Das Zürcher Ravepunk-Duo Saalschutz im Gespräch über das neue Album „Nichtsnutz“, DJ Bobo und die Vermischung von Privatleben und Beruf.
SaZ: Das Album kommt musikalisch viel sanfter und ruhiger daher als seine Vorgänger. Warum der Pop?
Saalschutz: Einen aufgedrehten Ravepunk-Smasher zu schreiben, ist uns etwas zu langweilig geworden. Das haben wir oft genug gemacht. Das heißt nicht, dass wir diese Songs nicht mehr mögen oder das nie mehr machen. Aber das war für die neue Platte nicht oberste Priorität. Wir haben zu dem Genre ziemlich viel beigetragen und wollten uns mal ein bisschen in eine andere Richtung bewegen. Also weg vom für uns künstlerisch sicheren Hafen.
SaZ: Dies zeigt sich durch Anleihen aus Jazz, Schlager, Klaviere und Akustikgitarren. Eure Musik ist viel bunter geworden. Der alte Ravepunk ist verwaschen. Ist das eine Konsequenz aus über 100 Konzerten, 4 Alben, zahlreichen Features und Gastauftritten bei befreundeten Musiker_innen? Eine Art natürlicher Reifeprozess einer Band, die ziemlich umtriebig ist und dabei mit den verschiedensten Künstler_innen und musikalischen Vorstellungen in Kontakt kommt?
Saalschutz: Naja, es waren eher vierhundert Konzerte oder so, wir müssten mal nachzählen. Es gibt keine gültige, reine Lehre des Rave-Punk, die dann irgendwie verwaschen werden könnte. Der Begriff an sich ist ja schon ein Witz. Wir haben einfach einen ziemlich breiten Musikgeschmack. Wir greifen auch mal zur Methode, Sachen anti-intuitiv und gegen unsere eigenen Vorlieben einzubauen. Wir setzen dann bewusst auf – vermutlich nicht nur – unsere persönlichen „No Gos“, als Herausforderung an uns selbst und einfach um zu schauen, was dabei raus kommt. MTDF legt in konzertfreien Zeiten fast jedes Wochenende auf oder hilft mit, Parties zu veranstalten.
Wir sind also ständig in Kontakt mit Musik. Wir hatten übrigens schon auf dem ersten Album Akustikgitarre drin, beim ersten Song „Meine kleine Popmusik“. Wir arbeiten eigentlich nach dem Lustprinzip und wir hatten Lust darauf, dass das neue Album anders klingt als das letzte, so wie das letzte anders klingen sollte als das vorletzte. Dazu gehört auch, dass wir jedes mal mit jemand anderem produziert haben.
SaZ: Kommen wir nach der Musik zu den Texten. Diese bewegen sich zwischen Banalität und komplexer Doppelbodigkeit. Puren Slogans habt ihr in der Vergangenheit eine Absage erteilt. Gibt es eine Message, die sich als roter Faden durch das Album zieht?
Saalschutz: Nein. Aber es ziehen sich vermutlich gewisse Themen durch alle Alben.
SaZ: Glaubt ihr, dass das Politische in der Musik besser zwischen den Zeilen oder in Refrains mit klaren Parolen aufgehoben ist?
Saalschutz: Wenn es darum , möglichst viele Leute anzusprechen und zu erreichen, wohl eher zweiteres. Der von MTDF hochverehrte Künstler Georg Kreisler konnte beides sehr gut.
SaZ: Selbstironie („Ich bin die Flasche, er der Deephouse-Milliardär“) und Reminiszenzen an Künstler_innen wie Peter Kraus, die fast niemand kennt, ziehen sich durch eurer Album: Ist das das künstlerisches Konzept zur Konstruktion einer sehr speziellen Saalschutz-Welt oder ist es eine Art Selbstschutz, um sich vor Unverständnis zu schützen?
Saalschutz: Das Lied ist ja nicht von uns, das ist von Sedlmeir. Wir haben nur den Text ergänzt und ein bisschen abgeändert. Peter Kraus war doch mal sehr berühmt, oder nicht? Und Freddie Mercury, Robert Smith oder Debbie Harry würden wir jetzt nicht als Künstler_innen bezeichnen, die kaum jemand kennt. Da sind wir sogar eher die Mainstream-Popschweine.
SaZ: Apropos Mainstream: DJ Bobo (für die Jüngeren: ein Eurodance-Popstar der Jahrtausendwende, der Urvater von ausufernden Bühnen-Choreografien und gefühlt auch Vorbild für Psy’s Pferdtanz) zählt euer Album ein. Was macht der zur Zeit eigentlich?
Saalschutz: Das wissen wir nicht. Berühmt sein vermutlich.
SaZ: Wir wünschen es ihm! In der heutigen Post-Deichkind-Rave-Epoche gibt es zahlreiche Künstler_innen, die mit elektronischem Sound und banalen Texten über ein Lebensgefühl zwischen Drogen, Miami Vice und perspektivloser Euphorie arbeiten. Und Menschen feiern das auch noch. Woher glaubt ihr, kommt dieses Bedürfnis als Künstler_in, sich so auszudrücken. Und woher kommen die Menschen, die dazu tanzen?
Saalschutz: Die Künstler_innen haben gesehen und erkannte, dass sie damit reich werden und dann in der Spex stehen. Und sie wollten das dann auch. Menschen die sich amüsieren wollen, gab es immer und wird es vielleicht immer geben, solange es Menschen gibt.
SaZ: Wenn wir gerade beim Thema Feiern sind. Wenn Mc Fitti euch mal nach einem gemeinsamen Song fragen würde, würdet ihr einwilligen?
Saalschutz: Grundsätzlich wohl schon. Aber wir sind sehr schlechte Kooperateure, wir verleihern sowas oft. Und wir wissen ja nicht mal ob MC Fitti uns mag.
SaZ: Früher habt ihr in den Texten noch (Suggestiv)Fragen gestellt, heute gebt ihr nur noch Antworten – wie hat die Musik eurer Privatleben in den letzten Jahren beeinflusst?
Saalschutz: Diese Frage ist jetzt wirklich zu suggestiv! Also der erste Teil. Wir geben doch sicher keine Antworten. Ansonsten, wir waren viel unterwegs, es ist manchmal schön, manchmal frustrierend. Das Privatleben und das Berufliche verwischen dann auch ein Stück weit, die Freundeskreise überschneiden sich mit der Tätigkeit. Man hat ja durch ähnliche Interessen und Bedürfnisse – einen gemeinsamen Nenner, auch wenn wir dann über alles andere als Musik quatschen. Nicht alle aber viele unserer Freundinnen und Freunde haben was mit Clubs, Kunst, Musik oder so zu tun oder ein Interesse an diesen Dingen.
SaZ: Das neue Album ist ein Doppel mit 60 Minuten Live-Material alter Songs. Darunter auch der Hit „19, 9, 90“. Wer euch schon länger kennt, wird sich an schweißtreibende Konzerte erinnern. Wer nicht, hat etwas verpasst. Wo ist der Hit auf eurem neuen Album? Was treibt uns in Zukunft zu euren Konzerten?
Saalschutz: Was der Hit ist, bestimmen nicht wir. Meistens teilt sich das mit den Hits ziemlich auf. Es gab vielleicht noch nie einen Song, der eine klare Mehrheit findet. Wir wissen nicht ob das für oder gegen die Songs spricht.
SaZ: Vielen Dank fürs Gespräch!