In eurem Artikel „PorNO?…“ schreibt ihr:
„oft auch mit einer bemitleidenden und verachtenden Position gegenüber Pornodarstellerinnen und Sexarbeiterinnen einher, die sich aber selber gar nicht immer als Opfer sahen, sondern viel mehr klarstellen wollten, dass ihr Scheiß-Job eben nur einer unter vielen ist und sie eher bessere Arbeitsbedingungen und gewerkschaftliche Organisierung brauchen als Mitleid.“
Es klingt in diesem Abschnitt doch sehr die Behauptung heraus, sich zum sexuellen Objekt anderer Personen machen zu lassen, wenn auch für Bezahlung, wäre ein Job unter vielen anderen.
Mit Menschen zu schlafen mit denen man ohne die entsprechende Bezahlung sicherlich nichts zu tun haben möchte schon gar keinen intimen Kontakt und die damit einhergehenden Demütigungen können nicht einfach als ein „Scheiß-Job unter vielen“ abgeschrieben werden.
Auch wenn es sicherlich Sexarbeiter_Innen und Pornodarsteller_Innen gibt, die gut damit zurecht kommen und vielleicht sogar einige denen diese Arbeit wirklich Spaß macht, so ist der Großteil dazu gezwungen ihre Intimsphäre gegen Bezahlung aufzugeben, da sie schlichtweg das Geld benötigen.
Vollkommen egal wie gut die Umstände sind und wie toll diese Personen gewerkschaftlich organisiert sind, gerade im Bereich der Prostitution, aber nicht nur ausschließlich dort, ist die Leistung sexueller Dienste nicht einfach ein „Scheiß Job unter vielen“
Alice Miller beschreibt beispielsweise in ihrem Buch „Du sollst nicht merken“ den Durchbruch der Gefühle einiger Frauen die sich prostituierten, nachdem sie sich organisiert hatten und über ihre Gefühle und Erfahrungen miteinander sprechen konnten.
Das Aufbrechen der Gefühle durch die Gespräche untereinander führten bei der beschriebenen Person zu einer tiefen Depression und zwei Selbstmordversuchen, ehe sie das „älteste Gewerbe der Welt“ an den Nagel hing, welches sie zuvor 15 Jahre lang stillschweigend, ja sogar scheinbar mühelos und ohne Probleme ausgeführt hatte.
Dieses Beispiel ist sicherlich nicht zu verallgemeinern, jedoch zeigt es, dass auch Menschen, die sich ihre Belastung nicht anmerken lassen, tief davon betroffen sein können von Fremden Menschen regelmäßig zu Objekten ihrer sexuellen Bedürfnisse gemacht zu werden.
Auch zeigt es und das ist letztendlich auch die einzige Kritik meinerseits an diesem Text, dass man Sexarbeit ob nun Prostitution oder im Filmgeschäft nicht unterschätzen sollte.
mfg e.
Hallo E.,
vielen lieben Dank für dein Feedback.
Die von Dir zitierte Stelle nimmt indirekt Bezug auf die Selbstorganisierung von Sexarbeiter_innen (also etwa Vereinen wie Hydra, aber auch feministische Pornodarstellerinnen und -macherinnen wie
Ovidie, oder linke queere Aktivist_innen aus den USA), die weg wollten von der Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen als ausschließlich Opfern, und stattdessen (jede der oben genannten sicherlich in unterschiedlichem Ausmaß) einen Fokus legen wollten auf die Tatsache, dass JEDE Form von Arbeit unter den Verhältnissen der kapitalistischen Produktionsweise erstmal Ausbeutung, Unterdrückung, Unfreiwilligkeit bedeutet. Und
ausgehend davon eben auch Sexarbeit als „normale“ Arbeit anerkannt bekommen wollten. Und dass es dann eben auch einen Kampf um Arbeitsbedingungen braucht, und kein Mitleid von irgendwelchen Kirchen-Muttis, die Sexarbeiterinnen absprachen, klar denkende Menschen
zu sein.
Damit soll aber nicht abgestritten werden, dass Sexarbeit eine besonders krasse Form von Lohnarbeit (und, ja, in vielen Fällen eben auch von moderner Sklaverei und Menschenhandel, wenn es z.B. um Prostituierte aus manchen afrikanischen Ländern geht, die unter falschen Vorwänden nach Europa gebracht werden) sein kann. In einer Gesellschaft, in der Sexualität eben nicht einfach nur fröhlich-flockig ist, sondern in Gewaltstrukturen eingebunden ist, ist das nicht verwunderlich.
Und wenn man dann noch davon ausgeht, dass die bürgerliche Gesellschaft beständig Menschen scheiße fühlen lässt, und Sexualität mit Intimität in eins gesetzt wird und irgendwie das „Eigentliche“, „Tiefste“ und „Innerste“ von Leuten darstellen soll, ist es vielleicht nicht
verwunderlich, dass Gewalt sich hier so krass und nachhaltig auswirken kann. Nicht umsonst hinterlassen Vergewaltigungen bei den Betroffenen meistens tiefere psychische Verletzungen als wenn jemand „nur“ in eine Schlägerei gerät. Deswegen würde ich Dir zustimmen, dass Sexarbeit
nochmal ein Potential zu besonderer Verletzung hat – der „Verkauf“ von Geschlechtsorganen, aber auch Intimität und Empathie und was eben noch alles so mitspielt, ist unter Umständen schlechter abzuspalten als der Muskelkater nach einem Tag Zementsäcke schleppen.
Und es mag auch sein, dass im Bereich Sexarbeit/Pornographie mehr Menschen mit sexualisierter Gewalterfahrung tätig sind als in anderen Bereichen des Arbeitsmarktes – Alice Miller beschreibt ja ganz gut, wie Gewalterfahrungen abgespalten und dann doch wieder weitergegeben werden
können. Die Frage ist eben, was man daraus macht. Sollte man die Forderungen
von Sexarbeiter_innen nach besseren Arbeitsbedingungen nicht mehr unterstützen? Und damit Leute nicht ernst nehmen, die von sich sagen, dass sie ihren Job behalten wollen (z.B. Berichte von Tabledancer_innen, die den Stundenlohn ganz akzeptabel finden und es gut finden, dominant
gegenüber Typen sein zu können, ohne dass diese sie kontrollieren können)? Alle in Zwangstherapie schicken? … Das soll gar nicht so polemisch klingen, wie es sich liest.
Nur das Problem, dass Leute sich ihr eigenes Elend nicht bewusst machen können/wollen und sich ihre verschissene Situation schön reden, ist sicherlich recht weit verbreitet in dieser Gesellschaft.
Ich würde sagen, dass es sowohl die Notwendigkeit gibt, auf Zwangsaspekte von Sexarbeit hinzuweisen, Frauenhandel im Rahmen von antirassistischen Kampagnen zu thematisieren und entsprechend hier auch Freier aufzuklären und gegebenfalls zur Verantwortung zu ziehen,
genauso wie es eine kritische Thematisierung von Arbeitsbedingungen in der Sex- und Pornoindustrie braucht. Gleichzeitig gehören Sexarbeiter_innen ernst genommen in ihren Forderungen und in ihren Arbeitskämpfen unterstützt.
Weiß nicht, ob das nun ausreichend auf Deine Kritik eingegangen ist – schreib‘ uns sonst gerne nochmal zurück.
Besten Gruß,
Padme, von Straßen aus Zucker
Hallo Padme und der Rest,
vielen Dank erstmal für die Antwort.
Im Artikel kam das Bild von Sexarbeit etwas undifferenzierter rüber, als es deiner Reaktion erklärt wurde. Dass ihr naive Vorstellungen von Prostitution habt, als wäre diese ein Job wie jeder andere, dachte ich auch vorher schon nicht wirklich, trotzdem schön, dass nochmal verdeutlicht zu bekommen.
Die Antwort hat, denke ich, alle Aspekte meiner Fragen abgedeckt. Auch ich denke, dass bei Sexarbeit differenziert werden muss, beispielsweise ob diese selbstbestimmt ausgeführt wird oder aufgrund von Zwängen (das können auch gesellschaftliche oder finanzielle sein) oder auch ob die Personen sich im Beruf dominant verhalten können oder Dinge über sich ergehen lassen müssen.
Auch wäre es falsch von mir alle in dieser Branche tätigen Menschen zu pathologisieren und ich sehe da auch stark die Gefahr der Bevormundung, dennoch glaube ich, dass tatsächlich viele Sexarbeiter_Innen traumatische Erfahrungen hinter sich haben, ob diese nun bereits vor oder während des Berufes erlebt wurden.
Die praktischen Konsequenzen der Unterstützung durch Organisationen wie Hydra o.ä. ändert sich dadurch sicherlich im Kern nicht, jedoch denke ich, dass diese speziellen Umstände bei der Darstellung von Sexarbeit Erwähnung finden sollten.
Und das tun sie ja auch.
Ich hatte wie gesagt vor allem das Gefühl, dass in dem Artikel die Sexarbeit zumindest sprachlich „verharmlost“ wird, auch wenn der Kampf, um die Anerkennung von dieser als „ein[em] Scheißjob unter anderen“ sich teilweise dieser Sprache bedient, um aus der Opferperspektive herauszukommen.
Dieses Gefühl hat sich jedoch danke deiner (eurer?) Antwort keineswegs bestätigt.
Alles Gute,
e.