„Die Antifa find ich super Scheiße“

Interview mit Sila Sönmez. Sie hat gerade den Roman „Das Ghetto-Sex-Tagebuch“ veröffentlicht.

Daraufhin wurde sie von BILD und Co. zur „härtesten Sex-Autorin“ ernannt – womit dann „Sex“ auch fast zum einzigen Thema für die meisten Interviews wurde. Was das Buch zeigt, fiel dadurch völlig unter den Tisch: den Alltag einer 17-jährigen, die versucht, sich inmitten der auf sie einprasselnden Etikettierungen ein bisschen Glück zu organisieren. Da geht es eben auch um Freund_innenschaften, Armut, Drogen und Langeweile, Rassismus, Religion und rich kids.
Wir saßen mit Sila vier Stunden zusammen und als wir sie auf den Antifa-Hoodie ansprachen, den sie laut der Wochenzeitung Jungle World trägt, stiegen wir direkt in die Diskussion ein.

Sila: Das war nur ein Hoodie mit dem Aufdruck: Schieß doch, Bulle. Die Antifa find ich super Scheiße. Ich war bei der 1. Mai-Demo und habe erlebt, wie die ihre eigenen Leute mit Steinen beworfen haben, weil sie‘s nicht gecheckt haben. Und so ein Klischee-Typ mit Rastas und ’ner PKK-Flagge machte mich als Türkin an. Dabei hatte ich ihn lediglich gefragt, warum er die Flagge trägt. Ich find einfach alles, was irgendwie menschenverachtend und nationalstolzfördernd ist, scheiße. Ist mir doch egal, ob ein Mensch Kurde, Türke, Albaner oder Deutscher ist.

SaZ: Das teilen wir schon, aber das ist für uns halt nicht „die Antifa“. In der Szene gibt es sicher auch ‚ne Menge Mackergesten, Patriotismus und Desinteresse. Aber für uns ist Antifaschismus halt erst mal ein Selbstschutz, also Arbeit gegen Nazis auf allen Ebenen. Und Randale, wenn sie nicht planlos ist, ärgert uns jetzt auch nicht so arg – da sehen wir halt einen Ausbruch aus dieser bleiernen Lethargie in jener Scheiße hier.

Sila: Ja, ein Mal geplant am 1. Mai machen wir dann Randale, hui. Ein Mal im Jahr dürfen wir alle ausrasten. Das ist doch nichts anderes als Karneval.

SaZ: Dann ist aber das „einmal im Jahr ausrasten dürfen“ das Problem? Aber klar, warum nicht öfters, warum gab es z.B. keine riots gegen Lesungen von Sarrazin – sorry, Du wolltest ja nicht mehr über den reden müssen. Aber: Da stellt sich einer hin, zündelt mit Rassenbiologie rum und hetzt dumpf gegen Migrant_innen. Warum passiert da so wenig?

Sila: Naja, ich glaub, es gibt da so ’ne Müdigkeit, sich dagegen zu wehren, weil sich viele migrantische Leute denken, dem wird ja auch in den Mainstream-Medien schon widersprochen. Und es gibt die Hoffnung, die Bedrohung wird schon nicht so schlimm, und dass man hier sowieso von der Mehrheitsgesellschaft nichts Freundliches erwarten kann. Ein Beispiel: Als ich mal überlegte, ob ich nicht ein Interview in meinem alten Kölner Ghetto-Kiez machen will, winkten voll viele meiner türkischen Leute aus dem Viertel ab. Die meinten, Fernsehteams wären schon öfters zu ihnen gekommen und hätten immer eine total herablassende Berichterstattung gemacht. Die filmen viele Stunden Gespräche mit Menschen und senden dann fünf Minuten, in denen irgendwelche Kids rumprollen und sagen: „Ey, yoyo, voll Ghetto hier.“ Die wollen nicht mehr in Dokus à la „Diese Jugendlichen lassen niemanden mehr an sich ran“ Statisten sein. Und diese Dokus haben bei YouTube die meisten Klicks und da bilden sich dann eben Bilder von der türkischen Community. Und in der das Gefühl, dass man sowieso nichts zu erwarten hat und die immer nur zu hören bekommen: „Hey, Kanake!“ Die gehen dann dort hin, wo sie ein sicheres „Wir“ finden. Und das ist eben allzu oft die Religion.

SaZ: Du – wie auch Deine Romangestalt Ayla – seid nicht gläubig, müsst Euch aber ständig als Muslima ansprechen lassen. Wie ist das?

Sila: Ja, ich bin nicht gläubig. Religion ist für mich der größte Mist. Wenn jemand gläubig ist, soll er das machen. Aber gesellschaftlich ist Religion einfach ein Rückschritt. Und ich bin auch nicht so erzogen worden. Meine Eltern sind recht links, sie haben für akademische und demokratische Rechte an der Uni gekämpft, für sexuelle Freiheit, gegen die Diskriminierung der Frau. Für die Beteiligung an diesen Revolten an den Universitäten und das Verfassen von linken Schriften kamen einige in Haft, einige wurden sogar umgebracht, mein Vater flüchtete nach Frankreich, kam nach Deutschland. Und wie krass ist das für ihn, wenn er sieht, dass hier die Jugend islamisch ist. Er hat für die Freiheit gekämpft und dann erlebt er so was. Meine Eltern haben mir auch immer gesagt: Du kannst mit jedem Freund nach Hause kommen, aber schlepp uns bitte keinen Religiösen an. Und ich hab gegen Religiöse dann auch immer gerne rebelliert und denen gesagt: Nein, so ist das nicht. Was aber Dir Probleme macht, Du hast irgendwann nur noch Stress. Und dann gehste zu den Deutschen und musst Dich für den Islam und deren orientalistische Stereotype verteidigen und bei den Türken musst Du Dich als verdeutscht beschimpfen lassen. Du bist nur noch in der Haltung: Ich muss irgendwas verteidigen, weil ich in irgend‘ne Kultur gesteckt werde.

SaZ: In der BILD sagst Du, dass Du Dich bei Deinem Vater für das Buch entschuldigt hast, beim Schweizer Blick, dass Dein Vater das Buch nicht lesen darf. Warum gerade Dein Vater nicht?

Sila: Das hat auch wieder die Presse gemacht. Ich hab gesagt, fänd ich eklig, wenn das meine Eltern lesen. Aber als Türkin muss ich natürlich gesagt haben: Mein Vater darf das nicht lesen. Eins der vielen Dinge, wie Bilder „vom Ausländer“ reproduziert werden.

SaZ: Du willst durch Aylas freien Umgang mit Sexualität das Klischee vom braven, passiven Mädchen brechen. Aber wenn der Kölner Stadtanzeiger „nymphoman“ schreibt, verfällt er schon wieder ins nächste Klischee. Wie, denkst Du, kann weibliche Sexualität aus diesen Rastern ausbrechen?

Sila: Ich beschreib in dem Buch ja ziemlich oft, dass Ayla genau mit diesen Etiketten beworfen wird und dann auch selber zweifelt, ob sie ehrlos sei. Und sich schämt. Das ist so doof, aber solche Labels gehen ja nicht spurlos an einer vorbei.

SaZ: Das fanden wir auch an Ayla cool – die will aus diesen ganzen Etikettierungen von „Deutsch-Türkin“ und Frau ausbrechen.

Sila: Ich fand es übelst cool, da eine Figur zu beschreiben, wenigstens eine, die nicht nach dem Stereotyp ist, den es hier gibt: die Frau, die Kinder gebärt, die eingeengt ist vom Vater und der Religion und die weggeschickt wird, wenn sie den oder den nicht heiratet. Es gibt eben ganz viele türkische Mädchen, die eben nicht so sind, die genauso normal… Naja, was heißt schon normal, die anderen sind ja auch „normal“. Mir war es eben wichtig, dass da eine Person ist, die einfach mal alles durchprobiert, auch sexuell. Normalerweise gibt es halt all die Bücher, wo das junge Mädchen sagt: Och, ich hab mich ja so verliebt. Und dann verhält sie sich ganz süß und trottelig. Das fand ich nervig und da wollte ich andere Realitäten zeigen. Und damit gilt sie dann als Schlampe, das kotzt mich so an. Typen, die mit vielen Frauen Sex haben, gelten als cool und Frauenschwarm, aber Frauen dürfen so was nicht. Echt kacke. Sex ist gut, Sex ist nett und wenn man das aus freien Stücken will, soll man es machen.