden sich doch auch mittlerweile viel weiblicher als früher, habe ich den Eindruck.
Wir haben das Gender-Thema natürlich auch so in den 90igern miterlebt und haben diese Auseinandersetzung richtig gefunden, aber zum Teil wurde sich auch ein bisschen zu sehr bemüht und man hat dadurch jede Klarheit verloren. Schwer zu sagen. Manchmal ist es gut, das einfach auszuprobieren, ganz allgemein. Und Du kannst das lesen wie Du willst, ehrlich gesagt. Ich glaub, man versteht das schon. Aber was auf jeden Fall angenehm daran ist, ist dass man durch das sich-weiblich-kleiden so etwas runter kommt von der Pose, die wir eh innehaben wenn wir uns auf eine Bühne stellen als … ja schon so ne „Männertruppe“, die wir halt sind.

Jetzt kommt im September nach 30 Jahren das neue Album…

29 sind wir dieses Jahr erst geworden, aber wurscht…

…worauf dürfen wir uns einstellen?

Ein Doppelalbum diesmal! Das Meisterwerk! Endlich! Endlich kommt das Meisterwerk…

Warum ein Doppelalbum?

Es hat sich sooo viel FANTASTISCHES Material angesammelt. Und das wurde dann auch zu Ende gemacht. Und dann hat doch jedes Stück eine Form gefunden und … so war’s dann. Und das waren dann die 14 Stücke. Und da wir ja auch nicht so oft n Album machen, alle 4 oder 5 Jahre… Aber jedes Stück hat Qualität, würde ich sagen! (Lachen). Wir gehn nicht runter! Nicht auf Masse! Und Themen-mäßig ist alles dabei, ist ja wohl klar! Europa wird besprochen, aber es wird auch mal persönlich … antifaschistische Themen… und dann wird auch mal bisschen mehr reflektiert und so… und natürlich spielt das Alter eine ganz große Rolle. Natürlich so Stadt-Geschichten, klar. Psychoanalyse haben wir neu als Thema!
Dann natürlich das „Wir“ von heute, also das interessiert mich wirklich, was ist das wir von heute? Wie kann man das überhaupt sein? Jenseits des ständig sich selbst vermarktenden Individuums. Diese Themen interessieren mich wirklich sehr, Subjektivierung und all diese Geschichten… Das verarbeitet man ja so in seinen jahrelangen Projekten, vielleicht auch aus dem Theater heraus. Das trifft sich dann alles auf dem Album. Wir versuchen auf Wiederholungen zu verzichten wenn es irgendwie geht, aber das ist nicht immer leicht. Also die Bands die sagen, dass sie sich auf der neuen Platte wieder neu erfunden haben, das ist natürlich eigentlich albern. Das stimmt schon neurologisch nicht, weil man nur das wiedergeben kann, was man irgendwie mal gesehn hat…
Deswegen gelingen Manchmal Dinge auch nicht so sehr, oder andere dann wieder besonders gut, weil man eben versucht, frei mit den Sachen umzugehen. Diese Band gibt’s ja auch schon ziemlich lange, das ist wie bei Beziehungen, die sich immer wieder treffen, da muss man aufpassen, dass das nicht so „einrastet“.

Vielen Dank für das Interview! Ich hoffe, wir kamen jetzt nicht zu nörgelig rüber, aber wir sind ja eine kritische Zeitschrift für kritische Leser_Innen…

Nö, schon OK…