Sweet Talking mit den Rapacts Kronstadt (Barcelona), Daisy Chain (Thessaloniki) und Refpolk (Berlin)
Mit „The future is still unwritten“ haben drei Rapacts aus unterschiedlich von der „Eurokrise“ betroffenen europäischen Ländern – Kronstadt aus Barcelona, Daisy Chain aus Thessaloniki sowie Refpolk aus Berlin – ein musikalisches Vernetzungsprojekt gestartet. Song und Video thematisieren sowohl die Krise wie auch die Bewegungen in den verschiedenen Ecken des Kontinents und zeigen eine gemeinsame Perspektive auf.
Wie habt Ihr Euch eigentlich kennengelernt?
Refpolk: Also das kam durch das Rap Militante Internazionale Netzwerk aus Mailand. Die organisieren monatlich Konzerte mit Rap-Acts aus ganz Europa oder Nordafrika. Wir drei sind dort aufgetreten, und dabei haben wir uns kennengelernt.
Und wie ist der Track entstanden?
Daisy Chain: Das ist jetzt nicht so schwierig wie sich das zunächst anhören mag. Die Kommunikation zwischen uns war sehr gut, und wir haben einen einfachen Weg gefunden, das alles hinzukriegen. Wir haben unsere Ideen zusammengetragen, und dann hat eben jedeR den eigenen Part – also vom Sound und vom Video – aufgenommen. Am Ende musste das dann zusammengefügt und die richtige Mischung gefunden sowie das Video bearbeitet werden. Mir hat dieser ganze Prozess sehr viel Spaß gebracht!
Refpolk: Genau, letztendlich lief es übers Internet. Das hat natürlich etwas länger gedauert als wenn alles direkt besprochen werden kann, und manchmal haben wir uns auch einfach mal ein „echtes“ Treffen gewünscht. Aber online hat es ja dann auch gut geklappt.
Aus welchen politischen und sozialen Verhältnissen kommt ihr?
Daisy Chain: Da kann ich mich nirgends einordnen und das will ich auch gar nicht! Zumindest in nichts Spezifisches, ich will mich nicht irgendwie „bezeichnen“ oder „labeln“.
Kronstadt: Also ich stamme aus seiner ArbeiterInnenfamilie, die aus Andalusien in Südspanien nach Barcelona ausgewandert ist, um dort Arbeit und ein besseres Leben zu finden. Ich habe einen großen Teil meines Lebens in einem ArbeiterInnenviertel am Rande Barcelonas verbracht. Mit 14 Jahren habe ich dann angefangen mich in verschiedenen anarchistischen Organisationen zu engagieren, in denen ich mich dann sowohl politisch als auch persönlich entwickelt habe. Den entsprechenden Ideen und Überzeugungen fühle ich mich bis heute verpflichtet, viele Jahre danach.
Refpolk: Soziale Bewegungen und Kämpfe waren sehr früh ein wichtiger Teil meines Lebens. Genauso Erfahrungen mit Repression. Das geschah durch das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin. Später lernte ich viel an der Universität durch feministische Kritik, Gespräche als Antifa mit Überlebenden des Nationalsozialismus und des Holocaust und die tägliche Beobachtung von Unterdrückung. Ich bin auf der Suche nach Bündnissen oft verzweifelt, schon am meiner eigenen Beschränktheit, doch schätze immer noch das Potential von Selbstkritik und Austausch.
Verfolgt Ihr ein bestimmtes Konzept politischer Musik und speziell politischem Rap?
Kronstadt: Musik und auch alle anderen künstlerischen Ausdrücke gehören seit Anfang an zu dem, was die Menschheit ausmacht, und ich glaube, dass sie schon immer dafür da waren, Erfahrungen, Gefühle, Ereignisse und Lebensumstände zu repräsentieren oder zu kommunizieren. Wenn dein Leben dann durch Kämpfe geprägt ist, dann findet sich dies zweifelsohne auch auf die eine oder andere Weise in deiner Musik wieder. Der Rap nun ist eine weitere Form, Erfahrungen und Unruhe zu übertragen, und für mich wohl die beste Form. Aber das ist von Person zu Person unterschiedlich. Es gibt keine politische Musik, es gibt politisierte Menschen, die ihre Ideen in den unterschiedlichen Formen ausdrücken, und halt auch durch Musik. Unser Rap kann ein weiteres Werkzeug im Aufbegehren gegen jegliche Herrschaft sein – ob nun auf der Arbeit, ob gegen das Patriarchat oder den Rassismus.
Daisy Chain: Rap ist ein musikalisches Genre, das auf den Texten basiert, und auf der Freiheit aller, die eigenen Gedanken auszudrücken. Ich finde das großartig, denn jede*r kann die eigene Stimme dafür einsetzen, zu informieren, Mut zu machen, sich zu einem Thema zu positionieren und dies anderen Leuten mitzuteilen. Dadurch kommen wir uns näher, sodass wir zusammen kämpfen können. Die Zeiten, in denen wir Leben, werden von enormen politischen Entwicklungen bestimmt, und ich denke, wir sollten alle in der Lage sein, uns dazu zu verhalten. Ich finde politische Musik daher definitiv sehr wichtig, aber ich sehe auch, was Musik darüber hinaus für unser Leben tun kann, und freue mich sehr darüber.
Refpolk: Musik muss sich ja nicht politisch nennen, um es zu sein. Ich habe durch Rap viel gelernt, vor allem zu Rassismus oder Klassenunterdrückung, und das nicht unbedingt immer von Artists, die sich als politisch oder links bezeichnen. Doch egal, wie wir sie nennen, Musik fasziniert mich, wenn sie Geschichten erzählt, die sonst nicht gehört werden, sie Hoffnung gibt, wenn Momente ausweglos erscheinen und ihre Ehrlichkeit und Einfachheit jedes große Gerede entlarvt. Wer radikale Kritik übt, wird früher oder später Repression ausgesetzt sein. Die Einordnung von linkem Rap in das deutsche Schema des Extremismus gibt es bereits. Gleichzeitig macht das natürlich auch einen Teil der Faszination von politischer Musik aus und diese findet auch nicht ohne Kontext statt. Schließlich kann Rap ein Weg sein, sich zu connecten gegen Faschismus, doch er ist auf andere angewiesen.
In eurem track “The future is still unwritten” geht es um die aktuelle Lage und soziale Kämpfe in Zeiten der Krise in Europa. Wie seht ihr die Situation?
Kronstadt: Das Problem ist der Kapitalismus, und die Krise ist nichts anderes als eine seiner Konsequenzen, ein systeminterner Prozess, durch den der Kapitalismus erneuert und seine Zwänge verstärkt werden. Aber wenn wir unter dieser Oberfläche noch etwas weiter herumstochern so ist für mich das Problem jede Form von Herrschaft und Unterdrückung. Es gibt einige Formen der Unterdrückung und Autorität, die dem Kapitalismus lange voraus gingen, wie etwa der Staat oder das Patriarchat, und diese können auch in einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft überdauern. Für mich macht es daher wenig Sinn, das ökonomische System zu verändern, wenn dies nicht durch einen radikalen Wandel der gesamten Organisation der Gesellschaft begleitet wird. Es gibt ja wirklich so manche autoritäre und unterdrückerische Deutungsweise des Lebens, aus denen sich ebenfalls eine Positionierung gegen den Kapitalismus ergibt – den Faschismus, den autoritären Kommunismus, oder allgemein in der Offenheit des Begriffs eben auch die politische Linke – und ich glaube, das Autoritäre und Autoritäten Feinde eines grundlegend gleichberechtigten Kampfes sind. Das einzig Neue, das die “Eurokrise” gebracht hat, ist, dass auch die Mittelschicht auf die Straße geht, weil sie ihren Wohlstand gefährdet sieht. Wenn diese Leute ihre Kaufkraft zurück gewonnen haben, vergessen sie womöglich auch wieder die Millionen Hungertoten, die kapitalistischen Plünderungen der Lebensgrundlagen und auch den Staatsterrorismus. Die Zukunft ist unsere, die der Menschen, wir halten sie in unseren Händen, und alles, was nicht von uns selbst aus geht, wird sich gegen uns wenden.
Refpolk: Auch ich denke, dass es nicht bloß eine einzige Ursache für die Eurokrise, die Finanzkrise, die Wirtschaftskrise, die Krise des Kapitalismus und so weiter gibt. Für mich ist “die Krise” in ihrer dramatischen Vielfalt auch die Möglichkeit, die Zusammenhänge von Unterdrückungsverhältnissen in den Blick zu nehmen. Ich denke da an geschlechtliche Arbeitsteilung, Migration von Arbeit oder auch die Frage, wie wir im Alter leben wollen. Dieser Blick ist mir auch deswegen so wichtig, weil er schaut, wo verschiedene Kämpfe zusammenkommen können und nach Gemeinsamkeiten sucht. Wenn Daisy Chain, Kronstadt und ich aus unseren unterschiedlichen Lebensumständen und nationalen Kontexten heraus “The Future is still unwritten” sagen, dann steckt für mich darin genau dieses Zusammenkommen. Auch ein Song wie “The Future is still unwritten” entfaltet nur seine Wirkung mit einer entsprechenden globalen Bewegung, die sich zumindest auf ein paar Punkte wie Antikapitalismus und die Ablehnung von autoritären Krisenlösungen einigen kann.
Daisy Chain: Ich glaube, wir müssen verdammt schnell sein – sonst wachen wir eines Tages auf und stellen fest, dass wir nichts mehr ausrichten können, weil wir einfach zu spät sind. Jede und jeder sollte jetzt handeln, auf die Weise, wie es ihr und ihm möglich ist – und das Wichtigste ist dabei zunächst, das wir die Beziehungen zwischen uns verbessern. Wir müssen uns vertrauen können, müssen aufgeschlossen sein und uns gegenseitig helfen.
Wir danken für das Gespräch!
Interview: Marcus Munzlinger für die SaZ
(Dies ist eine gekürte Version des Interviews, das komplette Interview findest Du hier. In Kürze wird das Interview auch in verschiedenen Übersetzungen vorliegen).