Ein Brief

Anstelle einer Einführung in das Thema der Ausgabe

Liebe Straßen aus Zucker,
als ich im Herbst letzten Jahres das erste Mal auf einer Occupy-Demo war, wusste ich noch nicht mal, dass es euch gibt. Auch wusste ich vieles andere noch nicht und die Welt mit all ihren Problemen erschien mir damals viel klarer als heute. Als ich an einem Samstagmorgen im Oktober mit meinem Kumpel Jo nach Frankfurt auf die Occupy-Demo fuhr, waren wir ziemlich aufgeregt und voller Vorfreude. Das erste Mal in unserem Leben taten wir etwas, das wir für wichtig hielten. Es war unsere erste Demo. Für uns war klar, was die Politiker gerade während der Krise machen, ist falsch. Während Banken Millionen von Euros bekommen, geht die Welt vor die Hunde. Mittlerweile sehe ich das alles ein wenig anders. Die Krise erscheint mir inzwischen so komplex, dass ich gar nicht mehr weiß, was richtig ist und was man tun soll. Macht es Sinn, dass Deutschland irgendwelche Banken rettet? Hilft mir das? Und dieses ganze Griechenland-Ding – warum will Deutschland unbedingt den griechischen Staat retten? Bringt denn das den Leuten vor Ort eigentlich was? Naja, diese Krise nervt mich nur noch. Ich weiß nicht, was die mit mir zu tun hat. Ich weiß nicht, ob ich die ernst nehmen soll. Noch weiß ich wo die herkommt und wie es weitergeht.
Zurück zu Occupy: Zusammen mit Jo bin ich nach der ersten Demo öfters nach Frankfurt gefahren. Wir nahmen an den Asambleas teil und haben sogar ein paarmal mit vor der Europäischen Zentralbank gezeltet. Das war ´ne richtig gute Erfahrung. Wir haben coole Leute kennen gelernt, viel diskutiert und das Gefühl gehabt, was reißen zu können. Etliche Male habe ich auch mit Leuten von Parteien diskutiert. Meistens waren die meiner Meinung. Sie meinten aber, wenn wir wirklich etwas verändern wollen müssen wir uns eben in einer Partei engagieren. Irgendwie hatte ich dagegen eine Abneigung. Parteien gibt es doch schon ewig und trotzdem bleibt alles gleich. Occupy erschien mir da anders. Es fiel aus dem Rahmen. Es war etwas Neues und völlig unabhängig von irgendwelchem Parteigedödel. Aber so richtig sicher bin ich mir da nicht. Vielleicht ist es doch richtig bei einer Partei mitzumachen? Funktioniert so Demokratie?
Langsam kam der Winter. Auf den Asambleas waren immer weniger Leute und immer mehr Freaks. Jo und ich sind dann immer seltener hingefahren. Irgendwann gar nicht mehr. Aber die vielen geknüpften Freundschaften und der Wille etwas zu verändern blieben. Eine von den Frauen, Alex, die ich mal auf einer Asamblea kennengelernt habe, ist in Frankfurt in einer Antifa-Gruppe. Bis dahin bestand mein Bild von der Antifa aus schwarzen Hoodies und grölenden Steineschmeißern. Ein Buch, das sie mir gab, über die Geschichte der Antifa änderte mein Bild ziemlich schnell: Echt beeindruckende Bewegung mit ´ner richtig langen Geschichte. So etliche Gedanken finde ich durchaus sinnvoll. Alex lud mich zu einem Treffen von ihnen ein. Also packte ich Jo ein und wir fuhren wieder nach Frankfurt. Diesmal zu einem Plenum. Ganz schön was passiert in letzter Zeit. Vor drei Monaten war ich noch nicht mal auf einer Demo und jetzt sitze ich auf einem Antifa-Plenum. Jo und ich waren ganz schön überrascht, dass die nicht nur schwarze Hoodies tragen, sondern auch total ernst diskutieren und sich mit gesellschaftlichen Problemen beschäftigen. Konsens bei allen Themen war aber immer, dass es eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft geben muss. Von nicht reformierbaren Problemen war dauernd die Rede. Jetzt war ich erst richtig verwirrt. Vor ein paar Monaten forderte ich noch klare Sachen von der Politik und die Leute hier fordern gar nichts – nur die Revolution. Ich stimme denen ja zu, dass die Krise nicht durch irgendwelche Reformen verschwindet, aber manche Probleme könnten wir doch versuchen durch Gesetzesänderungen hier und jetzt zu lösen. Fragen über Fragen. Dauernd werden mir Bücher empfohlen. „Lies mal das und das. Das ist voll gut. Da wird dir einiges klar werden“. Eigentlich wollte ich jetzt und hier etwas ändern, aktiv werden und nicht erst ein halbes Philosophiestudium absolvieren. Hier beim Plenum heißt es dann immer, Theorie und Praxis müssen Hand in Hand gehen. Manche von denen sehe ich dann wiederum nur auf den Treffen schlauen Sachen sagen. Wenn wir irgendwelche Aktionen machen sind sie aber nie dabei. Andere wollen dauernd irgendein Transpi malen und würden am liebsten den ganzen Tag ´ne Demo machen. Bei all den Fragen, erscheint es mir dann doch sinnvoll wirklich erst mal ein wenig zu lesen. Und im Café ExZess habe ich dann eure Zeitung gefunden. Dort gab es leider nur 2 Ausgaben #3 und #6, könnt ihr mir die restlichen schicken? Und was denkt ihr über diese nervige Krise? Wie organisiert ihr euch? Stellt ihr euch ähnlich Fragen über Reform oder Revolution? Und wie praktisch ist eure Theorie oder wie theoretisch eure Praxis? Ich würde mich über ´ne Antwort sehr freuen.

Viele Grüße

Robin