„Ein Faktor, der Menschen dazu bringt, nachzudenken“

Sweet Talking mit Irie Revolté

Mal Élevé und Carlito erzählen über ihr neues Album, was sie von Mackertum halten, wo politische Einstellungen herkommen und was so alles auf den Kopf gestellt werden sollte.

Straßen aus Zucker (SaZ): Ihr spielt gleich auf dem „Gemeinsam gegen Nazis“-Festival. Wie hängen Musik und Politik für euch zusammen?

Mal Élevé (ME): Das ist für uns von Anfang an ein wichtiger Bestandteil gewesen. Für uns ist Irie Revolté eher ein Projekt als nur eine Band. Für uns ist die Musik eine Art, sich politisch aktiv zu betätigen. Natürlich machen wir Mucke auch weil wir Bock auf Mucke haben – ist ja klar. Aber für uns ist es immer auch Bestandteil gewesen, Aktionen und Demos zu unterstützen.

SaZ: In eurem Lied „Antifaschist“ klingt es so, als wären politische Einstellungen angeboren – wir setzen ja mehr auf „Die Welt verändern“ und darauf, dass Menschen auch Entscheidungen treffen können.
Wurden Nazis und andere Honks auch „so geboren“? Was machen wir dann?


Carlito (C): Die Grundidee daran ist ja: Wenn du geboren wirst bist du ja erstmal kein Rassist und bis erstmal mit offenen Augen für alles und bist neutral, also hast keine Vorurteile. Das ist damit eigentlich gemeint. Ein bisschen runtergebrochen auf so ne Zeile, aber das steckt dahinter
ME: Cool das ihr das fragt. Es ist quasi das erste Mal, das wir ein offizielles Statement zu „Antifaschist“ geben, weil wir dachten: O.K., wir belassen es einfach in der Diskussion.
Wir sind uns bewusst, dass es falsch verstanden werden kann: Natürlich wird niemand mit einer Einstellung geboren. Aber wie Carlito gesagt hat: Ich wurde als Mensch geboren, wie jeder andere, der erstmal nicht Anti-Rassist, aber Nicht-Rassist ist. Durch unsere Sozialisation, oder ich kann auch nur von meiner reden, bin ich dann Anti-Rassist, Anti-Faschist geworden.
Uns ist klar, das es falsch verstanden werden kann. Natürlich wird niemand mit einer Einstellung geboren! Aber der Song ist für mich eine Erzählung meines Werdegangs und ich bin, wie ja schon gesagt, als Nicht-Rassist und nicht-Faschist geboren worden und durch meine Sozialisation wurde ich überzeugter Antifaschist und werde eben so bleiben, bis ich sterb…
Es ist auch bei Songs so, dass manchmal nicht alles genaustens erklärt werden kann. Und für mich hat das so, wie es jetzt ist, gut funktioniert.

SaZ: Gegen Nazis zu sein gehört ja mittlerweile auch in der CDU zum guten Ton. In welchem Verhältnis sehr ihr antifaschistisches Engagement und linksradikale Gesellschaftskritik?

ME: Bündnisse sind wichtig, Aber wenn wir heute hier stehen, dann sind wir nicht nur gegen Nazis sondern gegen Rassismus überall in der Gesellschaft. Für uns ist das miteinander verbunden. Natürlich geht’s heute vor allem um die Leute, die auf der Straße Angst und Schrecken verbreiten. Aber die haben ja auch nur den Rückhalt, die können nur so viel machen weil das auch in Gesetzen so fundiert ist. Auch die Bullen haben rassistische Vorgehensweisen, die ja auch von oben aufgesetzt werden. Dass sie Leute nach Hautfarbe kontrollieren sollen und so weiter. Das ist für uns genau das Gleiche.
C: Die Gefahr ist auch, dass dieses „gegen-Nazis-sein“ eine Modeerscheinung ist und unter dem Deckmantel dann viele andere Sachen dann durchgesetzt werden. Das ist eine gefährliche Tendenz, finde ich.

SaZ: Du trägst einen „Kein Mensch ist illegal“-Kapu. Antirassismus scheint euch ein wichtiges Anliegen zu sein?

ME: Wir haben viele wichtige Themen, aber ein Schwerpunkt gerade was Demos und so angeht, sind natürlich Anti-Nazi-Sachen, Anti-Rassismus-Sachen. Bei dem NSU-Ding ging es ja vor allem um eine andere Art von Rassismus, jetzt nicht um Leute, die im Henker abhängen („der Henker“ ist eine Nazikneipe in Berlin-Schöneweide), sondern noch krasser eigentlich. Und vor allem um die Art und Weise wie der Prozess geführt wird und wie die Aufarbeitung eben nicht stattfindet.
C: Man sieht an dem NSU-Prozess auch, wie sich der Apparat Staat selbst schützt und auch in der heutigen Zeit Sachen vertuscht. Das hat sich immer noch nicht geändert. Und man sieht, wie die Polizei geschützt wird. Klar, ich sag nicht, dass Polizei nur Scheiß Sachen macht, die sind auch manchmal nützlich. Aber trotz alledem herrscht da ein Ungleichgewicht und da muss mehr Aufklärungsarbeit stattfinden und ich finde, da sollte man auf die Straße gehen.

SaZ: Trotz eures großen Erfolgs positioniert ihr euch immer wieder klar politisch. Glaubt ihr, dass ihr irgendwann mehr Rücksicht auf euren Erfolg nehmen müsst und euch nicht mehr so deutlich positionieren könnt?

Beide: Nee auf keinen Fall. Eigentlich gar nicht.
C: Wir haben Entscheidungen gefällt, die wir hier nicht erklären wollen. Es gibt immer wieder Diskussionen intern wo wir uns dann darauf einigen, was für Schritte gehen wir ein. Und wir gehen niemals den Schritt, der uns nicht mehr erlauben würde, uns klar zu positionieren. Dann würde das Projekt Irie Revoltée nicht mehr existieren.
Uns geht’s nicht darum erfolgreicher zu werden im Sinne von berühmter zu werden. Wir wollen die Ideen die wir haben an möglichst viele Leute ranbringen und natürlich mit der positiven Musik auch Leute persönlich motivieren auch für sich selbst. Es geht ja nicht nur ums Politische. Eben ein positiver Faktor zu sein und ein Faktor, der Menschen dazu bringt, nachzudenken. Und wenn wir damit mehr Leute erreichen, dann sind wir dabei, wenn wir erfolgreicher sind.
ME: Und es ist auch so dass wir bis jetzt eigentlich alles selbst entscheiden. Alles was wir machen machen wir, weil wir es entschieden haben.
C: Da kann ich auch nur sagen für junge Bands: Wenn ihr anfangt mir Partnern zu reden: holt euch frühzeitig rechtliche Hilfe, das macht einfach Sinn!

SaZ: Würdet ihr dann sagen, es ist besser zu einem Indy-Label zu gehen?

C: Kommt halt drauf an, was für Musik du machen willst. Wenn du politisch machst, brauchst du kein großes Label. Wenn du jetzt Chartmusik machst, kannst du natürlich zu nem großen gehen.
ME: Wir haben auch den Weg gewählt, dass wir zu nem Indy-Label sind, bei Ferry House in Hamburg

SaZ: Ihr unterstützt das Projekt „Rollis für Afrika“. Antirassistische Gruppen kritisieren an solchen Kampagnen, dass sie ein Afrikabild konstruieren, in dem der gesamt Kontinent von Armut und Krankheit geprägt sei und Hilfe aus Deutschland benötige. Wie steht ihr zu derartiger Kritik?

ME: Können wir auf jeden Fall verstehen, es gibt auch Überlegungen den Namen zu ändern. Der ist damals entstanden, zusammen auch mit den Leuten, auch aus Senegal. Die selbst sehen das nicht so kritisch. Also es ist uns auf jeden Fall bewusst. Für uns ist vor allem wichtig, dass wir wissen, dass das Projekt emanzipatorische Kräfte unterstützt. Aber wir werden dazu auch noch etwas posten, damit auch die Leute, die uns nicht kennen und nicht viel über das Projekt wissen, den Hintergrund erfahren.
C: Und vor allem hat das Projekt ja die Grundidee, den Überschuss rüberzubringen an Rollstühlen und Gehhilfen, weil hier die weggeschmissen werden. Dort wird’s halt nicht produziert. Wenn man die irgendwann dort produzieren könnte wäre es am besten. Aber es ist halt noch so.

SaZ: Sind eure Konzerte denn für Rolli-Fahrer_innen zugänglich?

C: Es gibt eigentlich immer entweder eine Rolli-Rampe oder wenns die nicht gibt werden wir informiert, dass Rolli-Fahrer kommen und dann wird Platz geschaffen. Wir können ja keine Locations umbauen aber der Platz wird immer geschaffen.

SaZ: Feine Sahne Fischfilet (FSF) haben mal berichtet, dass sie mackeriges Posen als erfolgreiche Strategie gegen angsteinflößende Nazi-Macker auf dem Dorf eingesetzt haben. Quasi, um sich einen Schutzraum zu schaffen. Mittlerweile finden sie die Strategie nicht mehr so elegant und sinnvoll.

ME: Es ist schwer zu sagen. So viel ich über FSF weiß, sind die auf jeden Fall in einer krasseren Gegend aufgewachsen als wir. Von daher würde ich das nicht von vornherein verurteilen. Da wo die aufgewachsen sind, mussten die sich glaube ich einfach durchboxen. Da überlegt man sich halt einfach alle möglichen Strategien. Das ist halt immer die Diskussion: Inwieweit macht man die gleichen Sachen wie die Nazis? Ein Stück weit muss man ihnen halt auf der Straße entgegentreten. Man sollte dabei halt immer genug Kritik haben um das halt nicht als so ein „normales Verhalten“ zu etablieren.

SaZ: Uns hat sehr gefallen, dass in eurem neuen Video „Allez“ auch Mädchen
 zu sehen sind, die ihre Umgebung mithilfe von Sprühschablonen verschönern und nicht wie so oft nur Jungs. Wie steht ihr zu Mackertum in der Linken?

C: Es gibt aus der Band gegründet, also nicht nur Band, das Projekt „Make some Noise“, das sich mit Sexismus und Homophobie in der Musik und natürlich auch in verschiedensten Szenen beschäftigt. Ich denke, dass ist ein klares Statement unsererseits: Wir akzeptieren keinerlei Homophobie egal in welcher Szene oder in welcher Musik.

SaZ: Ihr reimt: „Geben nicht auf, bis die Welt auf dem Kopf steht.“ Was sollte denn eurer Meinung nach alles auf den Kopf gestellt werden?

ME: Deutschland!
C: Die grundgesellschaftliche Struktur.

SaZ: Die Auskopplung „Allez“ ist im Vergleich zu euren früheren Reggaenummern ganz schön rockig. Dürfen wir uns beim neuen Album darauf einstellen, mehr Gitarren zu hören als früher?

ME: Ja! Also wir haben fürs neue Album vor allem geschaut dass wir die Live-Sachen, was wir vom Gefühl her live geil finden was rockt und so weiter auch ins neue Album zu packen. Was wir letzten Endes mehr gefeiert haben war rocklastiger, oder wie mans auch sagen kann. Also auf jeden Fall mehr E-Gitarren zu hören.
C: Aber auch immer noch die alten, Dancehall, also ist alles gemischt. Bunt, wie die Welt sein sollte!

SaZ: Vielen Dank für das Interview und ein gutes Konzert heute Abend!