Dirk von Lowtzow ist Sänger und Gitarrist bei „Tocotronic“. Die Songs der Hamburger Band finden sich auf Solisamplern wie „Move against G8“, die Band spielte Konzerte für den Hamburger Bauwagenplatz „Bambule“ oder den feministischen Verein „Wildwasser“ und rührte letztes Jahr die Werbetrommel für die „Aktionswochen gegen Antisemitismus“. Wir trafen Dirk an einem heißen Sommertag auf den unzuckrigen Straßen Berlins.
Dirk, wem hast du bei der WM die Daumen gedrückt?
Niemandem, was aber hauptsächlich damit zu tun hat, dass ich überhaupt kein Fußballfan bin. Manchmal lässt sich das Gucken nicht vermeiden, weil alle Freundinnen und Freunde im Fußballfieber sind und man da nicht in die totale soziale Isolation geraten will, aber ich bin da eigentlich überhaupt nicht begeistert. Wobei man sagen muss, dass der Jogi Löw ein ganz schöner Mann ist (lacht) – ich glaube, ich hab da eher so eine optische Herangehensweise.
Aber ich bin natürlich froh, wenn die Beflaggung und das alles ein Ende hat. Und ich bin immer erleichtert, wenn Deutschland nicht unbedingt das Finale erreicht, dann spitzt sich das ja immer noch alles zu.
Auf dem Sampler „I can’t relax in Deutschland“ singt ihr: „Aber hier leben, nein danke“. Warum eigentlich nicht?
Es ist wie bei vielem von uns schwer, dem Song eine ganz eindeutige Bedeutung zu geben. Aber das Lied wurde zu einer Zeit geschrieben, als eine nationale Identitätsbildung sehr gewünscht und auch von medialer Seite propagiert wurde. Es gab diese Mobilisierungskampagnen wie „Du bist Deutschland“, Zeitungscover mit Sprüchen wie „Kopf hoch, Deutschland“… Leute damit regelreicht malträtiert. Wir wollten auf unsere kryptische Art da was dagegen halten. Das Lied erzählt ja von romantischen Bilder, von Tieren im Wald und so – ganz viele Sachen, die man interessant findet, aber der unbedingte Glauben oder das Gefühl hier, in diesem Land gerne zu leben, das will man eigentlich nicht. Das wurde dann auch zu einer Parole.
Es ist kein Geheimnis, dass Tocotronic keine Freunde von nationalen Inszenierungen sind. Wie seid ihr denn überhaupt zu so einer Haltung dazu gekommen?
Sozialisiert wurden wir als Teenager mit Punk und Hardcore, also einer dezidiert linken, antinationalistischen, anti-chauvinistischen Jugendbewegung , wie auch mit Ideen wie Vegetarismus, die unser Leben beeinflusst und geformt haben – und ich bin immer noch Vegetarier.
Und aktuell gab es dann Anfang der Nuller Jahre diesen neuen Nationalismus – da merkte man, dass sich wirklich was geändert hatte. Es gab nach dem 10jährigen Jubiläum des Mauerfalles ein neues Denken, das ganz stark in die Richtung ging, dass man die Vergangenheit ruhen lassen und endlich wieder stolz auf sein Land sein könnte. Vorher war das Verhältnis zu Deutschland viel zerknirschter, auf so einer breiten Front gab es diese Mobilisierungsstrategien nicht. Das geht auch einher mit einem ausgeprägten Anti-Intellektualismus, einem Backlash gegenüber bestimmten Formen von kritischem Bewusstsein. Solche Lieder wie „Aber hier leben, nein danke“ entstehen einfach auch aus einer extremen Wut gegenüber dieser blödsinnigen Gehirnwäsche.
Und worum geht’s in dem Lied „Kapitulation“, was ja auf dem Album mit dem gleichnamigen Titel ist?
Bei dem Lied ging es darum, mit einem geschichtsrevisionistischen Denken konfrontiert zu sein, wo Deutschland sich als Opfer des Zweiten Weltkriegs begreift und beispielsweise den Bombenopfern von Dresden gedenkt. Da machte es Sinn, ein Lied, eine ganze Platte zu machen, die „Kapitulation“ heisst, um dem was entgegen zu setzen. Obwohl das Lied auch noch andere Facetten als die rein politischen hat: Es geht auch um persönliche Gefühle wie Schwäche oder Zerrüttung. Aber der Titel entspringt sicherlich einem Trotzgefühl, einer Anti-Haltung gegenüber dem gegenwärtigen Denk-Mainstream.
Ist dieser nationalistische Denk-Mainstream auch im Musikbereich spürbar?
Ja, das ging auch einher mit dem Versuch, Musik zu nationaliseren. Da wurde versucht, uns einzugemeinden, weil wir deutsche Texte machen. Plötzlich gab es in Hamburg dezidiert linke Punk- und Hardcore-Bands, die sich darüber freuten, dass alle sie verstehen können, und es geil fanden, in „ihrer Sprache“ zu singen. Auch der Versuch, eine Deutschquote zu installieren, ging in die Richtung. Dagegen haben wir uns natürlich auch gewehrt, weil es einfach total nationalistischer Schwachsinn ist.
Wie ist es, sich mit solchen antinationalistischen Einstellungen im Popbusiness zu bewegen? Stößt ihr damit an, oder wird das unter „Freiheit der Kunst“ subsumiert?
Teils, teils. 1996 haben wir einen Preis von VIVA mit dem Titel „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ auf offener Bühne abgelehnt, und das hat schon einen Aufschrei gegeben – das fanden die nicht so witzig und es war klar, dass wir da angeeckt sind. Gleichzeitig ist das, was wir sagen, bei den Leuten, die uns hören, schon irgendwie Konsens. Da hatten wir bisher nicht so Probleme. Aber es gibt bestimmt Verantwortliche bei Radiosendern, die uns aufgrund dieser Haltung für bescheuerte, ewig unzufriedene Nörgler halten. Aber ob jetzt diese linke, anti-nationalistische, anti-chauvinistische, anti-sexistische, anti-heteronormative Haltung unserer Karriere geschadet hat, das wage ich zu bezweifeln.
Auf eurem letzten Berliner Konzert habt ihr die Leute mit „Genossinnen und Genossen“ adressiert, und eine klare antinationale Ansage vor „Aber hier leben…“ gemacht. Das sind vermutlich Einstellungen, die Teil des Publikums gar nicht teilt. Ist das eine Strategie? Ein Spiel? Wollt ihr eine Message loswerden?
Das ist immer ein schmaler Grad. Man will das Publikum ja nicht belehren und unangenehm pädagogisch werden. Deswegen hat es bei uns auch immer was Spielerisches. Aber es ist uns auch sehr ernst bei einem Stück wie „Aber hier leben…“. Wenn jemand ein Problem mit der Aussage hat, dann hat er – ganz böse ausgedrückt – auf einem Konzert von uns auch nichts zu suchen. Ich setze schon voraus, dass die Leute, die zu uns kommen, diese Ansichten im Großen und Ganzen teilen. Die werden in ihrer Freizeit vermutlich nicht Rammstein hören und die Deutschlandfahne am Auto flattern lassen. Und wenn doch, ist es ja auch ganz schön, wenn sie darauf gestoßen werden – und zwar ohne, dass man pädagogisch kommen will oder Leute irgendwie entmündigen.
Aber bei Großveranstaltungen wie Rock am Ring, wo Rammstein der Headliner ist und bei ihrer Show die Bühne mit einer riesigen Deutschlandfahne verhüllen – da tut’s schon weh. Da kann man nicht davon ausgehen, dass einem alle wohlgesonnen sind. Aber da ist es doppelt spannend, aufzutauchen und sich mit unserer Art zu präsentieren: Durch die Lieder, die Texte, die Ansagen, oder auch einfach durch das un-machistische Auftreten, das uns immer extrem wichtig ist. Im Gegensatz zu dem Üblichen machistischen Gebaren, was viele Bands an den Tag legen, stellen wir ja eher eine gewisse Effeminiertheit zur Schau.
„Stürmt das Schloss“ fordert ihr in dem gleichnamigen Song auf eurem letzten Album. Wie haben wir uns das vorzustellen?
Der Impuls war eigentlich unsere Empörung über die deutsch-europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik. Da hatte ich die Idee, ein Lied mit der Schloss-Metapher von Franz Kafka zu schreiben, dessen Aussage ist: „Kommt alle hierher und stürmt dieses Schloss“, die Festung Europa. Und wie bei alten Hardcore-Bands wollten wir 3 Buchstaben im Titel haben – das wurde dann witzigerweise SDS, also das Kürzel des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes. Kurz danach kam noch die Debatte um das Berliner Stadtschloss, das hat uns dann auch ganz gut in den Kram gepasst. Einerseits ist das also politisch, aber andererseits auch nicht zu eindeutig, so dass es nicht komisch flach oder eindimensional wird. Ich glaube, dass Kunst jeder Art wirklich nur politisch werden kann, indem verschiedene Assoziationsfelder übereinander gelagert werden, indem die Betrachterin oder die Zuhörerin dann weiterspinnen kann. Wenn man Kunst politisch machen will, muss man aber auch vermeiden, dass man zu intentional wird. Das Intentionale hat auch oft was ungemein Autoritäres – so eine Indoktrination, das Sprechen von einer höheren Position, Leuten was einflössen. Das wollen wir vermeiden.
Du hast dich bei den letzten „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ engagiert, ein DJ-Set bei der Antifaaktion in Zossen im Juni gemacht, ihr habt vor einigen Jahren ein großes Soli-Konzert auf dem Alexanderplatz unter dem Motto „Deutschland, du Opfer“ gespielt…warum sind Euch solche Aktionen wichtig?
Bis auf Einzelfälle und bestimmte Lieder ist es sehr schwierig, Popmusik auf eine gute Art politisch zu machen. Weil wir uns aber alle als politisch, als links begreifen, finden wir es wichtig, auch außerhalb der künstlerischen Tätigkeit Position zu beziehen. Und das sind dann eben solche Anlässe. Zossen fand ich eine extrem wichtige Aktion, weil man da sozusagen in das Herz der Finsternis hineingeht. In solchen Regionen ist ja das Gruselige, dass das bei einem Großteil der Bevölkerung auf totales Unverständnis stößt und antifaschistische Arbeit dann versucht wird zu kriminalisieren, so nach dem Motto „Linksextreme wollen wir auch nicht.“ Dem muss man was entgegensetzen.
Der Nachteil von vielen politischen Veranstaltungen ist ja oft, dass es sich um „preaching to the converted“ handelt, da schon ein Konsens herrscht über bestimmte Sachen. Aber wenn man in solche Regionen geht, ist das natürlich anders. Super war auch, wie das Ganze aufgezogen war: dass beispielsweise gleichzeitig auch Antisemitismus und Sexismus thematisiert wurde. Und speziell Antisemitismus ist ein Thema, was mich persönlich immer sehr beschäftigt hat.
Das Konzert „Deutschland du Opfer“ war eine der besten Aktionen der letzten 15 Jahre! Das war wirklich fantastisch, weil man so viele Leute erreicht hat. Es hat in Strömen geregnet und trotzdem war der ganze Alexanderplatz voll – das war wirklich beglückend.
Neulich wurden wir gefragt für den 20. Jahrestag der Besetzung der Roten Flora, da haben wir natürlich zugesagt – wir haben damals unser erstes Konzert in der Roten Flora gespielt. Das sind natürlich Sachen, die uns wichtig sind, gerade wenn sie aus ner politischen Bewegung kommen, die sonst nicht so eine große Lobby hat.
Und wie siehst du es im Moment um diese politische Bewegung bestellt?
Ich find ganz viele Gruppen wirklich wahnsinnig toll, die eine undogmatische Position einnehmen, die mir in den 1990er Jahren bei vielen linken, linksradikalen Gruppen fehlten. Da gab es häufiger eine autoritäre Haltung, ein machistisches Auftreten und oft einen immanenten, unwidersprochener Antisemitismus. Deswegen bin ich froh, dass es sowas gibt und sich auch viele, gerade junge Leute, engagieren. Und auch mit Witz, und nicht nur über das ewiggleiche Skandieren von Parolen. Gut fand ich zum Beispiel die Aktion „Pink Rabbit gegen Deutschland“ der Naturfreundejugend. Kuscheltierblock ist mir persönlich lieber als schwarzer Block.
Gut finde ich auch, dass sich in der Linken in der letzten Zeit unglaublich viel getan hat, was Geschlechterrollen und das Hinterfragen von Stereotypen angeht. Dieses Infragestellen von Heteronormativität ist wirklich eine positive Entwicklung, und es ist super, dass manche Gruppen das auf die Fahnen geschrieben haben.
Als Zeitung stehen wir ein für eine Welt in der Lohnarbeit nicht mehr notwendig ist. Ihr singt ja auch „Das Nutzlose wird siegen“ und hofft auf Tage, an deren Ende man zufrieden sagt: „Ja, ich habe heute nichts gemacht“. Sind wir gemeinsam im Club der Faulenzer?
So Statements kommen daher, dass man in den letzten Jahren zunehmend mit der gesamten Durchökonomisierung der Gesellschaft konfrontiert ist. Das ist total in den Körpern angekommen, da wird eine permanente Selbstökonomisierung gefordert. Auch durch die fortschreitende Vermischung von Privatem und Arbeit: Da gibt es keine Grenzlinie mehr, auch im Privaten muss man weiter netzwerken. Permanent wird von dir erwartet, dich selbst zu optimieren, dich einzubringen, dich selbst kreativ zu mobilisieren, was zu schaffen…das ist eine ganz, ganz perfide Ideologie, die zu analyisieren und zu bekämpfen ich wahnsinnig interessant finde – also all das, was ihr in der „Straßen aus Zucker“ auch verhandelt .
Das betrifft uns auch persönlich als Band, weil seit dem Zusammenbruch der Musikindustrie vor ungefähr 10 Jahren eine viel stärkere Ökonomisierung von Musik stattgefunden hat. Du musst als Band permanent gucken musst, wie du am Ball bleibst und „networkst“. Dinge, über die wir uns früher nie Gedanken gemacht haben. Man tappt da auch manchmal selber in die Falle: Man muss sich körperlich fit fühlen, dünn sein und so weiter. Deswegen fand ich es künstlerisch auch interessant, das Nichtstun zu propagieren.
Auf eurem letzten Album gibt es den Song „Mach es nicht selbst“ – geht es darum, sich zu organisieren?
„Macht es nicht selbst“ ist eine ganz klare Kampfansage gegen die neoliberale Idee der digitalen Bohème, oder dieses Do-it-yourself-Networkings. Die Gesellschaft kann es ja nur begrüßen, dass alle permanent irgendwas machen, ihre Produktivkraft zur Verfügung stellen und immer irre kreativ sind. Das verkitschte Bild des Künstlers, der ständig im Dienst ist, hat sich mittlerweile auf die normale Arbeitswelt übertragen. Ich finde es eigentlich eine Horrorvorstellung wenn Leute sagen „Ich finde es ganz ganz toll, dass ich mir jetzt meine Zeit selber einteilen kann“ und da noch bis spät nachts vor dem Computer sind. Das kann ja nur noch schlimmer sein, als jeden Tag von 9 bis 5 malochen zu gehen – da hat man wenigstens die Zeit ab 5 für sich. Ich will natürlich nicht zurück zum Fordismus, oder diese postfordistische Ideologie führt dazu, dass es wirklich überhaupt kein Außen oder Jenseits der Arbeit mehr gibt.
Wir merken das als Band auch: Da wird teilweise total negiert, dass wir bestimmten Sachen machen müssen, um Geld zu verdienen. Es ist sowas von verlogen, wenn Künster ständig darüber reden, wie alles aus reiner Identitfikation und Spaß geschehen muss, wie toll es ist, dass sie irgendwo spiele dürfen, und wie dankbar sie sind…ich meine, for fuck’s sake, wir spielen Festivals und wir kriegen dafür auch Geld. Diese Ideologie , dass alles was man macht, dazu auch noch Spaß machen muss, und es deshalb eigentlich total egal ist ob man damit noch Geld verdient oder nicht ist wirklich extrem perfide. Dann sind die Straßen wirklich nicht aus Zucker! Aber wenn alle Leute von vorneherein schon sagen „Es ist ja wunderbar so, wie es ist“, dann können sie es auch nie werden.
Vielen Dank für das Interview!