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Warum Vampire keine guten Boyfriends sind, SM-Sex mit Milliardären nicht unbedingt spannend ist und worum es bei dem „Bechdel-Test“ geht

Franziska ist angepisst. Sie kickt die auf dem Gehsteig liegenden Steine vor sich her. Und das alles nur wegen der Geschichtsstunde in der Schule. Ihre Lehrerin Frau Buva hat über Demokratie und Wahlrecht geredet und dabei auch übers Frauenwahlrecht gesprochen. Dabei hat sie erzählt, dass z.B. in der Schweiz das Frauenwahlrecht erst 1971 eingeführt wurde. In dem Kanton Appenzell Innerrhoden (heißt wirklich so) sogar erst 1990, gegen den Willen der männlichen Stimmbürger und erst nachdem Frauen aus dem Kanton beim Schweizer Bundesgericht Klage eingereicht hatten.
Frau Buva ist dann allerdings ein wenig vom Thema abgeschweift und hat längere Zeit über Sexismus und Lohnunterschiede in der Gesellschaft gesprochen. Nach der Stunde haben sich dann die Jungs und auch ein paar Mädchen das Maul über sie zerrissen, sie sei doch sicher ´ne „Kampflesbe“, das merke man doch schon an ihren kurzen Haaren. Franziska hat sich in dem Moment nicht getraut was dagegen zu sagen. Obwohl Frau Buva echt cool ist und eigentlich ja auch recht hat mit dem was sie sagt.

Stattdessen ist sie jetzt auf dem Weg zu ihrer Freundin Toni, mit der sie für Französisch lernen will. Nach 2 Stunden allerdings raucht beiden der Kopf und sie legen die Bücher beiseite. Toni meint, dass der neue Twilight Film online sei, und ob sie sich den nicht mal anschauen wollen. Franziska steht eigentlich mehr auf Sci-Fi als auf Vampirquatsch, lässt sich dann aber doch überreden. Eigentlich ist der Film doch gar nicht so schlecht, denkt sich Franziska nach einer Stunde, als es plötzlich an der Tür klingelt. Als Tonis große Schwester Marie ins Wohnzimmer kommt, staunt Franziska nicht schlecht. Auf Maries schwarzem T-Shirt steht in großen lila Buchstaben „Riot not Diet“. Franziska kennt Marie schon. Sie spielt Gitarre und singt, naja schreit, in der lokalen Punkband „Axelhaare“. Franziska hatte die Band erst vor 2 Wochen auf dem „Music against Fascism“- Konzert auf dem Hauptplatz gesehen. „Was schaut ihr denn da?“, fragt Marie und starrt auf den Bildschirm. „Oh nein, das ist doch wohl nicht euer Ernst, dass ihr diesen Twilight Müll guckt, oder? Was findet ihr bloß alle an dem Scheiß so toll? Diese Beziehung ist doch wohl beschissener als die zwischen Tom Cruise und Katie Holmes!“, ruft sie.
„Aber er ist doch total süß und er beschützt sie“, giftet Toni zurück. „Ja klar, vor was denn?“, entgegnet Marie. „Vor den Gefahren in die ER sie bringt. Er macht sie total abhängig von sich. Und sie macht auch noch mit. Außer ihrem Edward gibt es überhaupt nichts anderes in ihrem Leben. Hobbys oder andere Freunde? Pfft.. Hauptsache wahre Liebe. So ein Quatsch!“
„Ach, du bist doch nur neidisch, du hättest auch gerne einen Freund wie ihn“, erwidert Toni. „Niemals, da geh ich doch lieber ins Kloster, als dass ich mit einer 150 Jahre alten Discokugel was anfange“, stänkert Marie, macht eine elegante Drehung und verschwindet aus dem Wohnzimmer. Toni verdreht die Augen und drückt wieder auf Play. Doch Franziska kann dem Film jetzt nichts mehr abgewinnen. Denn eigentlich hat Tonis Schwester ja recht. Bella lässt sich die ganze Zeit rumschubsen und Edward erlaubt ihr nicht mal Kontakt mit anderen Männern. Das klingt tatsächlich nicht gerade nach großer Freiheit.
Auf dem Weg nach Hause denkt Franziska nach. Wieso finden so viele Leute Twilight geil? Während des Films hat sie nochmals an die Geschichtsstunde gedacht und nachgerechnet: Wenn Frauen tatsächlich 25 % weniger Lohn als Männer bekommen, dann würden sie ja ein Viertel des Jahres umsonst arbeiten. What the Fuck?!

Zuhause knallt sich Franziska vor den Fernseher und zockt erstmal ein wenig Super Mario. Doch währenddessen fällt ihr auch da auf, dass sie mal wieder nur den toughen Kerl spielt, der die Prinzessin rettet. Dabei würde SIE gerne mal die Prinzessin spielen, die den Kerl rettet, bzw. generell mal eine weibliche Spielfigur. Genervt schaltet sie den Fernseher wieder aus und überlegt sich, ob sie nochmal Lara Croft starten soll. Aber auf Heldinnen mit perfekten Modelmaßen hat sie dann auch keinen Bock. Scheiß Tag, denkt sie sich und geht schlafen.
Am nächsten Morgen verschläft Franziska erst mal und kommt zu spät zum Deutschunterricht. Sie setzt sich wie immer neben Robin, der sie, kaum hat sie sich hingesetzt, angrinst. „Was ist denn los?“ fragt sie. „Ey, gestern hat sich meine Mutter übertrieben komisch benommen, als sie nach Hause gekommen ist. Morgens musste sie früh raus und neben ihrem Bett lag dann dieses Buch: „50 Shades of Grey“, flüstert Robin ihr zu. „Ja, hab davon gehört“, bemerkt Franziska. „Irgendwas mit SM und es verkauft sich angeblich voll gut.“ „Ja, genau“, sagt Robin und kichert, „aber eigentlich ist es ziemlich langweilig. Ich hab‘s heute früh im Bus angefangen zu lesen, ich kann es dir mal ausleihen, wenn du willst?“ Während der Freistunde setzt sich Franziska auf den Gang und liest das ominöse Buch. Doch schon nach einer halben Stunde ist sie ziemlich gelangweilt. Es ist wirklich schlecht geschrieben. Und dazu die Handlung: Die junge unerfahrene Studentin verliebt sich den etwas älteren Milliardär und Unternehmer Christian Grey. Der ist natürlich gutaussehend, charmant, freundlich, also perfektes Heiratsmaterial. Von der ganzen Romantik wird Franziska fast schlecht. Doch leider gibt es ein Problem. Beim Sex steht er auf härtere Gangarten, SM und ähnliches. Die unschuldige Anastasia willigt schließlich ein.

Dann klingelt es wieder zur Stunde und Franziska wird aus ihren Gedanken gerissen. Sie gibt Robin das Buch zurück. Nach der Schule überlegt sie nochmal. Weiterlesen will sie diesen Quatsch eigentlich nicht, aber ein bisschen was erfahren über den Bestseller will sie schon noch. Sie setzt sich also an den Computer und googelt: „Shades of Grey“. Es scheint sich wirklich sehr gut zu verkaufen, aber wird auch von der Kritik verrissen. Die Meisten bezeichnen das Buch als „Mommy-Porn“. Franziska liest, dass die hohen Verkaufszahlen nur daher kommen, weil man das Buch online kaufen und dann auf E-Readern lesen kann. Vielleicht, weil sich die Leute zu sehr schämen es im Laden zu kaufen? Eigentlich ist das Ganze nichts anderes als das „Cinderella-Puppenhaus“ Klischee. Er fühlt sich kastriert, wenn sie ihm mal das Essen zahlen möchte und sie fühlt sich dafür verantwortlich, ihn vor sich selbst zu retten. Was für ein Bullshit. Und der angeblich so verruchte SM-Sex war dann doch nur ein bisschen „Arschversohlen“.
Nee, darauf hat Franziska echt keine Lust, beschließt sie in dem Moment. Den ganzen Nachmittag verbringt sie daraufhin auf feministischen Blogs und Seiten und liest über Sexismus, Heteronormativität, Role Models und Riot Grrls. Vor allem Riot Grrls findet sie interessant. Bands mit feministischen Texten, die Frauen „empowern“ wollen.

Abends muss Franziska auf die Kinder ihrer Nachbarn aufpassen, weil die ins Theater wollen. Als sie ankommt, sitzen Leo und Natalie im Wohnzimmer und starren gebannt auf den Fernseher. Auf dem Sender läuft gerade Werbung. Auch Franziska setzt sich dazu. Gerade spielen zwei kleine Mädchen in hübschen Kleidern mit ihren Puppen. In der darauffolgenden Werbung spielt ein Junge mit Actionfiguren und schießt mit einem Laser. Danach tanzt wieder ein Mädchen durch die Werbung und klippt sich selbstgemachte Spangen in die Haare. In der nächsten Werbung baut ein Junge aus Lego ein Raumschiff und beschießt andere Raumschiffe. Und so geht es weiter und weiter. Süß, flauschig, pink und rosa für die Mädchen. Aggressiv, gewalttätig und blau für die Jungs. Wie eine Ampel mit nur zwei Farben, wechseln sich die Werbungen ab, eine nur für Mädchen und dann eine nur für Jungs. Irritiert steht Franziska auf und schaltet den Fernseher aus. Die Kinder protestieren, aber Franziska will jetzt etwas testen. „Los holt jetzt mal eure Lieblingsspielsachen!“, fordert sie die Kinder auf. Murrend gehen die in ihre Zimmer. Gleich darauf kommen sie zurück, beide Hände voll mit Spielzeug. Natalie hat ihre zwei Lieblingspuppen und Leo seine Actionfiguren mitgebracht.

„So, und jetzt tauscht mal.“, sagt Franziska. Die beiden Geschwister glotzten sie an. „Hääh? spinnst du?“, ruft Leo. „Ich spiel doch nicht mit Puppen, das machen nur die Mädchen.“ „Actionfiguren sind doch voll blöd“, nölt Natalie. Und dann widmen sie sich wieder ihrem Spielzeug, ohne Franziskas Vorschlag weiter zu beachten. Franziska ist für einen kurzen Moment sprachlos. Sie muss plötzlich an letzte Woche denken, als in der Schule schon wieder nach „zwei starken Jungs“ gefragt wurde, die dann Kisten für den Hausmeister schleppen sollten.
Nee, nee denkt sie bei sich, dieser Blödsinn kann so doch nicht weitergehen! Gleich morgen würde sie bei Frau Buva fragen, ob sie ein Referat über die Geschichte des Feminismus halten kann. Und zu Hause wird sie erstmal die verstaubte Gitarre wieder aus dem Schrank holen. Vielleicht brauchen „Axelhaare“ ja noch eine zweite Gitarristin!

„Der Bechdel Test“
Der Bechdel Test stammt aus einem Comicstrip der amerikanischen Cartoonistin Alison Bechdel. In dem Test werden Filme auf 3. Kriterien untersucht:
1. Spielen zwei oder mehrere weibliche Charaktere mit und haben sie Namen?
2. Sprechen diese beiden Charaktere miteinander?
3. Sprechen sie über etwas anderes als über Männer?
Natürlich zeigt der Test nicht wie feministisch ein Film oder eine Serie ist, aber er ist ein guter Indikator für weibliche Beteiligung in Filmen. Probiert es mal aus. Wie viele Filme kennt ihr, die den Test bestehen?

Zum Weiterlesen:
http://www.genderremixer.com – Einfach ein Video von links in die Audiobox und ein Video von Rechts in die Filmbox ziehen. Dann auf „Mashup“ drücken.
http://www.youtube.com/feministfrequency – Videos über Sexismus und Popkultur oft mit deutschen Untertiteln.
http://www.rubytuesdaymusic.de Rock & Hip Hop Camp für Mädchen, Trans* & Inter*