Interview mit NEONSCHWARZ (Captain Gips / Johnny Mauser / Marie Curry)

NEONSCHWARZ heißt seit 2012 das gemeinsame Projekt der drei Hamburger_innen Marie Curry, Captain Gips und Johnny Mauser, die auch zuvor schon solo, zu zweit oder zu dritt unterwegs waren. Bereits 2010 landeten sie mit „On a journey“ zusammen einen Sommerhit, der zum YouTube-Blockbuster avancierte. Von Kiel bis Bern kennt das neonschwarze Dreigestirn wohl jedes autonome Jugendzentrum von innen, hat in Clubs, auf Fusion Hangars und als Vorband von Frittenbude für Begeisterung gesorgt.

Beim Hamburger Superlabel Audiolith haben die drei einen vertrauensvollen Patenonkel gefunden und sind dort in bester Gesellschaft von Bands wie Egotronic, Frittenbude und Supershirt. Bisher erschienen unter Audiolith-Flagge die Captain Gips Singles „Was ihr liebt“ und „Bettman“ sowie das Johnny Mauser Album „Die Sendung mit dem Mauser“ als Vinyl. Jetzt folgen die Doppelsingle „Heben ab / On a journey“ am 10.08.12 sowie die EP „Unter’m Asphalt der Strand“ am 17.08.12.
Anläßlich dieser Veröffentlichungen haben wir exklusiv für Euch ein Interview mit Neonschwarz geführt und das könnt ihr Euch nun hier reinziehen!
neonschwarz straßen aus zucker interview

Ihr habt ja einerseits Texte, mit denen ihr euch politisch positioniert und seid zum Beispiel gegen den Nazi-Aufmarsch im Juni in HH aktiv gewesen. Was ist die Musik für euch – Business, Ausdruck euer Politischen Überzeugung, Kunst?

Captain Gips: Ich mache Musik in erster Linie, weil ich Spaß am Schreiben/an kreativen Output habe. Politische Themen kommen darin vor, weil ich mich privat dafür interessiere. Wenn ich es schaffe damit jmd zum Nach-, bzw. Umdenken zu bringen, freut es mich natürlich, aber der Hauptantrieb ist die Liebe zur „Kunst“…und wenn man damit dann noch Geld verdienen kann, freut man sich natürlich.

Marie Curry: Musik ist für mich zuallererst ein wichtiger Teil meines Lebens, sozusagen ein Soundtrack, der jede Szene schöner oder bedeutender macht. Musik kann Stimmungen erzeugen, verstärken, Erinnerungen und Bilder hervorrufen. Generell ist Musik für mich stark mit Emotionen verbunden wenn ich glücklich bin, singe ich, wenn ich singe, macht mich das glücklich. Das funktioniert in beiden Richtungen. =)
Business ist es schon deswegen nicht, weil wir uns davon bisher höchstens nen Tretroller leisten könnten.

Johnny Mauser: Ich kann das, was Marie gesagt hat, so unterschreiben. Musik bedeutet für mich auch ganz stark Emotion. Die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse bringen bei mir allerdings oft die Emotion „Wut“ zu Tage, so dass ich nicht nur schöne Lieder schreiben kann.
Da ich mir eine andere Welt wünsche, sind meine Texte natürlich auch ganz klarer Ausdruck meiner politischen Überzeugung.

Wie lässt sich das trennen oder eben nicht?

JM: Es gibt politische Kunst und es gibt kreative Formen des Politischen. Das lässt sich kombinieren. Da auch wir den alltäglichen Sachzwängen unterliegen und unsere Miete zahlen müssen, finde ich es gar nicht so schlecht, daraus auch ein kleines Business zu machen.

Das Lied „Nazifreie Zone“ ist ne klare Ansage gegen Nazis – gabs aus deren Reihen Reaktionen darauf?

JM: Außer ein paar Youtube-Kommentaren ist uns nichts bekannt.

Auch das Lied „Patrioten“ oder „Aus purer Feindschaft“ sind welche, dass sich Antifa-Kids sicher gerne in ihr DJ-Set einbauen. Nicht nur in den Texten, sondern auch in Eurem Auftreten ist einiges an „Antifa-Jugend“ zu finden. Ist das eure Zielgruppe? Wen wollt ihr noch ansprechen?

JM: Wir freuen uns über alle, die unsere Mucke supporten. Es hat auch was für sich, wenn Menschen die Texte hören, die sich vorher noch nicht mit linken Positionen auseinandergesetzt haben. Aber wir sind der „Antifa-Jugend“ schon sehr dankbar, da es die Jugendlichen sind, die größtenteils zu unseren Konzerten kommen, diese teils organisieren und uns viel Zuspruch geben.

CG: Klar, Antifa-Kids. Aber es wäre auch schön, wenn durch unsere Musik auch „normale, unpolitische“ Kids Zugang zu Hiphop-Musik finden, die sonst durch das endlose Rumgemacker eher abgeschreckt sind. Wir bieten ja eine Alternative zu Schwanzvergleichen.

Bei „Patrioten“ gehts zum Beispiel um die neue „Deutschness“, die auch Samy Deluxe repräsentiert, der ja mal ganz schön kritisch gegenüber diesem Land war. Der ist nur ein Beispiel, MC Harris fordert von (ehemaligen) Migrant_innen sogar, sie sollen sich benehmen und arbeiten gehen und droht an, sie sonst zum Flughafen zu bringen. Der hat sogar vor 2 Jahren nen Integrationspreis dafür von der Bundesregierung gewonnen. Wie erklärt ihr Euch den wachsenden, positiven Bezug auf ’schland, grade in der Szene?

JM: In dem Sinne ist die HipHop-Szene ja auch nur ein durchschnittlicher Teil der deutschen Gesellschaft. Obwohl es ja natürlich Ausnahmen gibt und ich hätte mir gewünscht, Samy wäre eine davon gewesen. Dass der Nationalismus seit Neuestem als etwas Positives verstanden wird, finden wir sehr gefährlich. Die deutsche Geschichte alleine sollte schon Warnung genug sein.
Ich habe schon das Gefühl, eine krasse Außenseiter*innen-Rolle einzunehmen, wenn ich bei der EM anspreche, dass es einfach scheiße und vollkommen unreflektiert ist, sich stolz in seine Flagge einzuhüllen.

Gibts nochwas, das Euch am HipHop nervt? (Und am Rest der Welt?) Mit welchen Themen beschäftigt ihr euch noch?

CG: Am Hiphop nervt am meisten das homophobe, frauenverachtende Gemacker, wobei man den Eindruck hat, dass momentan auch wieder andere Künstler Gehör finden und die große Welle des „deutschen Gangsterraps“ ein wenig abebbt.
Neben diversen politischen Themen beschäftige mich sonst noch mit Liebe, Feierei und gezwungender Maßen mit dem ganz normalen Wahnsinn, den der Kapitalismus so hervorbringt…

MC: Mich stört der Sexismus, der nach wie vor sehr präsent ist, das Frauenbild, der Umgang zwischen Männern und Frauen, wie er in vielen Texten vermittelt wird. Ich frag mich, wieso das überhaupt nötig ist – es ist nicht innovativ und bei der starken Verbreitung taugt es auch zur Provokation nicht mehr richtig. Wer sowas zur Demonstration der eigenen Männlichkeit nötig hat, der zeigt meiner Meinung nach eher Schwäche als Stärke.

JM: Ich denke auch. Bis mensch in der HipHop-Szene mal über Queers oder die Dekonstruktion von Geschlechtern reden kann, vergehen bestimmt noch 20 Jahre. Hoffentlich rappen wir dann noch. Bisher ist ja das Wort „schwul“ noch immer ein breit akzeptiertes Schimpfwort. Neben diesem großen Thema des Sexismus und der Homophobie finden sich in meinen Augen in letzter Zeit auch immer mehr antisemitische Züge in deutschsprachigen Releases.

Was haltet ihr aktuell vom sehr männerlastigen deutschen Hiphop? Wie findet ihr könnte man derartige Strukturen durchbrechen oder aufbrechen?

MC: Mehr Sookee hören.

JM: Ja, Sookee hören wäre ein Anfang. Es wäre cool, mehr irritierende Momente zu schaffen. Punkte, bei denen die durchschnittlichen Hörer*innen erst zusammenzucken und dann doch denken: „Hey cool!“

Auf jeden Fall ein guter Ansatz. Inwiefern versucht ihr aber manchmal auch selbst aktiv zu werden und selber da mal so etablierte Normen und Strukturen aufzubrechen? Wie verhaltet ihr euch, wenn ihr auf euren Konzerten so sexistische Kackscheiße erlebt?

JM: Diese irritierenden Moment schaffen wir höchstens in Nebensätzen unserer Texte. In unserem neuen Song „Heimat im Herzen“, der im August auf unserer neuen Platte drauf ist, sage ich zum Beispiel „…mach ich Poserfoto in einem Minirock in pink mit einem Bengalo!“
Naja, sowas würde ein durchschnittlicher HipHop-Hörer nicht von einem Rapper erwarten und vermutlich auch nicht akzeptieren. Ansonsten, denke ich, verhalten wir uns auf der Bühne auch anders als Mackerrapper. Sexistische Kackscheiße erleben wir auf unseren Konzerten erfreulicherweise sehr selten. Wenn einer in der ersten Reihe aber meint, oberkörperfrei alle anderen anzutanzen, dann sagen wir schon was. Eine Frau könnte das halt nicht machen zum Beispiel.

In euren Texten bezieht ihr euch teilweise sehr positiv auf Militanz. Was haltet ihr von Gewalt und Militanz, textlich und praktisch?

MC: Peace!

JM: Haha! Sehr schwieriges Thema, das ich persönlich auch selbstkritisch betrachte. Es gibt Umstände, die einen dazu bewegen, so etwas zu schreiben. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, außer dass ich mir im Endeffekt eine Welt ohne Gewalt wünsche. Ach ja, und was ich immer schon mal sagen wollte: In meinem Song „Ein bisschen mehr“ sage ich, dass es manchmal richtig ist „zu mackern“. Das bezieht sich nicht auf Männlichkeit, sondern auf den Umgang mit Nazis. Dazu stehe ich auch weiterhin!

CG: Ich selber bin kaum zu Gewalt in der Lage, aber ich glaube, dass es LEIDER Menschen gibt, die so überzeugt von ihren menschenverachtenden, freiheitsbeschränkenden oder religiösen Ansichten sind, dass in einigen wenigen, bestimmten Situationen Gewalt angewendet werden muss, um etwas besseres zu erreichen/ zu erhalten. Das ist sehr traurig und ich habe keinerlei Verständnis für „Spaß an Gewalt“.

MC: Genau, Gewalt sollte auf jeden Fall nicht zum Selbstzweck werden.

Noch eine Nachfrage zu dem von dir erwähnten Zitat übers „mackern“ aus „Ein bisschen mehr“ Natürlich ist es wichtig gegen Nazis aufzutreten, auch militant, aber findest du nicht, jetzt im Rückblick, dass der Song das zu sehr glorifiziert? In der Praxis schaut es dann oft so aus wie auf manchen Stickern, 5-20 (meistens Männer) halten Telis und Bengalos und schauen grimmig, auch auf Demos wird aus dem notwendigen Selbstschutz und dem Angriff dann oftmals identitäres Rumgeprolle.

JM: Für diesen Song wurde ich teils aus den Gründen kritisiert, die ihr gerade genannt habt, und diese Kritik ist auch völlig berechtigt, wenn mensch sich nur diesen einen Song anhört. Allerdings frage ich mich, wieso das Lied dann nicht im Kontext der restlichen Songs gesehen wird.
Wenn ich Texte über Alltagsrassismus, Nationalismus oder ländliche Regionen, in denen Nazis und Bürger*innen gemeinsame Sache machen, schreibe, dann sind das die Motive, warum ich z.B. auf eine Antifa-Demo gehe und mich aktiv gegen Nazis einsetze. Ab dem Moment haben die Faschos dann ein echtes Problem mit mir und es kann zu der Situation kommen, dass mensch aufeinander trifft. Der Song ist vor allem für die Leute gedacht, die in Kleinstädten oder Dörfern wohnen, sich nicht einschüchtern lassen und den Nazis zeigen, dass sie sich verpissen sollen.
Die sind zwar oft in der Unterzahl, aber machen trotzdem ihre politische Arbeit, und antifaschistischer Selbstschutz wird dann leider ein Teil davon. Ich selber halte präventive Bildungsarbeit, den Aufbau einer Gegenkultur, Erinnerungsarbeit usw. für deutlich effektiver, um dem Problem „Neofaschismus“ zu begegnen. Aber ich bin schon Realist und weiß, dass mensch mit Faschos nicht über ihre menschenverachtende Ideologie einfach diskutieren kann. Fan von Gewalt bin ich trotzdem nicht.

Danke für das Interview!

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