White Lies

Einer der schönsten Skandale 2011: Der Rapper Bushido erhält den Bambi-Preis für Integration.

Kurz nach der Preisverleihung geht ein Aufschrei durch die Medien, wie es denn sein kann, dass so jemandem ein derartiger Preis verliehen wird. Bushido sei frauenfeindlich und homophob und doch überhaupt kein gutes Vorbild. Die SaZ-Redaktion findet es zwar auch unsinnig, dass ein reaktionärer Kotzbrocken wie Bushido einen Preis bekommt, noch unsinniger und vor allem rassistisch ist allerdings der Preis selbst. Wofür steht denn Integration genau? Wo rein sollen sich Menschen integrieren? Und wer entscheidet, wer sich integrieren muss?

Das Jahr der Kartoffel
Integration wird hierzulande als etwas Wichtiges und Sinnvolles betrachtet. Der Gedanke läuft etwa so: „Nicht-Deutsche“ sollen sich an die „deutschen Verhältnisse und Lebensweisen“ anpassen, um ein harmonisches Zusammenleben zu ermöglichen. Aber wer sind denn „Nicht-Deutsche“? Und was „deutsche Lebensweisen“?
Der Zufall entscheidet darüber, wer zu welcher Nation gehört. Nichts, worauf du dir besonders viel einbilden könntest. Trotzdem identifizieren sich die meisten Menschen mit „ihrer“ Nation. Was sich zunächst einfach nur komplett bescheuert anhört, bietet den Menschen ein willkommenes Erklärungsmuster: Die täglich erlebte Ohnmacht und Unsicherheit schaffen ein Bedürfnis nach Macht und Sicherheit. Dieses Bedürfnis erfüllt die Nation: Die Unsicherheit im täglichen Hamsterrad bekommt ein Ziel, die Gewissheit, etwas Höherem zu dienen. Das ist doch komisch, denn was nutzt mir eine angeblich tolle Nation, für die ich den Gürtel enger schnallen soll, schneller lernen, härter arbeiten? Patriotismus ist in der Tat eine wahnsinnige Idee. Aber gerade deshalb eignet sie sich so gut, den alltäglichen Wahnsinn sinnvoll erscheinen zu lassen.

A history of violence
Offensichtlich reicht es aber nicht, in Deutschland geboren zu sein, um dazu zu gehören. Auch wenn kein Mensch so genau sagen kann, was eigentlich „deutsch“ ist, scheint es vielen leichter zu fallen, zu definieren, wer „nicht deutsch“ ist: „Schwarze“, die in Deutschland geboren sind und es außer zum Urlaub nie verlassen haben, werden immer wieder gefragt, „wo sie denn eigentlich herkommen“. Deutscher Pass hin oder her.
Woher kommt diese Idee, Leute nach rassistischen Kriterien einzuteilen? Der heutige Rassismus hat eine lange Vorgeschichte, die zusammenhängt mit Kolonialisierung, Versklavung und Massenmord. Die Europäer_innen haben versucht, fast die ganze Welt zu erobern und haben die dort lebenden Menschen versklavt oder gezielt ermordet. Diesen Menschen wurde das „Menschsein“ abgesprochen und sie zu einer anderen „Rasse“ erklärt. „Schwarze“ wurden auf eine Stufe mit Affen gestellt, die „Weißen“ in Europa waren angeblich die Krone der Schöpfung. Die Menschen nach Hautfarbe in „Rassen“ oder „Völker“ einzuteilen ist zwar kompletter Unsinn. Es teilt ja auch niemand die Leute nach Augenfarbe oder Daumengröße ein und behauptet dann, sie wären besonders intelligent oder stark. Rassismus wird heute seltener offen ausgesprochen. Trotzdem ist er immer noch alltäglich. Zum Beispiel in Polizeikontrollen, die „Schwarze“ viel häufiger betreffen als „Weiße“ oder wenn behauptet wird, Menschen mit muslimischer Identität seien sexistischer als die deutsche Mehrheitsbevölkerung.

Mültikültüralizm
Vor allem Liberale, aber auch viele Linke finden, dass Zuwanderung notwendig ist. Nicht nur aufgrund der Anforderungen des Arbeitsmarktes, sondern weil Zuwanderung auch eine kulturelle Bereicherung für Deutschland sei. Schland müsse ein tolerantes Land sein, in dem die verschiedenen Kulturen miteinander leben können. Ein Schmelztiegel der Kulturen. Ich kaufe ein M und möchte lösen: Multikulti. In der multikulturellen Gesellschaft können dann die „temperamentvollen Brasilianer_innen“ mit den „peniblen Deutschen“ zusammenleben. Doch wer sagt eigentlich, dass alle Deutschen penibel und ordentlich sind, wo doch jede_r mindestens eine_n im Bekanntenkreis hat, die richtig verpeilt ist. Und wieso sollen alle Brasilianer_innen heißblütig und temperamentvoll sein? In der Idee von Multikulti werden die Menschen auf ihre angebliche Kultur oder Nationalkultur festgelegt. Anstatt die Menschen mit individuellen Wünschen und Vorlieben zu sehen, werden sie in eine konstruierte Kultur gedrängt. Dieser so genannte Kulturalismus ist nichts Erstrebenswertes, bei dem alle Leute entsprechend ihrer Wünsche leben können, sondern pseudotoleranter Rassismus.
ähnlich wie beim Nationalismus bietet Rassismus in dieser Gesellschaft eine schlüssig scheinende Erklärung für den alltäglichen Wahnsinn: So führt z.B. rassistische Diskriminierung im Bildungssystem dazu, dass unter Abiturient_innen und Student_innen verhältnismäßig wenige Menschen mit Migrationshintergrund sind, wie selbst die UNESCO immer wieder kritisiert. Die einfache rassistische und selbstverständlich falsche Erklärung dafür lautet: Die lernen einfach nicht so fleißig und haben es eh nicht so mit Kultur. Anstatt die systematische Benachteiligung von Migrant_ innen zu skandalisieren, wird den Benachteiligten vorgeworfen, selbst an ihrer Situation schuld zu sein.

Rassismus in der Krise
Rassismus hat in der Krise einen neuen Schub bekommen, da in dieser Umbruchsituation besonders hoher Erklärungsbedarf besteht. Wer versteht schon so richtig, wie es zu den horrenden griechischen Staatsschulden gekommen ist? Indem die Menschen dort zu „faulen Pleitegriechen“ erklärt werden, wird ihnen selbst die Schuld für ihre Lage zugeschoben. Die erbarmungslose Standortkonkurrenz auf dem kapitalistischen Weltmarkt als eigentliche Ursache kann so bequem ausgeblendet werden. Gleichzeitig kann die eigene Erschöpfung noch mit Sinn gefüllt werden: Ich strenge mich die ganze Zeit an, obwohl ich keinen Bock dazu habe, damit es mir besser geht als „den Griechen“. Dass viel und hart arbeiten keinesfalls Sicherheit bietet, geschweige denn ein schönes Leben, liegt dabei doch eigentlich auf der Hand.

Was hat das mit Bushido zu tun?
In der Integrationsdebatte kommen Nationalismus und Rassismus zusammen: Sie integrieren heißt, die Anforderungen der Nation zu erfüllen. Hart arbeiten, nichts fordern, immer weiter machen im Hamsterrad. Wer keine Arbeit findet, wird Hartz IV und sozialer ächtung ausgeliefert. Integration in diese Gesellschaft ist nichts Erstrebenswertes. Anstatt sich gegen diesen Wahnsinn zu wenden, schieben die Menschen die Schuld auf andere, wie z.B. Migrant_innen. Selbst wer als Migrant_in „gut integriert“ ist, also die deutsche Sprache spricht, nicht arbeitslos ist und andere sich verändernde Anforderungen erfüllt, wird doch regelmäßig nach der Herkunft gefragt.
„Richtig Deutsch“ wird man daher nie, höchstens „gut integriert“. Wer als Migrant_in die Anforderungen nicht erfüllt, dem droht die Abschiebung.

(K)ein Ende des Rassismus
Die deutsche Gesellschaft ist durchzogen von Rassismen. Der Karneval der Kulturen und offene rassistische Ausgrenzung sind dabei nur zwei Seiten der gleichen Medaille. Germany ist und bleibt kotzescheiße! Die restliche Gesellschaft mag sich durch angebliche Parallelgesellschaften bedroht fühlen. Aber die eigentliche Parallelgesellschaft ist die deutsche, die auf ihren Privilegien beharrt.
Wer „weiß“ aussieht, kann sich in diesem Land bewegen, ohne rassistisch beschimpft zu werden, ohne nach der Religion gefragt zu werden und ohne sich von Terrorist_innen distanzieren zu müssen. Dies muss in antirassistischen Kämpfen mitbedacht werden.

Es geht um einen Antirassismus, der eben nicht bei Abschiebungen damit argumentiert, dass der_die Migrant_in doch so toll integriert ist und auch richtig gut deutsch spricht. Diese Position stellt sich gegen alle, die diese rassistischen Kriterien nicht erfüllen. Ein konsequenter Antirassismus muss auch den Staat als „ideellen Gesamtrassisten“ in Frage stellen. Denn die groteske Einteilung der Welt in Staaten und deren Nachfrage nach Arbeitskräften legitimieren und fördern den Rassismus erst. Es ist dann kein Mensch mehr illegal, wenn es keine Staaten mehr gibt, welche Grenzen aufstellen und die Menschen per Pass in legal und illegal aufteilen. Für eine Gesellschaft, in der man ohne Angst verschieden sein kann.

Weiter zum Thema:
Straßen aus Zucker# 3: Deutsch = Weiß?

Straßen aus Zucker # 6: Culture? I’d rather kiss a wookie!

KANAK-ATTAK – Mittlerweile aufgelöste antirassistische Gruppe, die sich mit Rassismus und Multikulti in Deutschland kritisch auseinandersetzte.

Das Fest des Huhnes, Dokumentarfilm, 1992.